Luftraum über Berlin. Zu „Wenn unser Berlin auch verdunkelt ist!“ (1942) und „Der Insulaner verliert die Ruhe nicht“ (1948)
26. September 2013 1 Kommentar
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Manfred Heidmann (Text: Bruno Balz) Wenn unser Berlin auch verdunkelt ist! Ja, na, Licht ist wunderschön, wenn wir bummeln gehen, doch das lassen wir jetzt bleiben. Wie man sieht, geht es auch so, wir sind auch im Dustern froh. Wenn unser Berlin auch verdunkelt ist, wir Berliner, wir Berliner bleiben helle. Und wenn man auch dies oder das vermißt, der Berliner bleibt ein lustiger Geselle. Es kann der fehlende Laternenschein bevölkerungspolitisch äußerst wertvoll sein. Wenn unser Berlin auch verdunkelt ist, der Berliner bleibt doch helle, denn er ist ein Optimist. Fehlt uns das Laternenlicht? Nein, das fehlt uns nicht, das kann auch der Mond besorgen, und wenn der sich auch versteckt, das hat uns noch nie erschreckt. Wenn unser Berlin auch verdunkelt ist, [...] [Manfred Heidmann: Grüß mir die Berolina ... / Wenn unser Berlin auch verdunkelt ist! Grammophon 1942.]
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Ethel Reschke (Text: Günter Neumann) Der Insulaner verliert die Ruhe nicht Es liegt eine Insel im roten Meer, und die Insel heißt Berlin, und die Brandung geht schwer, und die dunklen Wolken ziehen. Der Osten ist nah, und der Westen ist fern, und manch Flugzeug dröhnt durch die Nacht, und wacht man dann auf, haben verärgerte Herren sich etwas Neues ausgedacht. Wir wollen unter fremdes Joch nicht, trotz Drohungen und Atom, wir bleiben auf dem Teppich, und noch nicht kriegen sie uns auf den Boden. Der Insulaner verliert die Ruhe nicht, der Insulaner liebt keen Getue nicht, und brummen des nachts auch laut die viermotorigen Schwärme, det is Musik für unser Ohr, wer redt vom Lärme. Der Insulaner träumt lächelnd wunderschön, dass wieder Licht ist und alle Züge gehen. Der Insulaner hofft unbeirrt, dass seine Insel wieder ein schönes Festland wird.
In den letzten Monaten musste das Image der Hauptstadt unter dem Bau eines neuen Großflughafens leiden (vgl. hierzu etwa ein Interview der Berliner Zeitung), der öffentlichkeitswirksam als „Großversagen“ (Die Zeit) kritisiert wurde. Berlin, so hieß es, sei „arm, sexy und auch noch zu doof, um eine Halle zu bauen“ (Lausitzer Rundschau). Lange her ist die Zeit, in der der Flugverkehr über Berlin als „ein Symbol der Entschlossenheit, ein Symbol des Widerstands und letztlich ein Symbol der Freiheit“ (Rede des stellvertretenden US-Verteidigungsministers 1998) funktionierte, die Zeit, in der es – wie bereits in einem Beitrag von Hans-Peter Ecker hier zu lesen war – nicht nur eine tatsächliche, sondern auch eine „singende Luftbrücke“ gab.
Ein Dokument aus den zehneinhalb Monaten zwischen dem 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949, in denen zeitweise alle drei Minuten ein Flugzeug der Westalliierten landete, um der sowjetischen Berlin-Blockade zu trotzen und die westliche Hälfte der Stadt zu versorgen, ist das von – dem hier bereits im Zusammenhang mit dem Wirtschaftswunder vorgestellten – Günter Neumann geschriebene erste „Insulanerlied“ mit dem Titel Der Insulaner verliert die Ruhe nicht (zu Weihnachten 1948 vorgetragen von Ethel Reschke). Das Kabarettprogram rund um Die Insulaner (hier ein weiteres Insulanerlied aus dem Frühjahr 1949 sowie das Lied Wir sind kapitalistisch geknechtet von 1952) etablierte sich in der Folge als eine feste Marke des RIAS und blieb, bis die Lage mit dem Mauerbau 1961 zu sensibel für Scherze wurde, ein – wie es auf Wikipedia heißt – viel gehörter „Bestandteil eines lokalpatriotischen Antikommunismus, wie er wohl nur in der Zeit des Kalten Krieges entstehen konnte“.
Berlin wird hier entsprechend als „eine Insel im roten Meer“ besungen, bedroht vom nahen Osten und deren „Atom“ und behütet vom fernen Westen und dessen „viermotorigen Schwärme[n]“. Wenn „manch Flugzeug dröhnt durch die Nacht“ ist das keine Lärmbelästigung, sondern ein Lichtblick inmitten der „dunklen Wolken“, die sonst über den Berliner Nachthimmel ziehen. Derweil „träumt [der Insulaner] lächelnd wunderschön, / dass wieder Licht ist und alle Züge gehen“. Als echter Berliner mit all seinen typischen Eigenschaften „verliert [er] die Ruhe nicht“ und „liebt keen Getue nicht.“ Durch Schlager ein ebenso unkompliziertes wie widerstandsfähiges Wesen attestiert zu bekommen und damit zum Durchhalten aufgerufen zu werden, war für ihn da freilich bereits ebenso zur Routine geworden wie das Durchhalten selbst.
1942 ging es etwa um die Verdunklung Berlins als Luftschutz-Maßnahme. Wenn unser Berlin auch verdunkelt ist entstammt den Federn von Bruno Balz (wie u.a. auch Davon geht die Welt nicht unter und Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen aus dem selben Jahr) und dem in der Folge zum stellvertretenden Fachschaftsleiter der Komponisten in der Reichsmusikkammer erhobenen Franz Grothe (wie etwa auch Wir werden das Kind schon schaukeln aus dem Jahre 1941 sowie später eben auch die Musik zum Text Neumanns über das Wirtschaftswunder). Gesungen wurde es von dem damals gerade 22jährigen Schauspieler Manfred Heidmann. Mit guter Miene zum Bombenkrieg wurde gemäß Goebbelscher Propaganda geträllert, dass man „auch im Dustern froh“ sein könne. „Licht ist wunderschön“, aber „Bummeln gehen“ müsse momentan ausfallen. Dafür könne, so heißt es mit einem zynischen Augenzwinkern, „der fehlende Laternenschein bevölkerungspolitisch äußerst wertvoll sein“ – schließlich benötigte das Reich Nachschub an Soldaten.
Um einer Kriegsmüdigkeit entgegenzuwirken, wurde dem Berliner eine heitere Identität als „Optimist“ und „lustiger Geselle“ gestiftet; der Clou ist, dass man das Licht gar nicht brauche, weil man ja selber so „helle“ sei. Allerdings wurde das hier fröhlich abgehandelte Thema des Liedes mit den ersten Bombenangriffen auf Köln am 30. und 31. Mai 1942 schnell zu ernst, so dass Wenn unser Berlin auch verdunkelt ist – ganz anderes als jene anderen Balz-Texte, in denen beteuert wird, dass die Welt schon nicht untergehen werde und doch noch ein Wunder geschehen könne – wenig Popularität erlangte (vgl. hierzu André Port le Roi: Schlager lügen nicht. Essen: Klartext 1998, S. 30-31).
Martin Kraus, Bamberg