Lohnt sich das? Inszenierungen von Liebeskummer und deren gesellschaftspolitische Transparenz im populären Lied der 60er Jahre: „Liebeskummer lohnt sich nicht“ (1964) von Siw Malmkvist und „I’ll Never Fall in Love Again“ aus dem Broadway-Musical „Promises, Promises“ (1968)

Siw Malmkvist

Liebeskummer lohnt sich nicht (Text: Georg Buschor)

Oh, Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling 
Schade um die Tränen in der Nacht 
Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling 
Weil schon morgen dein Herz darüber lacht

Im Hof da spielte sie mit Joe von vis a vis 
Doch dann zog er in eine andre Stadt 
Wie hat sie da geweint um ihren besten Freund 
Da gab ihr die Mama den guten Rat

Oh, Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling, oh no
Schade um die Tränen in der Nacht, yeah, yeah 
Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling 
Weil schon morgen dein Herz darüber lacht

Mit achtzehn traf sie Jim, sie träumte nur von ihm 
Zum ersten Mal verliebt, das war so schön 
Doch Jim, der war nicht treu und alles war vorbei 
Da konnte sie es lange nicht verstehen

Oh, Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling 
Schade um die Tränen in der Nacht 
Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling 
Weil schon morgen dein Herz darüber lacht

Bis dann der eine kam, der in den Arm sie nahm 
Nun gehen sie durch ein Leben voller Glück 
Und gibt's von Zeit zu Zeit mal einen kleinen Streit 
Dann denkt sie an das alte Lied zurück

Oh, Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling, oh no 
Schade um die Tränen in der Nacht, yeah, yeah 
Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling 
Weil schon morgen dein Herz darüber lacht 
Weil schon morgen dein Herz darüber lacht

     [Siw Malmkvist: Liebeskummer lohnt sich nicht. Metronome 1964.] 

 

In diesem Clip spielen das Lied Kristin Chenoweth und Sean Hayes, Hauptdarsteller des Broadway-Revivals von Promises, Promises im Jahr 2010.

Hal David

I'll Never Fall in Love Again

[Sie:]
What do you get when you fall in love?
A guy with a pin to burst your bubble
That's what you get for all your trouble
I'll never fall in love again
I'll never fall in love again

What do you get when you kiss a guy
You get enough germs to catch pneumonia
After you do, he'll never phone ya
I'll never fall in love again
I'll never fall in love again

Don't tell me what it's all about
Cause I've been there and I'm glad I'm out
Out of those chains those chains that bind you
That is why I'm here to remind you

[Er:]
What do you get when you give your heart
you get it all broken up and battered
That's what you get, a heart that's shattered,
I'll never fall in love again
I'll never fall in love again

Out of those chains those chains that bind you
That is why I'm here to remind you

What do you get when you fall in love?
You only get lies and pain and sorrow
So for at least until tomorrow
I'll never fall in love again
I'll never fall in love again

Liebeskummer (veraltet: Herzeleid) bezeichnet umgangssprachlich die emotionale Reaktion auf unerfüllte oder verlorene Liebe. […] Fast alle Menschen erleiden ein- oder mehrmals in ihrem Leben Liebeskummer. Dies ist für gewöhnlich harmlos, […]. In der Psychiatrie wird der Liebeskummer dennoch seltener zur Kenntnis genommen.

(Wikipedia-Eintrag zu Liebeskummer)

Herzeleid und heartache

Liebeskummer geht alle an. Folgt man dem Wikipedia-Eintrag und dessen demokratischer Definition, dann erleiden „fast alle Menschen“ einmal (die Glücklichen) oder mehrmals (die weniger Glücklichen) Liebeskummer. Nimmt sich die Psychiatrie dieses Phänomens eher weniger an, soll es hier die Literaturwissenschaft tun. Wie die Einträge zum Minnesang in diesem Blog zeigen, gibt das herzeleid seit der mittelalterlichen Lyrik Grund zur literarischen Klage. Der Begriff Liebeskummer löst das mittelhochdeutsche herzeleid, also ‚das klagende, kummervolle Unglücklichsein des Herzens oder gar der ganzen Seelenverfassung eines Menschen‘ erst in der frühen Neuzeit ab. Im Englischen heartache, dem ‚Herzschmerz‘, ist die ursprüngliche Bezeichnung von Liebeskummer im anglophonen Sprachraum noch erhalten. Herzensangelegenheiten verbinden, über den Sprach- und Kulturraum hinaus, und scheinen einen gemeinsamen Kern zu haben, wie auch immer er in der Sprache Ausdruck findet.

