„Das Fotoalbum oder die Gitarre“ – Zu Die Braut haut ins Auge: „Was nehm ich mit (wenn es Krieg gibt)?“ (1995)

Die Braut haut ins Auge

Was nehm ich mit?

Die Sirenen heulen, der Himmel ist feuerrot.
Ich lieg im Bett und wünschte, ich wär' tot. 
Nein, doch nicht gerade jetzt, denke ich entsetzt
und ziehe das Kissen übers Gesicht, doch auch das hilft mir nicht.
Draußen auf der Treppe hör ich ein Gepolter 
wie das Ende der Welt, nur noch viel lauter. 
Und die Frage aller Fragen, um die alles kreist, 
ist das, was ich nicht weiß:

Was nehm ich mit, wenn es Krieg gibt?

Das Fotoalbum oder die Gitarre
oder ziehe ich alle Lieblingssachen übereinander?
Wo ist der letzte Brief meiner Mutter geblieben? 
Auch die Schmuckschatulle kann ich nicht finden 
Das Telefon funktioniert nicht mehr,
also muß ich ganz, ganz schnell überlegen,
wer in der Nähe wohnt, der mir etwas bedeutet. 
Und zum ersten mal hab ich bereut,
dass ich alleine wohnen wollte.

Was nehm ich mit, wenn es Krieg gibt?

Jetzt ist es zu spät und ohne irgendwas 
renne ich auf die Straße, mein Gesicht ist nass 
Und zielstrebig laufe ich zur Autobahn, 
während irgendwo die ersten Bomben runterfallen 
Ich werde mein Leben ändern, jetzt sofort! 
Alles ist falsch, ich fange an von vorn 
Bei den Elbbrücken spüre ich einen heftigen Schmerz 
Ein Granatsplitter trifft mich mitten ins Herz 
Links von mir seh ich einen brennenden Schuhkarton, 
der aussieht wie ein Auto, so, das hab ich nun davon, 
wenn ich mir vorher nicht mal überlege, was ich mach 
Und während ich sterbe, denke ich noch:

Was nehm ich mit, wenn es Krieg gibt?

     [Die Braut haut ins Auge: Was nehm ich mit? BMG Ariola 1995]
Was kriegt man, wenn man Lassie Singers und Wir sind Helden kreuzt? Vermutlich Die Braut haut ins Auge, eine formidable, leider nicht mehr existente Band um Bernadette La Hengst. Sie sollten auf jeden Fall zu diesem Nullbegriff Hamburger Schule dazugezählt werden, denn sie sangen deutsch und verweilten in Hamburg. Einen anderen Zusammenhang scheint es bei den üblichen Vertretern auch nicht zu geben. Ein Highlight ihres Schaffens ist das Album Was nehm ich mit?, das mittlere von insgesamt nur 3 Studioalben. Von den vielen guten Liedern möchte ich an dieser Stelle das Titelstück vorstellen.
Zum Einstieg könnte man mächtige Abhandlungen über Ursprünge, Zusammenhänge, Emanzipation und Feminismus bezüglich des Begriffs Hamburger Schule verfassen, aber wir halten es am besten kurz. Die Ursprünge von Bernadette La Hengst liegen in Bad Salzuflen bei Fast Weltweit. Nachdem sie wie und wegen sovielen anderen nach Hamburg kam, gründete sie mit Peta Devlin, Katja Böhm, Karen Denning und Barbara Haß eine auschließlich weiblich besetzte Rockband – ein seltenes Phänomen. Vorbilder gab es praktisch nicht, mal abgesehen von den Liverbirds.Sie brauchten 4 Jahre, um ihr selbstbetiteltes Debütalbum zu veröffentlichen, ein Werk voller guter Ideen, die musikalisch recht grob umrissen wurden. Es wirkt roh, und es macht Spaß. Das letzte Album Pop ist tot hingegen ist sehr viel ausgefeilter, ja poppiger. Dazwischen liegt Was nehm ich mit?

Das Hauptthema des Albums ist ganz klassisch Liebe, allerdings oft aus Perspektiven, die man von ‚Männerbands‘ nicht gewohnt ist. Beim hier vorgestellten Titelstück findet es aber nur am Rande statt. Die Kunst des Liedes ist es vielmehr, sehr bildlich eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie es ist, wenn Bomben einschlagen und man flüchten muss. Für uns Glücksgeburten in Raum und Zeit (Formulierung gestohlen aus Fensterbrett von Dota & Die Stadtpiraten) eine unwirkliche Vorstellung. Das Beklemmende ist nicht nur diese bedrohlich reale Beschreibung, die sich mit dem Hören des Liedes unweigerlich vorm geistigen Auge abspielt. Es ist auch die Verlagerung ins Hier und Jetzt.

Die Frage ist klar: Was nehme ich mit, wenn es Krieg gibt? Hm, ja, gute Frage. Fotoalbum? Gitarre? Briefe? Schmuckschatulle? Die Sprechinstanz weiß es auch nicht. Und was dann? Letztendlich stirbt sie im Lied und bereut, so unvorbereitet zu sein.

Das Gruselige an diesem Lied ist, dass wir es in unserer Realitität total absurd finden. Für zahllose Menschen ist und war aber genau solch ein Szenario schrecklicher Ernst. Das löst dieses Lied in mir aus – eine ausnahmsweise sehr konkrete Vorstellung von Kriegsgräueln, die sonst oft so abstrakt wirken.

12 Jahre später haben Wir sind Helden, die zwar zurecht sehr erfolgreich sind, aber zu unrecht erfolgreicher als Die Braut haut ins Auge, ein erstaunlich ähnliches Lied veröffentlicht. Da schließt sich wohl der Kreis von Erfolg, Role Models und Ideen.

Christan Gröpler, Berlin

Dieser Text erschien zuerst auf tantepop.de.