Viel mehr als nur ein Auto. Der Opel-Kult in der Musik am Beispiel von Liedern der Toten Hosen („Opel-Gang“) und der Motoristen/King Køng („Wir fahren Manta Manta“).

Die Toten Hosen

Opel-Gang

Den Arm aus dem Fenster, das Radio voll an,
draußen hängt ein Fuchsschwanz dran,
in jeder Karre sitzen vier Mann.
Die Bullen eben in der Stadt abgehängt,
mit 110 einen Ford versengt
und einen Fiat ausgebremst.
Wir haben neue Schluffen drauf
und uns Rallystreifen gekauft.
 
Wir sind die Jungs von der Opel-Gang,
wir haben alle abgehängt.
Wir sind die Jungs von der Opel-Gang,
wir haben alle abgehängt.
Opel-Gang!
 
Einmal rund um den Häuserblock,
danach wird die Karre aufgebockt
und sich unter die Kiste gehockt.
Samstags nachmittags um halb vier,
Fußballreportage und ein Bier.
Kavaliersstart wird ausprobiert,
dann geht's los in tollem Spurt,
wir schließen nie den Gurt.
 
Wir sind die Jungs von der Opel-Gang [...]

     [Die Toten Hosen: Opel-Gang. Virgin 1983.]

Die Motoristen

Wir fahren Manta Manta

Wir haben Geschmack, wir haben Stil,
wir sind jung und sehen super aus.
Heut sind wir unterwegs,
ich und Horst und Gerd und Klaus.
Wir sind bekannt
für unsere Subtilität,
und es gibt bei uns ein Auto,
um das sich alles dreht.
 
Nimm dir die Welt,
nimm die Sonne und die Sterne.
Nimm dir den Wald
und die Sonnenblumenkerne.
Laßt uns die Autobahn,
dann könn' wir weiterfahrn,
denn wir fahren nun mal gerne Manta Manta (Manta Manta).
 
Wir hören Bach, lesen Brecht,
ab und zu mal was von Goethe.
Immer nur Quantenphysik,
das wär uns echt zu blöde.
Was unsere Frauen betrifft,
da sind wir wählerisch.
Und unser Lieblingsauto
heißt genauso wie der Fisch.
 
Nimm dir die Welt [...]
 
Neulich ist dem Gerd,
was Gräßliches passiert:
Bei knapp 200 Sachen
ist er abgeschmiert.
Gerd hat's überlebt,
der Manta, der war Schrott
der fährt jetzt durch den Himmel,
getuned vom lieben Gott. (Gott fährt Manta.)
 
Nimm dir die Welt [...]

     [V.A.: Manta Manta - Der Soundtrack zum Film. Polydor 1991.]

 

Eine Welt ohne Autos kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Dieser Kasten auf vier Rädern ist mittlerweile mehr als ein Fortbewegungsmittel; das Auto entwickelte sich von einem Statussymbol, das der Elite vorbehalten war, zu einem Alltags- und Gebrauchsgegenstand, der nun in den meisten deutschen Haushalten, manchmal sogar in mehrfacher Ausführung „vorrätig“ ist. Da man sich infolgedessen nicht mehr darüber definieren konnte, bloß ein Auto zu haben, musste ein anderes identitätsstiftendes Merkmal her, was ab den 1980er Jahren die Automarke darstellte. Wer heutzutage in einem Audi oder BMW dazu verleitet wird, mit mehr als der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit über die deutschen Straßen zu schüren, wird schon mal als Rampensau beschimpft. Mercedes fahren seit Urzeiten Matthias Schweighöfer und seit letztem Jahr auch Weltmeister. Aber wurde bei dieser Aufzählung der qualitativ hochwertigen deutschen Automarken nicht eine vergessen? Richtig, der alteingesessene Opel-Konzern wird in heutigen Diskussionen um das coolste Auto gar nicht mehr erwähnt. Heutzutage ist Opel eher für seine Familienvans wie den Zafira oder das „Seniorenauto“ namens Meriva bekannt. Schön klingende Namen im Vergleich zum futuristischen „BMW 116i“ oder den wenig einfallsreichen ABC-Klassen von Mercedes Benz. Nichtsdestotrotz hatte auch Opel seine Glanzzeiten, auch wenn diese schon lange vorbei sind. An diese Zeiten erinnern noch die Kultlieder Opel-Gang von den Toten Hosen und Wir fahren Manta Manta von den Motoristen.