Gerade in Zeiten, in denen im Westen, in Amerika und Europa, mehr und mehr Nationalismen aufziehen, scheint es mir wichtig, zu betrachten, was uns verbindet. Eine emotionsgeschichtliche Konstante wie das Herzeleid bietet sich da besonders an, den Menschen vor die nationale Identität zu stellen, über Grenzen hinweg. Freilich ist die Emotion der Liebe und die Reaktion auf unerfüllte Liebe, also der Liebeskummer, vielfältig und, mit Judith Butler gesprochen, zum Großteil ein performativer Akt, der im Gesellschaftsgefüge erlernt wird und zur Stabilität eine heteronormativen Weltordnung beiträgt. Wenn man literaturwissenschaftlich versucht, Emotionen zu definieren, kommt man zudem schnell an den Punkt, an dem man sagen muss: Jede linguistische Definition ist nur eine annähernde Abbildung eines psycho-biologischen und kulturell ererbten Persönlichkeitsprozesses, die am eigentlich Ziel vorbeiführt. Und das mag die beste Definition sein, die sich finden lässt. In dieser komparatistischen Liedtextanalyse sollen somit keine absoluten Aussagen über den Prozess des Liebeskummers gemacht werden, sondern seine Inszenierung im gesellschaftspolitischen Kontext der 1960er in Deutschland und den USA betrachtet werden.

Wie die parallele Wortgeschichte von Liebeskummer/Herzeleid und heartache zeigt, scheint, zumindest im soziokulturellen Diskurs, die Emotion von Liebeskummer im westlichen Kulturkreis grenzüberschreitend konstant zu sein. Oder flapsig gesagt: Liebeskummer war wohl zu allen Zeiten und in allen Ländern irgendwie gleich scheiße, und Leute hatten das Bedürfnis darüber zu schreiben. Folgt man der Beliebtheitsskala des Wortes Liebeskummer (im DWDS) durch die Jahrhunderte seit dessen Aufkommen zu Beginn des 17. Jahrhunderts, wurde dieses Bedürfnis von der frühen Neuzeit hin zur romantischen Periode immer stärker, und nahm dann ab dem 19. Jahrhundert sprunghaft zu. Mit der Freiheit einer bürgerlichen Individualgesellschaft kam dann wohl auch die Freizeit, sich Gedanken zu machen – über die Liebe und das Leid, wenn die Liebe nicht erhört worden ist oder nicht von Dauer war.

Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, die Wortkurve steigt weiterhin steil an, existiert dann ein ausgereifter Kanon an Liebeskummertexten auch in der Populärkultur. Liebeskummerlyrik im Schlagerbereich, wie Siw Malmkvists Liebeskummer lohnt sich nicht (1964) in Deutschland und Brut Bacharachs und Hal Davids I’ll Never Fall in Love Again aus dem Broadway-Boulevardmusical Promises, Promises (1968) sind Beispiele dafür. In den 50ern und 60ern wurde die Herzschmerzperformanz besonders für eine heranwachsende Teenager-Generation interessant. Für die baby boomer wurde die Darstellung von heteronormativer Idealliebe und Beziehung zum Lebensinhalt – von Hollywood-Romanzen vorgelebt, in Groschenromanen nacherzählt und in Haus- und Heimmagazinen hochglanzbeleuchtet. Und das Abwesend-Sein der perfekten Liebe musste ebenso gesellschaftlich inszeniert und damit persönlich verarbeitet werden wie das Zur-Schau-Stellen des Eherings.

Die herzschmerzende Klageperformanz zeigt sich auf beiden Seiten des Atlantiks als Reaktion auf unerfüllten Liebe in ähnlicher Weise. In beiden Hits ist eine Protagonistin von einer Beziehung zu einem Mann enttäuscht worden und verarbeitet nun diese Erfahrung. Die eine erkennt mit stoischer Gelassenheit, dass sich Liebeskummer eigentlich ja gar nicht lohne (im Schlager). Die andere schwört trotzig, dass sie sich nie wieder verlieben werde (im Musical). Die Grundsituation ist also vergleichbar, die Umsetzungen des Liebeskummers allerdings unterscheiden sich, und das lässt sich mit Bezug auf Veränderungen in der gesellschaftspolitischen Lage zwischen den frühen und den späten 1960ern kontextualisieren. In Malmkvists Schlager ist die Reaktion beschwichtigend und vertröstend, ist eine passive Annahme der Situation (und eines gesellschaftlichen status quo / Systems), in Bacharachs Lied zeigt sich trotziger Protest und ein aktives Infragestellen der Konventionen eines patriarchal dominierten Liebessystems. Das enthält emanzipatorische Züge.

