Der Ur-Rockschlager. Zu Peter Maffays „Es war Sommer“
20. September 2017 Hinterlasse einen Kommentar
Peter Maffay (Text: Gregor Rottschalk) Und es war Sommer Es war ein schöner Tag – der letzte im August. Die Sonne brannte so, als hätte sie’s gewusst Die Luft war flirrend heiß und um allein zu sein sagte ich den andern, ich hab’ heut keine Zeit Da traf ich sie und sah in ihre Augen und irgendwie hatt’ ich das Gefühl als winkte sie mir zu und schien zu sagen Komm setz dich zu mir Ich war 16 und sie 31 und über Liebe wußte ich nicht viel sie wußte alles und sie ließ mich spüren ich war kein Kind mehr Und es war Sommer Sie gab sich so, als sei ich überhaupt nicht da und um die Schultern trug sie nur ihr langes Haar Ich war verlegen und ich wußte nicht wohin mit meinem Blick, der wie gefesselt an ihr hing "Ich kann verstehen", hörte ich sie sagen "Nur weil du jung bist, tust du nicht, was du fühlst Doch bleib bei mir bis die Sonne rot wird Dann wirst du sehen" Wir gingen beide hinunter an den Strand und der Junge nahm schüchtern ihre Hand doch als ein Mann sah ich die Sonne aufgehn Und es war Sommer Es war Sommer. Es war Sommer das erste Mal im Leben Es war Sommer das allererste Mal und als Mann sah ich die Sonne aufgehn. Und es war Sommer. Es war Sommer das erste Mal im Leben Es war Sommer … [Peter Maffay: Und es war Sommer. Sony 1976.]
Bobby Goldsboro Summer (The First Time) It was a hot afternoon The last day of June And the sun was a demon The clouds were afraid One-ten in the shade And the pavement was steaming I told Billy Ray In his red Chevrolet I needed time for some thinking I was just walking by When I looked in her eye And I swore, it was winking She was 31 and I was 17 I knew nothing about love She knew everything But I sat down beside her On her front porch swing And wondered what the Coming night would bring The sun closed her eyes As it climbed in the sky And it started to swelter The sweat trickled down the Front of her gown And I thought it would melt her She threw back her hair Like I wasn't there And she sipped on a julep Her shoulders were bare And I tried not to stare When I looked at her two lips And when she looked at me I heard her softly say "I know you're young You don't know what to do or say But stay with me until The sun has gone away And I will chase the boy in you away" And then she smiled Then we talked for a while Then we walked for a mile to the sea We sat on the sand And a boy took her hand But I saw the sun rise as a man Ten years have gone by Since I looked in her eye But the memory lingers I go back in my mind To the very first time And feel the touch of her fingers It was a hot afternoon The last day of June And the sun was a demon The clouds were afraid One-ten in the shade And the pavement was steaming [Bobby Goldsboro: Summer (The First Time). United Artists 1973.]
Seit Peter Maffay auch außerhalb des Segments der klassischen Schlager-Hörer erfolgreich ist, wird die Frage gestellt, was so viele Menschen an ihm und seiner Musik mögen. Ebenso interessant erscheint aber auch die Frage, warum so viele Menschen Maffay, nein, nicht hassen, sondern lächerlich finden. Seine geringe Körpergröße und sein leicht parodierbarer Akzent begünstigen dabei sicher eine Vielzahl von Parodien (zu den berühmtesten gehört die von Jürgen von der Lippe, zu nennen wäre außerdem Anke Engelkes und Ingolf Lücks Wochenshow-Sketch, in dem Engelke als Moderatorin Ricky unablässig daran scheitert, Formulierungen, in denen es um Größe geht, zu vermeiden). Aber vielleicht gibt es darüber hinaus noch Gründe, die in der Ästhetik seines Schaffens liegen. Maffay ist der Godfather of Schlagerrock respektive Rockschlager, wie ihn heute Silbermond, Revolverheld u. v. a. erfolgreich spielen: Er begann seine Karriere als Schlagersänger (in diese Zeit fällt auch noch die Veröffentlichung von Und es war Sommer im Jahr 1976). 1979 erschien dann das Album Steppenwolf, benannt nach einer Rockband, die sich wiederum nach dem Roman von Hermann Hesse benannt hatte. Dass Steppenwolf ihren großen Hit Born to be wild bereits elf Jahre vorher hatten, sagt ebenso viel über Maffays Verständnis von Rock wie seine Lederjacken, Cowboystiefel und Motorräder: Für ihn ist Rock kein moderner Mythos (Roland Barthes), zu dem konstitutiv Rebellion, Subversion und Normbruch gehören und dessen Protagonisten sich deshalb ständig neuer Mittel bedienen müssen – 1978 lösten sich die Sex Pistols als eine der prominentesten und modisch prägendsten Bands des Punk als damals neuester Manifestation des Mythos Rock’n’Roll bereits wieder auf und postulierte die Anarcho-Punkband Crass Punk Is Dead; ein Jahr später veröffentlichte Peter Maffay sein erstes Rock-Album, dessen Titeltrack sich am klassischen Rock’n’Roll der 1950er Jahre orientiert.