1983 erschien das Debütalbum der Toten Hosen, die damals, so erinnerte sich Campino, „vormittags Abiturprüfungen und abends Liedtexte schrieben“. Der darauf enthaltene Song Opel-Gang wurde nicht nur zum Namensgeber des Albums, sondern auch zum Kassenschlager. Die Toten Hosen gaben mit diesem Lied einer neuen Generation eine Stimme, die zum ersten Mal das Geld und die Zeit besaß, sich in ihrer Freizeit ganz der Pflege ihres Autos zu widmen. Der Song handelt vom Alltag einer Gruppe junger Männer, deren liebste Beschäftigung es ist, ihre Autos zu tunen und in Wettrennen vorzuzeigen. Dabei scheuen sie weder Polizisten noch Geschwindigkeitsüberschreitungen: „Die Bullen eben in der Stadt abgehängt, / mit 110 einen Ford versengt“. Im Gegenteil, ihr Ziel ist die Provokation der Obrigkeit, im Wissen um die eigene Geschwindigkeit. Dabei wollen sie sogar gesehen und wiedererkannt werden: Die Autos stechen mit aufgeklebten Rallystreifen und wehenden Fuchsschwänzen aus der Masse der anderen Verkehrsteilnehmer heraus, und auch im Wageninneren findet sich der draufgängerische Geist der Jugend wieder. Mit lauter Musik („das Radio voll an“) und unangeschnallt („wir schließen nie den Gurt“) verbringen die Jungs ihre Wochenenden mit Spritztouren und daran anschließenden Tuningaktionen, begleitet von Fußballreportagen und Bier. Der Alltag dieser Generation wird mehr denn je von der Pflege des mittlerweile erschwinglichen Statusobjekts bestimmt, das vor allem für Männer Unabhängigkeit und Nonchalance symbolisiert. Aus welchem Grund stellten sich die Toten Hosen sonst als Opel-„Gang“ dar? Der Titel besteht wohl kaum aus der amerikanischen Bezeichnung für eine Straßenbande, die sich vor allem über ihre kriminellen Handlungen definiert, weil die Band sich ein Image als „Saubermänner“ hätte verschaffen wollen, wofür es ohnehin ein bisschen zu spät gewesen sein dürfte.

Eine andere Art von Aufmerksamkeit (aber nicht weniger verpönt) will in dem Film Manta, Manta! die Gruppe um Protagonist Bertie erzielen, deren (mehr oder weniger ernst gemeinte) Verehrung weniger Opel allgemein als vielmehr dessen neuestem Modell, dem Manta, gilt. Als Titellied wurde Wir fahren Manta Manta 1991 von King Køng, der Band des Ärzte- Sängers und -Gitarristen Jan Vetter (Künstlername bei Die Ärzte: Farin Urlaub) unter dem Namen Die Motoristen eingespielt. Das Sprecher-Ich des Titellieds ist der Protagonist des Films, Bertie, was allerdings nur aus dem Zusammenhang erkennbar wird: „Ich und Horst und Gerd und Klaus“. Die vier werden in der ersten Strophe zunächst so vorgestellt: „Wir haben Geschmack, wir haben Stil, / wir sind jung und sehen super aus […] Wir sind bekannt für unsere Subtilität“. Der ironische Unterton springt den Hörer geradezu an, vor allem, wenn man den Film und die Clique um Bertie vor Augen hat. Nach dieser Aufzählung wird schnell klargestellt, dass der Mittelpunkt der Welt für diese jungen Männer ein Auto bildet: „Und es gibt bei uns ein Auto, / um das sich alles dreht.“ Diese Anspielungen auf den typischen Manta-Fahrer der späten 80er Jahre kommen nicht von irgendwo. In den damals virulenten Mantawitzen wurden Manta-Fahrer durch den Kakao gezogen, Bertie und seine Freunde bilden dabei keine Ausnahmen vom Stereotyp: „Mantaletten“, Ruhrpott-Slang, Antipathie gegen VW Golf GTI-Fahrer und sehr blonde Freundinnen auf dem Beifahrersitz. Die Selbstdarstellung der Protagonisten im Titellied wird von der Figurenzeichnung des Films konterkariert. Die Feinfühligkeit, derer sich das Sprecher-Ich und seine Freunde rühmen, lässt sich nirgends finden; ihr niedriges Sprachniveau haben sie sicher nicht durch das Lesen von Brecht und Goethe erworben (vgl. „Wir hören Bach, lesen Brecht / und ab und zu mal was von Goethe“). Stattdessen wird ihr schlichtes Denken betont: Hast du Auto, hast du Frau. Und ganz im Gegenteil zu ihrer Behauptung (vgl. „Was unsere Frauen betrifft, da sind wir wählerisch“) ist keiner dieser Herren im Film besonders anspruchsvoll bei seiner Partnerwahl. Erst im Refrain wird das Ausmaß der Autofixierung dieser jungen Männer erkennbar: „Nimm dir die Welt, / nimm die Sonne und die Sterne. / Nimm dir den Wald / und die Sonnenblumenkerne.“ Das Wichtigste, die Autobahn, solle aber ihnen überlassen werden, auch wenn sie sich im Kultfilm Manta, Manta weniger auf Autobahnen als vielmehr auf Land- und Dorfstraßen im Ruhrpott austoben. Für mehr jedoch, könnte man meinen, hätte die Leistung des verspotteten Sportwagens sowieso nicht gelangt.