Auf der Zeitachse der Kulturgeschichte der 1960er eingeordnet erlaubt es der vergleichende Zugang zu den beiden Texten, feine Unterschiede in der Darstellung von Liebeskummer im populären Lied nachzuzeichnen und diese in Bezug zu gesellschaftspolitischen Wandlungsprozessen zu setzten.  Im Folgenden werde ich zeigen, wie beide Lieder in ihrer Inszenierung von Liebeskummer transparent für ein soziokulturelles Klima sind. Liebeskummer lohnt sich nicht ist  mit seiner Beschwichtigungs-Ästhetik noch noch sehr stark im konservativen Familienmilieu der frühen Sechziger oder späten Fünfziger verankert. I’ll Never Fall in Love Again, eine halbe Dekade später verfasst, zeigt im Hinterfragen der Liebe auch das rebellische Potential einer Gesellschaft im bürgerbewegten Umbruch.

Geteiltes Leid: Die 1960er in den USA und Deutschland

Redet die Presse seit den vergangenen Wochen gerne von einem Ende der liberalen, kulturell einflussreichen USA, wie man sie Mitte des 20. Jahrhundert verehrte, waren diese USA in den hippen 1960ern gerade auf dem Höhepunkt ihres Kulturimperialismus. Sie beeinflussten mit ihren Kulturprodukten (Filmen, Literatur, Kunst) Europa und dabei mit ihrer Präsenz als eines der alliierten Länder besonders das Deutschland der Nachkriegszeit. Im Nachkriegsdeutschland (BRD und im Untergrund auch in der DDR) wurde die USA zum Sehnsuchtsbild, wie es bei Goethe vielleicht Italien war. Die pinksüßen Kaugummis, verteilt von stattlichen GIs, wurden zu verheißungsvollen Farbklecksen in der grauen Trümmerlandschaft. Und so wie sich kommerzielle Produkte der USA über Deutschland verteilten, verteilten sich auch englische Wörter und Inszenierungsstrategien der Liebe über die Schalgertexte. Gitte wollte einen Cowboy als Mann und, die Richtung des Kulturtransfers (ironisch?) umkehrend, sang Billy Mo sang amerikanisiert vom Tiroler Hut. Und Siw verliebt sich in die amerikanischen Nameskürzel „Jim“ und „Joe“. Ihre Mutter redet sie mit „Darling“ an, nicht mit Schätzchen. Deutschland und die USA teilten also mehr und mehr Kulturgut, das bei all den Unterschieden auch viele Gemeinsamkeiten schuf, im Verständnis von Gesellschaft und im Liebesdiskurs. Geteiltes Leid.

In Deutschland und den USA haben sich in den 1960er Jahren zudem in ähnlicher Weise politische Einstellungen gewandelt und dies vor allem im Bezug auf die patriarchale Dominanz einer Männer- und Vätergeneration, die so redete, als habe sie alles im Griff, deren Taten und (Miss-)Erfolge allerdings eine andere Sprache sprachen. Zu Beginn der Epoche noch recht konservativ geprägt in Fragen der Geschlechtergleichgerechtigkeit, aus stabilen wirtschaftswundernden 1950ern kommend, münden die Sechziger am Ende der Dekade in eine Zeit der Rebellion, die nicht nur ein Land, sondern einen Kulturkreis betrifft. In Bürgerrechtsbewegungen in den USA begehren vom weißen, heteronormativen System Unterdrückte gegen patriarchale Obrigkeiten auf. Der Vietnamkonflikt erhitzt die Gemüter und reißt amerikanische Mythen in Stücke, vom Kriegshelden bis zum Vorzeigepolitiker.

Auf der anderen Seite des Atlantiks, in Deutschland, brodelt schließlich die unterdrückte Vergangenheit der Väter (und Mütter) über und führt zu gewalttätigen Protesten, Studentenrevolten, RAF und einer Spaltung zwischen bürgerlicher Spießigkeit und deren Beschwichtigungstaktiken gegen den offenen Widerspruch einer jungen Generation. In beiden Ländern, USA und Deutschland, sind die 68er Ausdruck eines sich wandelnden gesellschaftspolitischen Bewusstseins. Das zeigt sich auch in einer geänderten Auffassung von gender-Rollen. Diese Entwicklung und Emanzipationsdynamik überträgt sich schließlich auf die Darstellung von Liebeskummer in einem Lied aus der ersten Hälfte der 1960er und einem vom Ende dieser Dekade.