Maffay fasst Rock als einen Musikstil auf, der sich weniger durch eine Haltung, als durch Instrumentierung, Rhythmik und Akkordfolgen definiert, und verbindet damit einen bestimmten Retro-Kleidungsstil. Es ist ein im wörtlichen Sinne konservatives, bewahrendes Verständnis, demzufolge der (gute, alte, handgemachte) Rock’n’Roll weiter gepflegt werden muss, ebenso wie man das über Volkstänze oder Dialekte denken kann. Auf der anderen Seite führt eine Band wie Atari Teenage Riot schon qua Bandname die Rock’n’Roll-Tradition begriffen als Mythos fort, obwohl ihre Musik – wie ebenfalls schon der Bandname aussagt – ausschließlich elektronisch erzeugt wird. Und auch wenn im Bereich individueller Musikvorlieben viel möglich ist, dürfte die Schnittmenge von Atari Teenage Riot- und Maffay-Fans äußerst gering sein.
Doch warum wurde Maffay 1980 im Vorprogramm der Rolling Stones von deren Fans ausgebuht und mit Tomaten beworfen? Schließlich gehörten auch die Rolling Stones 1980 schon lange nicht mehr zur ästhetischen Speerspitze des Rock’n’Roll. Hier kommt ein weiteres zentrales Moment des modernen Mythos Rock’n’Roll ins Spiel: das der Authentizität. Im Film Walk the Line wird der Wandel des jungen Johnny Cash vom Musiker, der verbreitete Lieder nachspielt, zum Rocker im mythischen Sinne in einer Szene inszeniert: Der Mitarbeiter einer Plattenfirma, bei der Cash mit zwei Begleitmusikern uninspiriert ein Gospel vorspielt, unterbricht sie und nennt als Grund: „I don’t believe you.“ Anschließend fragt er Cash, ob das, was er da gespielt habe, auch das sei, was er als letztes spielen würde, wenn er von einem Lkw überfahren worden sei und nur noch Zeit für einen Song habe. Daraufhin spielt Cash den selbstkomponierten Folsom Prison Blues, womit seine Karriere beginnt. Zuvor hat der Zuschauer dessen Entstehung erfahren: Zwar war Cash nicht, wie später einige Fans glauben sollten, selbst im Gefängnis gewesen, hatte sich aber während seiner Stationierung als Soldat in Deutschland so gefühlt und in dieser Situation den Song geschrieben. Es geht beim Rock’n’Roll mithin nicht um eine referentielle Authentizität, sondern um eine emotionale. Und diese Authentizität nahmen die Stones-Fans bei Peter Maffay, der noch zwei Jahre zuvor Schlager im engeren Sinne gesungen hatte, 1980 anscheinend nicht an. Maffays Problem bestand darin, dass er mit dem Musikstil Rock’n’Roll und der dazugehörigen Kostümierung nebst Requisiten eben auch dessen mythischen Implikationen aufgerufen hatte. Auch noch drei Jahre später nahmen ihm nicht alle den Rocker ab: Bei seinem Auftritt im Rahmen der Proteste gegen die Stationierung von mit Nuklearsprengköpfen bestückten Raketen des Typs Pershing II in Neu-Ulm stand auf einem Plakat im Publikum: „Lieber Pershing II als Peter Maffay“.