Neben diesen beiden, mehr oder weniger ernst gemeinten Liedern finden sich noch weitere, die die Autos der Marke Opel thematisieren. Da wären Kadett B von WIZO aus dem Jahr 1992 oder der Nachfolgesong der Toten Hosen Die Opel-Gang Teil II – Im Wendekreis des Opels. Obwohl der Hype um Autos der Marke Opel von den Hosen zunächst noch ernst gemeint zu sein schien, entpuppte sich dieser im Lauf der Zeit als Ironie.

Ein neuer Hype um die einst beliebte Marke blieb in jüngster Vergangenheit zum Nachteil des Konzerns aus. Das Unternehmen kämpft derzeit mit wirtschaftlichen Problemen, man denke nur an die Schließung des Werks in Bochum Anfang Dezember 2014. Das traurige Ende eines seit 52 Jahren bestehenden Werkes konnten letzten Endes weder die Mitarbeiter noch die Chefetage verhindern, trotz der erbaulichen Projekte, die die Angehörigen und Freunde der Opelaner in den vergangenen Jahren ins Leben gerufen haben (vgl. etwa Kinder singen Opel-Rettungslied).

Die Toten Hosen konnten die Welle der Entrüstung bzw. Begeisterung für Lieder, die den Autos der Marke Opel gewidmet waren, die sich aus ihrem Punksong entwickelt hat, sicher nicht vorhersehen; noch weniger, dass es die Opel-Gang mittlerweile sogar in Wirklichkeit gibt: 2001 wurde aus dem Titel der Toten Hosen ein eingetragener Verein. Auf dem Internetauftritt der Gang posieren die circa zehn Mitglieder mit Frau und Hund stolz vor ihren Merivas (www.opel-ganggermany.de/). Mehr Einsatz für den untergehenden Stern am Himmel der deutschen Automarken kann sich sicher nicht mal Campino wünschen.

Marina Willinger, Bamberg

Kitsch für einen guten Zweck. Zur deutschen Version des Band Aid-Projektes „Do They Know It’s christmas?“ (2014)

Band Aid Thirty (Text: Campino, Marteria, Thees Uhlmann, Sebastian Wehlings)

Do They Know It’s Christmas? (Deutsche Version)