Milchmädchenrechnung

In Liebeskummer lohnt sich nicht wird die tragikomische Liebesbiografie der besungenen Protagonistin („sie“) von einer narratorialen Sprechinstanz präsentiert. Drei Episoden aus dem Liebesleben einer namenlosen Tochter werden erzählt: Die Herzbruch-Sitautionen bewegen sich allerdings alle im Bereich der Unschuld und sprechen somit nicht von einer promiskuitiven Frau, sondern einem anständig erzogenen Kind. Die erste Liebe (zu Joe) ist eine Kindergartenliebe oder sehr enge Freundschaft, wohl in der ersten Dekade des Lebens des jungen Fräuleins. Die zweite liegt dann in den späten Teenager-Jahren („mit 18“) – eine Schulhofliebe, mit Kussraub, aber wohl nicht viel mehr. Die dritte, folgt man der Dekaden-Logik, liegt dann in den Zwanzigern der jungen Frau. In dieser auf das Heiratsalter genormten Dekade findet sie dann auch den Mann fürs Leben. Kleine Ehestreitigkeiten erschüttern das Ehekonzept nicht. Die Altersprogression passt ins gesellschaftlich normierte Rollenbild der späten 50er und frühen 60er. Unter die Haube kommt die Frau in den Zwanzigern, noch frisch zum Kinderkriegen, kräftig zur Hausarbeit, zum Kochen am heimischen Herd, und zudem adrett. Kleine Zwistigkeiten scheinen zur erwartbaren gesellschaftlichen Inszenierung ehelicher Zweisamkeit zu gehören.

Wer genau die Sprechinstanz des Lieds ist, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Die Sprechsituation und die Star-Person von Siw Malmkvist legen allerdings nahe, dass wir uns hier in einem weiblichen Diskurs befinden, in dem der mütterliche Ratschlag von Generation zu Generation weitergeben wird. Man kann sich eine mis-en-abyme-Struktur der konservativen gesellschaftspolitischen Pädagogik vorstellen. Der Ratschlag wird durch kontinuierliche Wiederholung potenziert, dadurch eintrainiert und somit der status quo gesichert. Eine wirkliche Progression gibt es in dieser Struktur nicht, ähnlich wie beim Lied vom Mops, der immer wieder in die Küche kommt und dort geschlachtet wird. Ob nun die Mutter im Rückblick ihrer Tochter erzählt, wie diese frühere Liebeskummer ja spielend überstanden habe, oder die Tochter ihrer eigenen Tochter, oder Siw Malmkwist einer weiblichen Hörerschaft, ist dabei zweitrangig. Die inszenierte Sprechsituation schlägt das Lied als Lehrstück einer Performanz angemessener Weiblichkeit und einer weiblicher Reaktion auf Liebesleid vor.

Eine etwas komplexere Lesart mit Bezug auf den Genderkontext des Lieds erlaubt die gefilmte, halb-szenische Darbietung des Schlagers von Malmkwist (aus den 60ern, siehe Video). Hier sieht man zunächst auch trauernde Jünglinge, aufgereiht sitzend, Geliebten nachweinend, die auf der anderen Seite der Studiobühne drapiert sind. Freilich ist das Erleiden des Liebeskummers nicht auf ein Geschlecht festgelegt. Der Minnesang spielt ja eben auch immer wieder mit beiden Rollen und dem Ausdruck von Liebesklage (Frauenstrophe / Männerstrophe). Auch der Beginn des Lieds mit der Refrain-Strophe als universaler Präambel erlaubt eine Lesart, die das Lied für eine gemischte Hörerschaft ausweist.

Hierin liegt auch ein Grund, warum diese Öffnung zu beiden Geschlechter hin nicht der konservativen Unterspur widerspricht, die ich in meiner Analyse vorschlage: Im populären Lied geht es freilich auch darum, möglichst viele Hörerinnen und Hörer (= Käufer) anzusprechen. Die mediale Verbreitung eines Lieds mit einer Performance für beide Geschlechter ist wohl vor allem auch  kommerziell motiviert und weniger eine bewusste Aufweichung von gender-Normen. Vielmehr zeigt sie ein Bewusstsein der Produzenten dafür, dass die Thematik des Lieds, dazu noch weiblich gefasst, in einem konservativen Gesellschaftsdiskurs zunächst nur eine weibliche Hörerschaft ansprechen könnte. Dem möchte man entgegenwirken. Gleichzeitig erhält der Schlager tröstende Allgemeingültigkeit für beide Geschlechter durch eine Übermutterstimme, die Liebeskummersituationen durch die rückblickende Erfahrung eines Erwachsenen einordnet und beruhigt.

