Die rote Sonne von Irgendwo anders. Das Genre des Sommerhits in seinen verschiedenen Stadien – von den Flippers zu Helge Schneiders „Sommer, Sonne Kaktus“ Teil II

Helge Schneider

Sommer, Sonne, Kaktus!

Sommer, Sonne, Kaktus
Playing Featherball on the beach.
Blauer Himmel, gute Laune and a beautiful girl aufm Schoß.

Never, never go to work, lieber holiday.
Die Gitarre um Hals, schnell gekämmt,
ja das is the way.

Sommer, Sonne, Kaktus,
Paella in the Bauch.
Blauer Himmel, gute Laune, ja das is the Brauch.

Sommer, Sonne, Kaktus,
no more come nach Haus.
Sommer, Sonne, Kaktus,
jaja der holiday is noch nich aus.

Never, never go to work,
lieber planschen und sich anziehn fein.
Look the girls on the Po by the tolle sunshine.

Sommer Sonne Kaktus,
Paella in the Bauch,
blauer Himmel, gute Laune,
jajajaja das ist hier der Brauch.

Sommer, Sonne, Kaktus,
keine Wolke zu sehn.
Sommer, Sonne, Kaktus,
ach wie ist das schön.

Playing in the sand
here on by the strand,
tauchen, trinken und essen.
playing in the sand
here on by the strand
and the Hausschlüssel vergessen.

Sommer, Sonne, Kaktus,
ach wie is das schön.
Sommer, Sonne, Kaktus,
ich will nie mehr arbeiten gehn.

Hey!!

Sommer, Sonne, Kaktus,
playing Federbäll on the beach.
Blauer Himmel, gute Laune
and a beautiful girl aufm Schoß.

Sommer, Sonne Kaktus,
ach wie wär das schön,
doch leider hier in Duisburg,
muss ich ins Hallenbad gehn.

Und es is auch für mich... was das denn? Ne Laus? Scheiße, ich hab Läuse…
Illusion
Sommer, Sonne, Kaktus
Hier am Badestrand sind sie alle krank
Lalalalalalala
(ad lib.)

 

Sieht man Die rote Sonne von Barbados als ein Beispiel für ein Stadium des romantisch-dekadenten Sommerhits, in dem inhaltliche Kohärenz und Konsistenz im Zerfall begriffen sind und hinter einen opulenten Reizwortschatz und eine glitzernde Romantikoberfläche zurücktreten, dann kann man Helge Schneiders Sommersong Sommer, Sonne, Kaktus als weiteren Auflösungsschritt hin zum dadaistischen Sprachspiel sehen und als ironischen Reflex auf die serielle Sommerlichkeit im klassischen Sommerschlager.

Helge Schneiders Sommerhit kann man somit als Reaktion auf vorangegangene Sommerhits mit ihrem ästhetizistischen Budenzauber und ihrer Konzentration auf die Wortwirkungsebene lesen. Sommer, Sonne, Kaktus begegnet den Konventionen des Genres mit linguistischer Verspieltheit und ironischer Brechung von popkulturellen Klischees, mit einer Art postmodernem Dadaismus. Augenzwinkernd geht er sogar noch einen Schritt weiter als der Flipperstext und zerstört die Wortebene zugunsten der Lautebene.

Teil II: Aserejé, Kaktus! Postmoderner Dadaismus.

Gedanken zu Helge Schneiders Sommerhit Sommer, Sonne, Kaktus (2013)

Schon im Titel bricht Helge Schneider gemäß der Komikregel ‚zwei Bestandteile etablieren ein Muster, der dritte bricht es‘ die Dreieinigkeit des Sommervokabulars: Sommer, Sonne, Kaktus. Die lautliche Seite des Worts Kaktus steht dabei mit seinen Plosiven gegen die summenden Nasale der Sommersonne. Dass die erste Silbe der stachligen Wüstenpflanze dabei ein fröhliches Kack empfiehlt, ist sicherlich kein Zufall. Ist es doch auch eine Komikerregel, dass Fäkalausdrücke und Verschlusslaute schon qua ihrer sprachlichen Realisation dem Publikum ein Glucksen entlocken. Wenn Schneider in der Aufnahme am Schluss wie bei einem Sprung in der Schallplatte an der Silbe Ka („Kaktus, Ka-ka-ka-kaktus“) hängen bleibt, dann ist das nicht nur dadaistisch-ulkiger Rhythmus, sondern durch die Endlosschleife von Kaka auch Kommunikation reiner Scheiße.

Ein weiterer Effekt dieser Wortzerstückelungen, die sich auch in Zusammenhang mit dem „Ha-ha-ha-Hallenbad“ finden, ist – um die Argumentation des inhaltlichen Zerfalls wieder aufzugreifen –, dass eine eindeutige Semantik des Worts hinter dem Wortlaut zurücktritt. Durch Wortspielerei und Mehrdeutigkeit gerät die tragikomische Sommerhitgeschichte auf inhaltlicher Ebene in den Hintergrund. Die ist zunächst eine klassische: Bei den in den ersten Strophen des Lieds geschilderten Strandaufenthalt handelt es sich um eine idealisierte Traumwelt (mit blauem Himmel, Federball) ähnlich wie bei den Flippers. Folglich soll der Urlaub niemals enden: „[I]ch will nie mehr arbeiten gehen“.