Endlich wieder Weihnachtszeit (Campino [Die Toten Hosen])
Die Nerven liegen so schön blank (Philipp Poisel)
Egal ob’s regnet oder schneit (Clueso)
Wir treffen uns am Glühweinstand (Seeed)
Wir vergessen unsere Nächsten nicht (Andreas Bourani) 
Kaufen all die Läden leer (Ina Müller) 
Die ganze Stadt versinkt heut‘ Nacht im Lichtermeer (Jan Delay) 
Und du fliegst nur 6 Stunden weiter: Ärzte, Schmerzen ohne Grenzen (Marteria)
Kleine Jungs im Barcelona-Shirt malen ihre Träume an die Wände (Marteria und Max Herre)
Es gibt so viel Zukunft, so viel Vielfalt (Max Herre) 
In all den 54 Ländern (Cro)
Doch immer nur dieselben Bilder (Cro und Michi Beck) 
Gelbe Schutzanzüge auf all den Sendern (Michi Beck)
Du gehst durch den Dezember (Peter [Sportfreunde Stiller])
Mit einem Lied im Ohr (Steffi [Silbermond])

Do they know it’s Christmas Time at all? (Clemens [Milky Chance])

Wir feiern unsere Feste (Max Raabe)
Doch wir sehen nicht wie sie fallen (Wolfgang Niedecken)
Der Tod kennt keine Feiertage (Udo Lindenberg) 
Und schon ein Kuss kann tödlich sein (Sammy Amara [Broilers] und Anna Loos)
Kein Abschied und keine Umarmung (Peter Maffay)
Jeder stirbt für sich allein (Thees Uhlmann & Joy Denalane)

Do they know it’s Christmas Time at all? (Gentleman)
Do they know it's Christmas Time at all? (Patrice)
Do they know it's Christmas Time (Chor)

Und auf all den Feiern (Clemens [Milky Chance])
Von hier bis nach Monrovia (Jan-Josef Liefers)
Denken wir daran in dieser stillen Nacht (Adel Tawil)

Do they know it's Christmas Time at all? (Campino)
Do they know it's Christmas Time at all? (Inga Humpe [2Raumwohnung])
Do they know it's Christmas Time (Chor)
Heal the world (Chor) 
Heal the world (Donots)
Heal the world (Chor)
Let them know it’s Christmas Time. Heal the world (Gentleman und Patrice)
Let them know it’s Christmas Time (Jennifer Rostock)
Heal The World.

Do we know it's Christmas Time at all.

Heal The World.

Let them know it's Christmas Time again (Chor)

     [Band Aid 30: Do They Know It’s Christmas? (2014). Polydor 2014.]

 

Es ist so weit, der Advent ist wieder da und mit ihm auch die kopfschmerzbereitende Geschenkefrage, die Plätzchenbäckerei und die in Endlosschleife gespielten Weihnachtslieder im Radio. Ja, wir hassen den Hype manchmal, der mittlerweile um die Weihnachtsfeiertage zelebriert wird, aber entziehen können wir uns ihm nicht. Und ganz ehrlich – am Ende lässt sich doch jeder von der hektischen, aber trotz allem besinnlichen Stimmung mitreißen. Denn der Grundgedanke dieses Festes berührt letztendlich jeden von uns. Das hat sich in diesem Jahr auch Bob Geldof zum Ziel gesetzt, den vor einigen Wochen die UNO darum gebeten hat, zum Jubiläum seines Klassikers Do they know it’s christmas? von 1984 eine Neuauflage zugunsten der Ebola-Opfer in Westafrika zu produzieren. Der Sänger ließ sich nicht lange bitten, sondern trommelte im Handumdrehen eine Gruppe stimmgewaltiger Briten (u.a. Ed Sheeran, Sinead O’Connor und Chris Martin) zusammen, die den Song in unveränderter Form neu aufnahmen. Da dieses Projekt, das Band Aid genannt wird, in dieser Art schon des Öfteren organisiert wurde, zuletzt 2004, als das Geld zur Bekämpfung einer Hungersnot im afrikanischen Sudan verwendet wurde, ist es nicht unbedingt eine Überraschung, wenn der Weihnachtshit auch dieses Jahr wieder im Radio rauf und runter gespielt wird. Neue Töne werden diesmal allerdings aus den deutschen Lautsprechern schallen. Zum ersten Mal nämlich gibt es auch eine deutsche Version des Band Aid-Projektes, das von Campino, dem Frontsänger der Punkrockband Die Toten Hosen, auf Anfrage/Bitte/Auftrag von Bob Geldof in die Wege geleitet wurde. Der Rocksänger wurde Anfang November von seinem alten Bekannten angerufen, der ihm, wie Campino im ZEIT-Interview gestand (vgl. „Do they know it’s christmas?“: Heilt die Welt!), keine andere Wahl ließ als zuzusagen, den deutschen Beitrag zu organisieren. Kurz darauf, am 13. November, war Campino in der Lage, sein All-Star-Team vorzustellen, für das er fast die gesamte deutsche Pop-Elite gewinnen konnte. Rund dreißig Musiker haben Do they know it’s christmas? nun neu aufgenommen und jeder von ihnen singt i.d.R. eine Textzeile der Übersetzung, die Campino zusammen mit Thees Uhlmann, Sebastian Wehlings (u.a. Texter von Adel Tawil) und Marteria in mühevoller Kleinarbeit erarbeitete. Das allein sei laut dem Punksänger schon ein „Himmelfahrtskommando“ gewesen, wie er im Morgenmagazin von ARD/ZDF berichtete (vgl. Sendung vom 21.11.2014). Die Musiker hätten sich bemüht, den deutschen Text des Klassikers von all den Flachheiten zu reinigen, die, wie Bob Geldof selbst zugab, im Original steckten. Campino wollte mit seinem Team einen Song schaffen, hinter dem die deutschen Musiker stehen könnten und der frei von den Klischees und Undifferenziertheiten ist, die in der Gegenwart sowieso schon überhandgenommen haben. Natürlich ist der Song immer noch Kitsch – aber dafür Kitsch auf hohem Niveau.