Ist der Liebeskummer selbst somit auch nicht eindeutig gegendert, so ist es wohl doch der beschwichtigende Umgang damit. Nachdem in den Strophen des Lieds schlaglichtartig die zwei Momente enttäuschter Verliebtheit und das Eheglück der Tochter berichtet worden sind, gibt dann der Refrain in direkter, anglisierter Ansprache (“Darling”) den wiederholten Trost der Mutter wieder, dass sich Liebeskummer ja eigentlich nicht lohne, da er – nach dem Phasen des kummervollen Leidens, die die Mutter mit ihrer Erfahrung bereits kennt – ja bald in Lachlustigkeit umschlage. Dieser Blick auf den unbeirrbaren Lauf des (Gefühls-)Lebens, aus dem man als Hörerin schließlich die Kraft des Weitermachens (im Sinne von Ausharren mit Blick auf eine entspanntere Zukunft) zieht, ist eine der Kernkonventionen des Schlagergenres (man denke an Heile, heile Gänsje und Immer wieder geht die Sonne auf). Der Komfort kommt aus der Passivität, die mit solch einem Fatalismusglauben kommt und gesellschaftlich rückversichert wird. Der Schlager also begehrt nicht auf, sondern beschwichtigt, und zwar begründet mit kapitalistischer Logik: Liebeskummer lohnt sich nicht, denn warum jetzt ärgern, wenn er morgen schon wieder vorbei ist. Der Kummer kostet nur unnötig Kraft und hat keinen (lebens-)ökonomsichen Wert, ist eine schlechte Rechnung für Milchmädchen. (Und wohl auch für Milchbuben.)

Aus der Geschlechterperspektive entwirft der Schlager den Liebeskummer also entlang heteronormativer Kapital-Rhetorik, ererbt aus den konservativen 1950ern unter Adenauer und dem Aufschwung wirtschaftlichen Wohlstands. Die Rolle der (ab)wartenden passiven Frau im Beziehungsgefüge wird somit subtil eintrainert. Durch die gefasste Inszenierung von Liebeskummer werden werden weitere Geschlechter-Konventionen sichtbar. Der Ort des Auslebens von Liebeskummer ist dabei klar konservative gefärbt: Die Tochter befindet sich im häuslichen Raum, am Heimatort. Dort gibt die Mutter die weibliche Konvention des Trostspendens (neutral gesagt) oder Vertröstens (politisiert) an die Tochter weiter. Die Tochter selbst bleibt anscheinend statisch an einem Ort, während ihre verflossenen männlichen Lieben mobil sind, räumlich und in der Wahl der Partnerin. Der erste zieht weg, der zweite hat eine andere, und die Tochter den Ärger an der Backe. Das aber wird nicht innerfiktional kommentiert oder gar kritisiert, vielmehr wird es ebenso wie die Liebeskummerphasen als natürlicher Lauf im Gesellschaftsgefüge hingenommen (im Vergleich: eine emanzipierte Reaktion auf vorbeiziehende Männer stellt das fast sechzig Jahre ältere Lied vom dummen Reiter dar).

Ja, es scheint geradezu die Aufgabe der Frau zu sein, eine Bewältigungsstrategie bei Liebeskummer zu erlernen und auch anzuwenden. Das bildet eine klare Teilung im 50er/60er Jahre Rollenbild ab: Der Mann agiert im öffentlichen Raum, wird als starker Part dargestellt und mit Emotionsverarbeitung nicht assoziiert. Die Frau ist im häuslichen Raum für weiche Gefühlsthemen zuständig. Ebenso: Die Figur des Vaters ist in diesem Reigen als Trostspender absent. Umgekehrt heißt das für die Maskulinitätskonstruktion, dass in diesem herzzerreißenden Schlagerohrwurm auch für Männer bestimmte Konventionen vorausgesetzt werden: Die männliche Perspektive fehlt. Warum? Weil männliches Liebesleid in der normierten gesellschaftlichen Beziehungsinszenierung der 50er und frühen 60er nicht vorkommt? Weil Männer ja eigentlich gar keinen Liebeskummer haben (dürfen), sondern dafür bekannt sind, ganz ohne Probleme von Frau zu Frau zu hüpfen? No strings attached. Bei solch einer Leerstelle kommt man schnell ins Überinterpretieren, aber gerade im Vergleich mit dem folgenden, gesellschaftlich progressiveren I’ll Never Fall in Love Again fällt diese Absenz der männlichen Perspektive besonders auf, und fordert eine Ausdeutung geradezu heraus.