Wie allerdings der titelgebende Kaktus schon andeutet, finden sich bewusst gesetzte Stachel in der Sommerharmonie. Das Idealbild wird immer wieder komisch gestört, ob es nun die vergessenen Hausschlüssel sind (die einem einen entspannten Tag am Strand wohl mental zur Hölle werden lassen: Wo hab ich sie nur…?) oder aber die Schlusspointe vom Daheimgebliebenen, der sich mit einem Duisburger Hallenbad und seinen Läusen begnügen muss. Duisburg vermittelt bodenständigen Ruhrpott-Charme und damit das Gegenteil von Palmenflair. Dazu klingt der Name einfach auch la-la-la-lustig, lustig.

Durch die Überbetonung der Sommerklischees bei gleichzeitiger Brechung derselben wird der männlich konnotierte Voyeurismus des Po-Begaffens der girls entschärft. Mag der wohl männliche Sprecher sich auch gockelhaft sein (schütteres?) Haar zurückkämmen und die Gitarre um den Hals hängen, ins Duisburger Hallenbad passt der südliche Westentaschengigolo damit eher nicht, wirkt fehl am Platze. Inkongruenz ist komisch: Die Schlusspointe entlarvt die zuvor erzählte Geschichte vom südlichen Strandaufenthalt als eitle Sehnsuchtsphantasie, der man fasst romantisches Fernweh unterstellen könnte. Wo das Sommerlied im Falle der Flippers allerdings genau auf diesen Gefühlseffekt zuläuft und dabei stehen bleibt, ist im Falle des Dada-Songs das gezeichnete Panorama Vorbereitung für den Schlussgag.

Dieses Spiel mit Konventionen der Sommerhitlyrik und deren Brechung lässt sich als postmodern klassifizieren, wenn man diesen Begriff als Bezeichnung für einen augenzwinkernden Umgang mit Genrekonventionen, der damit eine implizit reflexive Tendenz aufweist, gelten lässt. Zieht man Schneiders Performance und das Video zum Hit hinzu, unterstreicht dies den postmodernen Eindruck. Durch überdeutliches Ausstellen der Playback-Praxis des (Sommer-)Schlagerbetriebs, wie sie die Flippers vorleben, dekonstruiert er diese, macht sie offensichtlich und schafft gleichzeitig einen selbstreflexiven Sommerhit.

Ebenso lässt sich Schneiders Hit in einen Tradition des Dadaismus und des Nonsense-Lieds stellen, wie bei den Lautexperimenten bereits angedeutet. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch das ständige code-switching und den Einsatz von Denglish, wodurch der Inhalt (wohl zumindest beim ersten Hören) zunächst verschwimmt. Das Heraushören von Versatzstücken und die absichtlich falsche Aussprache erzeugen dabei Komik. Die sommerlichen Wörter und Wortfetzen („Sonne“, „Sommer“, „Strand“, „sunshine“) reichen schließlich auch aus, um den Eindruck eines Sommerschlagers zu vermitteln (wie bei den Flippers). Denn trotz des Spiels mit den Konventionen des Sommerhits ist Sommer, Sonne, Kaktus dennoch selbst genau das, ein Sommerhit.

Mit der Tendenz zur Wortzerstörung deutet Schneiders Hit also auch an, dass in der Popwelt des 21. Jahrhunderts manchmal noch nicht einmal „richtige“ Schlagwörter beim Hörer ankommen müssen (womit die anfängliche Formel nur doch ein Richtwert ist), um ein Sommerhitgefühl zu erzeugen. Die Genrekonvention sind bekannt, der Inhalt ist zweitrangig geworden. Deswegen kann zum Beispiel eine Kaktuspflanze (mit ihren Westernassoziation) eine Palme wirkungsvoll ersetzten. In manchen Fällen reicht gar ein gewöhnter Sommerhit-Gestus (in Form von Musik, südlich klingenden Lauten und entsprechender Performance) aus, um ein summer (hit) feeling beim Hörer zu erzeugen:

Las Ketchups Ketchup-Song bedient nur andeutungsweise einen spanischen Zungenschlag, besteht in Teilen aus einer Phantasiesprache. Los del Rios’ Macarena klingt spanisch, is’ es auch, allerdings werden darin vor allem die Körperfreuden einer Dame besungen (vgl. Wikipedia). Ähnliches gilt für den brasilianischen Song Ai, se eu te pego! (vgl. Wikipedia). Gemeinsam haben diese Lieder, dass sie nach Sommer, Sonne, Süden klingen, ohne davon zu singen. Und das reicht ja manchmal schon aus, in einer lauen Sommernacht im Kaktushain von Irgendwo.

Florian Seubert, Oxford