Es war Sommer gehört zu den Stücken aus Maffays Zeit als reiner Schlagersänger, die er auch als ‚Rocker‘ weiterhin im Repertoire hat. Insofern erscheint es als geeignetes Beispiel dafür, das Hybridgenre des Rockschlagers zu diskutieren, zu dessen Gründungsvätern Maffay gehört, der damit eine Traditionslinie begründete, in die sich u. a. PUR und Silbermond stellen lassen. Einer der zentralen Unterschiede zwischen Schlagermusik und ‚authentischer‘ Rockmusik besteht darin, dass der Schlagersänger traditionell die Texte professioneller Textdichter singt, wohingegen Rocksänger häufig eigene Texte singen. Der Schlagersänger klassischen Zuschnitts ist in erster Linie Interpret, ihn zeichnen seine Stimme, sein Aussehen und seine Bührenperformance aus, weniger seine Biografie. Im Rock (begriffen als moderner Mythos) hingegen kann auch ein stimmlich sehr gewöhnungsbedüftiger Sänger wie Bob Dylan, der seine Songs selbst schreibt, zum Weltstar werden. Wie zentral die Kategorie der Authentizität bzw. street credibility nach wie vor ist, zeigen gerade die Versuche, neuen deutschen Sängern und Bands aus dem Segment des Rock- und Popschlagers, deren Texte vornehmlich von Profis, die für diverse Interpreten schreiben, verfasst werden, das Image zu geben, es handle sich um Singer-Songwriter, die in ihren Liedern eigene Erlebnisse und Gedanken formulierten – vgl. dazu Jan Böhmermanns Ausführungen zu u.a. Max Giesinger.
Den Text von Es war Sommer hat nun nicht nur jemand anderes als der Sänger, nämlich der Radiomoderator und erfolgreiche Liedtexter (u. a. Marianne Rosenbergs Er gehört zu mir) Gregor Rottschalk alias Christian Heilburg verfasst, sondern dieser hat dazu auch noch auf einen bereits bestehenden Liedtext zurückgegriffen. Von Bedeutung ist hier, dass es sich um eine unmarkierte Übernahme bei gänzlich anderer Musik handelte, nicht um eine Coverversion, die häufig eine Hommage ans Original darstellt und eine Traditionslinie markiert. Dadurch, dass nicht nur der Text in seiner konkreten Gestalt von jemand anderem als dem Interpreten verfasst worden ist, sondern auch die Idee dazu, das geschilderte Szenario, nicht von ihm stammt, kann auch nicht mehr, wie häufig bei der Zusammenarbeit von professionellen Liedtextern mit Sängern, behauptet werden, dass der Textdichter nur als Ghostwriter firmiert habe, der den Gedanken des Sängers eine Form gegeben habe (bei den Böhsen Onkelz, einer Band, für deren Fans gerade ihre angebliche Authentizität von zentraler Bedeutung ist, fand diese Arbeitsteilung bandintern statt: Bassist Stephan Weidner textete u. a. Lieder über Drogensucht für den davon betroffenen Sänger Kevin Russell). Problematisch ist darüber hinaus, dass es sich um ein höchst intimes und individuelles Thema handelt, das weder eine verallgemeinernde noch eine metaphorische Lesart nahelegt. Wenn Johnny Cash sich in die Rolle eines Inhaftierten hineinimaginiert und dessen Gedanken und Gefühle beim Anblick vorbeifahrender Züge artikuliert, lässt sich dies ohne Weiteres einerseits als Kritik am Strafvollzug, andererseits als Sinnbild für Situationen, in denen sich jemand eingeengt fühlt und aus denen er keinen Ausweg sieht, interpretieren. Maffays Lied lässt sich aber weder sinnvoll sozialkritisch als Kritik am sexuellen Missbrauch männlicher Teenager durch Frauen in den Dreißigern lesen noch als Allegorie auf – ja auf was?