Nichts als Versprechen

Nun agiert auch, wie eingangs aufgezeigt, die Broadway-Boulevardkomödie Promises, Promises (1968) von Hit-Duo Burt Bacharach und Hal David (Raindrops Keep Falling on my Head, Do You Know the Way to San Jose), Buch Neil Simon (Lost in Yonkers, Pulizer Prize 1991), vor einem ähnlichen gesellschaftspolitischen Hintergrund. Doch die Gender-Parameter haben sich, gegen Ende der Epoche, etwas verschoben. Angelehnt an Billy Wilders Film The Apartment (1960) geht es in der Musikkomödie um einen Protagonisten, der seine kleine Wohnung an in der Betriebshierarchie höherstehende Kollegen für Stunden der außerehelichen Zweisamkeit vermietet. Die patriarchale Männerriege sieht kein Problem in der einen wie in der anderen Praxis. Im Hintergrund stehen die Ehefrauen in den Küchen und Kochen das Dinner. Das Musical allerdings zeigt auch eine Wende in der Einstellung gegenüber einer patriarchal geprägten kapitalistischen Gesellschaft. Die Regisseurin der Neuproduktion im Southwark Playhouse, London, aus dem Jahre 2017, Bronagh Lagan beschreibt diesen gesellschaftspolitischen Hintergrund der Komödie wie folgt: „[The musical is] [s]et on the backdrop of the sizzling, sixties, sexual revolution“ (Programmheft). Diese angedeutet Revolution im Denken schlägt sich auch in der Darstellung und Wahrnehmung von Liebeskummer innerhalb der popkulturellen Konventionen nieder.

Im Plot allgemein und besonders im Lied I’ll Never Fall in Love Again ist Liebeskummer nicht mehr nur weiblich konnotiert. Der Protagonist Chuck, ein klassischer amerikanischer anti-hero, ein hypochondrischer Pantoffelheld (im Film verkörpert von Jack Lemon), wie sie in der Mitte des 20. Jahrhunderts in den USA Bühne, Film und Literatur eroberten, hängt ständig romantischen Tragträumereien nach und hofft darauf, dass Fran ihn erhört. Fran wiederum wird von einem selbstherrlichen Firmenchef in einem Seitensprung ausgenutzt. Der Chef entscheidet sich am Ende doch dafür, bei seiner Ehefrau zu bleiben, und lässt Fran im gemieteten Apartment sitzen, wo sie schließlich von Chuck vor einer Überdosis an Schlaftabletten gerettet wird. In I’ll Never Fall in Love Again, das sie am nächsten Tag nach dem Aufwachen singt, übernimmt Fran die Führung. Sie drückt in ihrer Version der Verarbeitung von Liebeskummer ein deutliches Level an Unabhängigkeit aus. Unter dem Deckmantel der Konzeptkomödie erlaubt sich das Musical, die selbstherrliche patriarchale Gesellschaft und ihre leeren Versprechen (Promises, Promises)  bloßzustellen und herauszufordern. Der Liedtext, von einer selbstbewussten Frauenfigur vorgetragen, ist offene Kritik an der bräsigen 50er Jahre Männerwelt und ihren abgenutzten Vertröstungs-Parolen.

Zunächst einmal ist die Sprechsituation in I’ll Never Fall in Love Again schon anders, als im rund ein halbes Jahrzehnt zuvor veröffentlichten deutschen Liebeskummer-Schlager. Die geschädigte Frau spricht selbst, ist nicht zuerst weibliches Rollenmodel (markiert mit dem Identifikationspronomen sie für eine weibliche Hörerschaft), sondern ergreift das Mikrophon (oder im Videoclip die Gitarre, angelehnt an Audrey Hepburns Moon River; Frau + Gitarre = emanzipiert im Sinne der folkbewegten 60er?). Aber auch Fran kommt zu einem, wohlgemerkt, ebenfalls prosaisch-ökonomischen Ratschlag: Verlieben mag sie sich nicht mehr, denn: Was bringt’s? Mit ihrem Lied über das trotzige der Liebe Abschwören verwaltet sie allerdings nicht nur den Liebeskummer, sondern stellt das gesellschaftlich gewachsene System Liebe in Gänze in Frage. Siws Sprechinstanz tröstet in stiller Akzeptanz über den Kummer hinweg, aber damit eben auch über bestehende hetero-konservative Rollenmodelle. Frans Protestlied tut das nicht, ist rebellischer. In einer geschlechterpolitischen Lesart kann man ihr Anzweifeln der Liebe als Systemkritik auslegen, als In-Frage-Stellen von ererbten Partner-Konstruktionen, die den Mann privilegieren.