Als Beispiel für eine solche Flachheit des Originals kann die Textzeile „And there won’t be snow in Africa this Christmas Time“ dienen. So hat man sich schließlich für einen komplett neuen Text entschieden, der nicht wie die Originalversion auf Hungersnöte eingeht, sondern spezifisch auf die Ebola-Epidemie verweist: „Gelbe Schutzanzüge auf all den Sendern“. Daher haben Campino und Co. auch den Refrain-Zusatz „Feed the world“ in „Heal the world“ verwandelt (und dabei Michael Jacksons Metapher wörtlich genommen). Manchmal sind Neuerungen einfach unumgänglich. Der Text überzeugt zwar nicht von tiefsinnigen Betrachtungen über das Elend in Afrika und er stellt auch nicht mit erhobenem Zeigefinger Moralvorstellungen in den Mittelpunkt. „Natürlich ist es ein Kitschlied“, meinte selbst Campino dazu. Aber es ist schon eine Leistung, dass der Text nicht in den Ohren weh tut, sondern man sich trotzdem noch an ihm erfreuen kann.

Do they know it’s christmas? wird mit seinem Bezug zur deutschen Alltagssprache zu einer Weihnachtshymne, in der Campino und Co. unter anderem auch deutsche Sprichwörter miteinbezogen haben: „Wir feiern unsere Feste / doch wir sehen nicht wie sie fallen“. Diese Redewendung verwendete in jüngster Vergangenheit schon die Newcomerin Julia Engelmann, die Anfang des Jahres mit ihrem Beitrag One Day/Reckoning Text beim Bielefelder Campus TV Hörsaalslam, einem Poetry-Slam-Wettbewerb, für Furore sorgte: „Lasst uns Feste wie Konfetti schmeißen, sehen, wie sie zu Boden reißen und die gefallenen Feste feiern, bis die Wolken wieder lila sind“. Man sieht, die junge Slammerin und auch die deutsche Band Aid-Gruppe haben mit der Botschaft, die sie in ihren Werken vertreten, irgendwie den Nerv der Zeit getroffen: Müssen die Deutschen mittlerweile daran erinnert werden, die Feste dann zu feiern, wann sie sind, anstatt sie aufzuschieben, obwohl der übervolle Terminkalender sowieso keinen Platz für sie lässt? Der Text appelliert also nicht nur an unsere Hilfsbereitschaft, sondern auch an unser Unvermögen, unseren Wohlstand so zu genießen, wie es ihm gebührt. Eine recht philosophische Botschaft für solch eine leichte Lektüre, wenn man es sich recht überlegt.

