„Das Fotoalbum oder die Gitarre“ – Zu Die Braut haut ins Auge: „Was nehm ich mit (wenn es Krieg gibt)?“ (1995)
19. August 2014 Hinterlasse einen Kommentar
–
Die Braut haut ins Auge Was nehm ich mit? Die Sirenen heulen, der Himmel ist feuerrot. Ich lieg im Bett und wünschte, ich wär' tot. Nein, doch nicht gerade jetzt, denke ich entsetzt und ziehe das Kissen übers Gesicht, doch auch das hilft mir nicht. Draußen auf der Treppe hör ich ein Gepolter wie das Ende der Welt, nur noch viel lauter. Und die Frage aller Fragen, um die alles kreist, ist das, was ich nicht weiß: Was nehm ich mit, wenn es Krieg gibt? Das Fotoalbum oder die Gitarre oder ziehe ich alle Lieblingssachen übereinander? Wo ist der letzte Brief meiner Mutter geblieben? Auch die Schmuckschatulle kann ich nicht finden Das Telefon funktioniert nicht mehr, also muß ich ganz, ganz schnell überlegen, wer in der Nähe wohnt, der mir etwas bedeutet. Und zum ersten mal hab ich bereut, dass ich alleine wohnen wollte. Was nehm ich mit, wenn es Krieg gibt? Jetzt ist es zu spät und ohne irgendwas renne ich auf die Straße, mein Gesicht ist nass Und zielstrebig laufe ich zur Autobahn, während irgendwo die ersten Bomben runterfallen Ich werde mein Leben ändern, jetzt sofort! Alles ist falsch, ich fange an von vorn Bei den Elbbrücken spüre ich einen heftigen Schmerz Ein Granatsplitter trifft mich mitten ins Herz Links von mir seh ich einen brennenden Schuhkarton, der aussieht wie ein Auto, so, das hab ich nun davon, wenn ich mir vorher nicht mal überlege, was ich mach Und während ich sterbe, denke ich noch: Was nehm ich mit, wenn es Krieg gibt? [Die Braut haut ins Auge: Was nehm ich mit? BMG Ariola 1995]
Das Hauptthema des Albums ist ganz klassisch Liebe, allerdings oft aus Perspektiven, die man von ‚Männerbands‘ nicht gewohnt ist. Beim hier vorgestellten Titelstück findet es aber nur am Rande statt. Die Kunst des Liedes ist es vielmehr, sehr bildlich eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie es ist, wenn Bomben einschlagen und man flüchten muss. Für uns Glücksgeburten in Raum und Zeit (Formulierung gestohlen aus Fensterbrett von Dota & Die Stadtpiraten) eine unwirkliche Vorstellung. Das Beklemmende ist nicht nur diese bedrohlich reale Beschreibung, die sich mit dem Hören des Liedes unweigerlich vorm geistigen Auge abspielt. Es ist auch die Verlagerung ins Hier und Jetzt.
Die Frage ist klar: Was nehme ich mit, wenn es Krieg gibt? Hm, ja, gute Frage. Fotoalbum? Gitarre? Briefe? Schmuckschatulle? Die Sprechinstanz weiß es auch nicht. Und was dann? Letztendlich stirbt sie im Lied und bereut, so unvorbereitet zu sein.
Das Gruselige an diesem Lied ist, dass wir es in unserer Realitität total absurd finden. Für zahllose Menschen ist und war aber genau solch ein Szenario schrecklicher Ernst. Das löst dieses Lied in mir aus – eine ausnahmsweise sehr konkrete Vorstellung von Kriegsgräueln, die sonst oft so abstrakt wirken.
12 Jahre später haben Wir sind Helden, die zwar zurecht sehr erfolgreich sind, aber zu unrecht erfolgreicher als Die Braut haut ins Auge, ein erstaunlich ähnliches Lied veröffentlicht. Da schließt sich wohl der Kreis von Erfolg, Role Models und Ideen.
Christan Gröpler, Berlin
Dieser Text erschien zuerst auf tantepop.de.