In den Sechzigern beginnen ebensolche Reflexionsprozesse auch in der Gesellschaft und münden schließlich in Forderungen nach sexueller Gleichberechtigung und liberaler Offenheit im civil rights movement. Die hier vorgeschlagene Interpretation ist freilich eine stark polarisierende Lesart der Inszenierung von Liebe/Liebeskummer in beiden Liedern, aber lassen Sie uns einmal sehen, was die Protagonistin zum Thema zu sagen hat, und vor allem, wie sie die Männer beschreibt, als Auslöser des Liebesübels – und am Ende gesellschaftlicher Ungerechtigkeiten? Fran fragt: „What do you get, when you fall in love?” Und dann macht sie eine recht ehrliche Rechnung auf, die in ihrer Liebeskummer-Ökonomie ähnlich argumentiert wie Siws Sprechinstanz, allerdings ist Frans Einschätzung bitterer und auch (psychologisch kurz nach einer Trennung nachvollziehbar) unromantischer. Ihre Antwort formuliert sie mit der Beschreibung männlich konnotierter Brutalität mit einem klaren männlichen Adressaten:  „A guy with a pin to burst your bubble.“  Sie spricht also über einen Typen, der mit einer Nadel seifenblasige Liebesträume zerstört. Die Konstellation entspricht natürlich immer noch den Konventionen heterosexueller Liebe. Weiterhin fragt sie, was passiere, wenn man das Liebesritual des Küssen ausübe. Man fange sich genug Bakterien ein, um eine Lungenentzündung zu bekommen „What do you get when you kiss a guy?/  You get enough germs to catch pneumonia“.

Überspitzt gesagt: Das Zentrum des patriarchal geordneten Liebes-Systems (der typisierte ‚guy‘) ist krank, aber nicht im positiven Sinne einer Liebeskrankheit (im Englisch ist man ja bekanntlich auch love sick, wenn man fürchterlich verliebt ist), sondern das System selbst, die konservative Liebe, die Abhängigkeit von Männern, erscheint als siech. Der männliche Akteur verursacht in beiden Strophen Schaden seinen weiblichen Gegenpart. Und ist die Frau dann infiziert, untergenordet und abhängig vom Mann, was passiert dann? In einem wunderbar gebrochenen, beiläufigen Reim, so gebrochen wie das Herz der Protagonistin, folgt auf die Pneumonie, ein sitzengelassen Werden: „After you do [get pneumonia], he’ll never phone ya.” Mit entsprechenden gesellschaftspolitischen Konnotationen gelesen zeichnet der Text mit den Wortfeldern Brutalität und Krankheit ein recht kritisches Bild von einer von männlichen Akteuren dominierten Beziehungs- und Gesellschaftssituation. Das erhält rebellisches Potential, gerade in einem Land wie den USA, in denen eine konservative Familienkonzeption so untrennbar mit wirtschaftlichen und politischen Erfolgen assoziiert wird. Der Plot des Musicals legt solch eine Auslegung zudem nahe, deutet doch bereits der Titel auf die scheinheiligen Illusionen einer maroden patriarchalen, amerikanischen Traumgesellschaft hin.

Liest man den Text auf diese Weise weiter gesellschaftspolitisch, spricht der Refrain sehr eindeutige Worte: „Cause I’ve been there and I’m glad I’m out / Out of those chains, those chains that bind you.” Die Metaphern sprechen die deutliche Sprache einer Bürgerrechtsbewegung, die auf Befreiung aus ist. Sexuelle und ethnische Minderheiten tun sich zusammen, um sich aus den Ketten zu befreien, in die sie von einer weißen, männlichen Gesellschaftsrodung geschlagen worden sind. Und von Männern die Welt erklärt bekommen, dass möchte Fran nicht. Sie akzeptiert kein mansplaining: „Don’t tell me what it’s all about“ ist hier an den Mann, präsent in der Szene, gerichtet aber auch allgemein an ein vages Gesellschaftspublikum. Das Wortfeld um chains (Ketten) ist eine beliebte Metapher in der Rhetorik der amerikanischen Freiheitsbewegung der 60er und weist auch auf die Intersektion zwischen den Diskursen über Frauenrechte, Homosexuellenrechte und Rassenzugehörigkeit hin.

Konkret nehmen in diesem Diskurs ‚Ketten‘ Bezug auf die Geschichte der Sklaverei in den USA. Die Symbolkraft der Ketten strahlt dabei auch auf gesellschaftspolitische Nachbardiskurse ab. So wird die Frauenbewegung im popkulturellen Diskurs der 60er immer wieder mit dem Bild der Befreiung aus Ketten in Verbindung gebracht. Im Kontext des populären Musiktheaters/-films der 1960er ist hier besonders eine Referenz auf Mary Poppins (von 1964!) interessant. In ihrem Protestlied Sister Suffragette, einer Pastiche auf politische Marschlieder des frühen 20. Jahrhunderts, verwendet Mrs. Banks ein ähnliches Bild: „Cast off the shackles of yesterday“ (‚werft die Ketten/Fesseln der Vergangenheit ab‘).  Zieht man also die Sprachsituation von I’ll Never Fall in Love Again im Vergleich mit Liebeskummer lohnt sich nicht heran sowie die in Komödien-Konventionen gepackte Kritik an der patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft in der Handlung und die rhetorische Umgebung des Liedes, lassen sich in dieser Inszenierung von Liebeskummer deutliche Angriffe auf einen hetero-konservativen Gesellschaftsordnung erkennen.