In diesem Sinne ist es wohl auch ein großer Pluspunkt des Projektes, dass sich Musiker aus so vielen unterschiedlichen Genres an der Spendenaktion beteiligen, die dem Song alle individuelle Stimmungen und Schattierungen geben, kurz, die dem Text, so verschieden wie diese Sänger sind, ihren Stempel aufdrücken. Es finden sich hier etablierte Interpreten aus Pop und Rock, aber auch unbekanntere Musiker aus dem Soul wie Joy Denalane oder dem Reggae wie Patrice. Abwechslung bieten insbesondere die Textzeilen der Rapper Marteria und Max Herre, die genau wie Cro und Michi Beck (Fanta 4) die idyllische Stimmung gesanglich wie textlich wieder auf den Boden holen: „Und du fliegst nur sechs Stunden weiter: Ärzte, Schmerzen ohne Grenzen“. Natürlich könnte man sich nun fragen, weshalb Herbert Grönemeyer und Schlagerstars wie Helene Fischer oder Andrea Berg nicht bei dem Projekt mitgewirkt haben. Auch eine deutsche Diskursband wie Tocotronic hätte sich in der bunten Vielfalt an Musikercharakteren sicher gut gemacht. Letztendlich spielt es aber keine Rolle, wer dabei war und wer nicht. Und Campino stellte außerdem ganz schnell klar, dass er „über die reden möchte, die mitgemacht haben und nicht über die, die nicht mitgemacht haben.“ (vgl. „Do they know it’s christmas?“: Heilt die Welt!)

Der Kampf gegen Ebola hat also dazu geführt, dass Musiker wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten (und von denen sich mit Sicherheit einige bei der ECHO-Verleihung lieber aus dem Weg gehen), ein Lied produziert haben, das wider aller Erwartungen sogar richtig gut geworden ist. Der Band Aid Trust entscheidet schließlich, wem die Einnahmen aus dem Verkauf der Singles und Downloads zugespielt werden. Die Entwicklung eines neuen Impfstoffes ist neben der Bekämpfung des akuten Ausbruchs der Krankheit das Hauptanliegen der Bemühungen. Aber trotz des guten Zwecks wurden schon vor Veröffentlichung des Videos des deutschen Band Aid-Beitrags am Freitag, dem 21.11.14, kurz vor den Tagesthemen um 20.00 Uhr, kritische Stimmen laut. „Schlimmer als Ebola“ sei diese Version, die nur eine „neue Eskalationsstufe von Scheiße“ erreichen würde, wertete das Vice-Magazin den Beitrag ab. Harte Worte in Anbetracht der noch härteren Lage in Afrika. Natürlich könnte man die Künstler, die sich daran beteiligten, bezichtigen, dies nur wegen des Imagegewinns zu tun und auch für die Plattenfirmen bietet sich hier ein kostenloses globales Marketingmittel. Der Appell¸ der mit dem Lied aus dem Radio in unsere Ohren transportiert wird, grenze an zwischenmenschlichen Druck, der auf uns aufgebaut werden würde, sodass man gar keine andere Möglichkeit habe, als die Single zu kaufen. Das könnten schon alles wahre Worte sein. Aber muss man bei einem einfachen Popsong, dessen Gewinne lediglich an eine Hilfsorganisation gehen, gleich von modernem Ablasshandel sprechen, der uns wie eine Drohung mit dem Fegefeuer einschüchtert? Nun, diese Ansicht ist mit Sicherheit leicht übertrieben. Campino hält das alles jedenfalls für „beispiellosen Zynismus“. Und wenn man folgende Zeilen auf dem Internetauftritt des Vice-Magazins liest, dann stimmt man ihm auch schon mal zu: „2014 hat soeben offiziell seine Bewerbung für das beschissenste Jahr der Weltgeschichte eingereicht, 1939 kriegt schon kalte Füße.“ (Nicht mal Ebola rechtfertigt die deutsche Version von „Do They Know It’s Christmas“, 18.11.14). Soll man da lachen oder weinen? Man weiß es einfach nicht.

Die Ambivalenz eines solchen Projekts zeigt sich darin, dass zwar ungewiss ist, in welchem Umfang der die Veröffentlichung dieses Songs den Ebola-Opfern hilft, dass er jedoch uns  in jedem Fall hilft, uns in Weihnachtsstimmung zu versetzen. Denn das ist heutzutage ja auch, um Campino zu zitieren, „ein Himmelfahrtskommando“.

 Marina Willinger, Bamberg