Was bleibt ist eine schwüle Sexphantasie, die zudem noch wesentlich züchtiger als im Original, das auch schon nicht gerade ein Kandidat für einen „Explicit Lyrics“-Aufkleber ist, gehalten ist – so fehlt etwa die Beschreibung der klassichen Verführungsposen, die die in derlei Dingen offenbar Erfahrene einnimmt und die ihre Wirkung auf den Unerfahrenen nicht verfehlen:
She threw back her hair
Like I wasn’t there
And she sipped on a julep
Her shoulders were bare
And I tried not to stare
When I looked at her two lips
Bei Maffay heißt es hingegen, zwar teilweise direkt zitierend, aber stark verkürzt:
Sie gab sich so, als sei ich überhaupt nicht da
und um die Schultern trug sie nur ihr langes Haar
Ich war verlegen und ich wußte nicht wohin
mit meinem Blick, der wie gefesselt an ihr hing
Ausgesagt wird hier im Wesentlichen dasselbe, nur wird es eben im ersten Fall bildlich beschrieben, während es im zweiten eher abstrakt benannt wird. Dass Maffays Lied weitaus züchtiger gehalten ist als das Original, zeigt sich hier unter anderem darin, dass die Schultern der Frau zwar in beiden Texten nackt sind, diese Nacktheit im Original aber zu sehen ist und benannt wird, wohingegen die Schultern in Es war Sommer von den Haaren verdeckt werden. (Um dem alten Argument, es sei erotischer, wenn man nicht alles sehe, zu begegnen: Es geht hier nicht um alles, sondern um Schultern! Und wenn die schon bedeckt werden müssen, weil es sonst für den Rezipienten zu viel wird, ist das Genre erotisches Lied wohl nicht ganz das geeignete.) Eine fast schon ins Selbstironische changierende Formulierung ist in diesem Kontext „Doch bleib bei mir bis die Sonne rot wird“, da hier ’schamrot werden‘ assoziiert werden kann.
Ansonsten ist Gregor Rottschalks Fassung vor allem kürzer und auch allgemeiner gehalten – statt des namentlich genannten Freundes werden die nicht näher konkretisierten „andern“ zurückgelassen. Aus der persönlichen, ja intimen und detaillierten Erinnerung, die bei Goldsboro in den Schlussstrophen ja auch noch einmal reflektiert wird, ist eine lediglich grob skizzierte, exemplarische Geschichte geworden: die von der Emanzipation eines Heranwachsenden aus der bis dahin bestimmenden peer group und von seiner Initiation als Mann – die in beiden Texten wiederum fast wortgleich beschrieben wird, inklusive des Wechsels von der dritten zur ersten Person: „And a boy took her hand / But I saw the sun rise as a man“ – „und der Junge nahm schüchtern ihre Hand / doch als ein Mann sah ich die Sonne aufgehn“.
Man kann Rottschalk handwerklich kaum etwas vorwerfen: Er hat aus einem langen, persönlichen Singer-Songwiter-Text einen kurzen, stadiontauglichen Schlagertext gemacht, der so züchtig gehalten ist, dass er aufgrund seines Themas zwar einen kleinen Skandal auslöste und damit Aufmerksamkeit generierte, aber Maffays Wohnzimmertauglichkeit nicht nachhaltig beeinträchtigte. Die Glaubwürdigkeitsproblematik ergibt sich erst in der performativen Reklamation von Authentizität – einerseits durch die Rockerpose, andererseits durch Maffays stark emotionalen Gesang. Mit der Kombination aus einem schematischen, allgemein gehaltenen Text und performativ beanspruchter Individualität liefert Es war Sommer die Blaupause für die Lieder von Generationen nachfolgender Rockschlagersängerinnen und -sänger, die sich zwar wünschen, dass Worte ihre Sprache wären, aber sich doch nur Formulierungen bedienen, die genau so schon Zahllose vor ihnen genutzt haben.
Martin Rehfeldt, Bamberg