Dabei entwirft das clevere Lied, von zwei Männern geschrieben, allerdings nicht eine Schwarz-Weiß-Zeichnung von unterdrückter Weiblichkeit gegen böse Männlichkeit; auch das Klischee des gefühllosen Mannes, das man aus dem Siw-Schlager herauslesen kann, wird im Text unterwandert. Chuck übernimmt im zweiten Teil des Lieds eine Klageperformanz, die im amerikanisch-konservativen Gesellschaftsdiskurs der 1950er wohl als eher ‚unmännlich‘ (wie es zu einem weichen Anti-Helden passt) eingeordnet werden kann. Seine Strophen sind einer feminisierten Minne-Klage näher als der Wortarmut eines Cowboys à la John Wayne. Chuck präsentiert sich nicht als tough, sondern gefühlsbetont jammernd mit einer Akkumulation von Herzbruch-Metaphern: „What do you get when you give your heart / you get it all broken up and battered / […] a heart that’s shattered“. Ja, Chuck windet sich gar in seinem Schmerz mit einem überdeterminierten Polysyndeton, das den Herzensschmerz durch die Flüssigkeit der Konjunktionen noch verlängert („lies and pain and sorrow“) und schließlich mit sanfter amerikanischer Ironie abfängt: Verlieben wird sich Chuck niemals mehr – zumindest nicht bis morgen, „for at least until tomorrow“.

Im Nachhinein, in den späten 1990ern, fügt übrigens die amerikanische Schriftstellerin Annie Proulx dem politisch aufgeladen Liebes(kummer)diskurs der 1960er eine weitere Perspektive hinzu. In ihrer Geschichte Brokeback Mountain aus der Kurzgeschichten Sammlung Close Range zeigt sie, wie systemische Konventionen und Regulierungsmaßnahmen die Gedankenwelt der homosexuellen Cowboys Jack Twist und Enis del Mar infiltriert haben und schließlich zum tragischen Herzeleid führen. Auch hier sind es normierte (amerikanische) Männlichkeit-Mythen, die Verliebten in Ketten legen. Diese rückwärtige Interpretation der Wirkung des Gesellschaftspolitischen auf unglücklich Verliebte in den 1960ern zeigt, wie progressiv und subversiv I’ll Never Fall in Love Again bereits im Jahre 1968 ist. In seiner Inszenierung von Liebe und Liebeskummer legt das Lied nicht nur gesellschaftliche Mechanismen frei, sondern reflektiert und attackiert konservative Konventionen als (unnötigen) Ursprung von bestimmten Geschlechterzwängen für ein Individuum. Dies wird gerade im Vergleich mit Liebeskummer lohnt sich nicht deutlich.

Happy End?

Freilich haben die beiden Lieder, neben der Liebeskummer-Ökonomie, auch eine abschließende romantische Grundspur gemeinsam. Der deutsche Schlager und das amerikanische Musical müden in einer Art Happy End: In Promises, Promises wächst diese romantische Individual-Liebe aus der Befreiungs-Rhetorik des Lieds und endet schließlich, den Komödien-Konventionen entsprechend, in einer Paarbeziehung zwischen Chuck und Fran. So wird aus dem Liebesprotestlied schließlich doch ein unisones Liebesduett, wenn auch zwischen Gleichberechtigten. In Swis Schlager kommt das Happy End, entsprechend der Kernkonvention des Schlager-Genres, durch Abwarten und sich dem Schicksal fügen. Ehestreitigkeiten werden durch Erinnerung an das Mantra der Mutter schließlich weggelächelt. Mit dieser (eigentlich recht unromantischen) Beziehungspragmatik wird damit weiterhin die Verantwortung, Beziehungs-Imbalancen abzupuffern und für ein harmonisches Heim zu sorgen, der Frau übertragen.

In der romantischen Leitlinie beider Lieder dient die Phase des Liebeskummers psychologisch-dramaturgisch also der Vorbereitung einer abschließenden Liebeserfüllung. Na, dann hat sich am Ende der Liebeskummer ja doch gelohnt – zumindest im dramatischen Ablauf zweier Lieder.

Florian Seubert, London