Beziehungstherapie zwischen Punk und Staatsmacht. Zu „Die Abrechnung“ von Kapitulation B.o.N.n.

Kapitulation B.o.N.n.

Die Abrechnung 

Liebe mag vom Himmel fallen, Hass aber nicht.
Und ob Terror legitim sein kann, im Ernst, ich weiß es nicht.
Waren es Verbrechen, als RAF-Rebellen schossen?
Wer weiß, nur eins ist sicher: Die Falschen haben sie nie getroffen.

All eure Schikanen, Beleidigungen und Lügen
könnte ich vielleicht noch ignorieren
Doch möchte ich nur noch draufhauen,
muß ich gerade euch noch Reden von Moral halten hören.

Und langsam sehe ich ein, es ist sinnlos, was zu sagen,
weil's eh über euer Verständnis geht.
Doch was soll man auch erwarten von einer Sorte Mensch,
die selbst den Ausbruch von Gewalt noch missversteht

Denn eines ist klar: Keiner von uns hier
hat Spaß an Terror und Gewalt.
Doch die totale Ignoranz, mit der ihr dieses Land regiert,
läßt uns zum Glück genauso wenig kalt.

Manchmal schießen wir über unser Ziel hinaus,
ja, manchmal gehen wir einen Schritt zu weit.
Nur würd' ich gern von euch da oben auch nur einmal hören,
dieses oder jenes tut euch leid.

Denn eines ist klar: [...]

„Gewalt ist keine Lösung“, hör' ich euch so oft sagen.
Da habt ihr Recht, und trotzdem lach' ich laut.
Denn was Gewalt ist und was nicht, bestimmt euer Gesetz.
Und das ist es, dem von uns niemand traut.

     [Kapitulation B.o.N.n.: Feuer. A.M./SPV 1996.]

In der Punkkultur besteht, anders als in der von Punks verachteten pazifistischen Hippiekultur auf der einen Seite und auf der anderen der gewaltaffinen Skinheadkultur mit ihrer Feier der traditionellen proletarischen Jungmännerfreizeitfreuden Fußball, Saufen, Prügeln ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt. Zum einen ist die Identifikation mit Gewaltopfern und die Thematisierung eigener passiver  Gewalterfahrungen fester Bestandteil des Themenfundus von Punktexten. Zum anderen gehört das Kokettieren mit Gewaltbereitschaft – von Patronengurten als Gürtel bis zum vielfach besungenen Pflastersteinwurf (vgl. etwa NoRMAhl: Pflasterstein flieg! oder The Pig Must Die: Pflasterstein) – von Beginn an auch zur Punkattitüde. Slime hat diese Ambivalenz in Hey Punk bereits 1980 ausgestellt:

[…]

in der s-bahn starren sie dich an
als hättste in der tasche ’ne tommy-gun
dabei bist du nur ein innocent punk
wer weiß was daraus werden kann

hey punk – zeig ihnen, wer du bist
hey punk – noch kein terrorist
hey punk – spuck ihnen ins gesicht
hey punk – anders geht’s nicht

[…]

In Die Abrechnung von Kapitulation B.o.N.n. wird sechzehn Jahre später der Versuch unternommen, die eigene Haltung zur Gewalt argumentativ zu begründen. Gewalt wird hierbei als Resultat alltäglich erfahrener Repression in Verbindung mit dem von denen, die diese Gewalt ausüben, erhobenen Anspruch moralischer Überlegenheit geschildert und ausdrücklich nicht als lustvolles Ausleben anarchischen Zerstörungsdrangs. Und so soll sie auch ‚verstanden‘ werden, wie das Sprecher-Ich einfordert. Nach seinem Wunsch soll der spontane und unkontrollierte Gewaltausbruch diejenigen, gegen die sich die Gewalt richtet, zum Nachdenken über ihr eigenes Verhalten bringen, was in eine Entschuldigung münden soll, wie sie das Sprecher-Ich für sein eigenes Verhalten bereits vorgebracht hat.

Eine Argumentation, ähnlich der, die Die Ärzte in Schrei nach Liebe 1993 noch genutzt haben, um Neonazis der Lächerlichkeit preiszugeben – „Deine Gewalt ist nur in stummer Schrei nach Liebe / Deine Springerstiefel sehen sich nach Zärtlichkeit“ – wird hier ohne erkennbares Ironiesignal zur Erklärung eigenen Verhaltens angeführt. Damit, dass der eingeforderte Dialog zustande kommt, wird jedoch erkennbar nicht gerechnet, wie bereits die Anfangsprovokation („Die Falschen haben sie nie getroffen“) zeigt. Zusammen mit der ebenfalls akustisch gespielten Passage am Ende nehmen diese Verse die gesetzgeberische Definitionsmacht von Gewalt in den Blick, was schon im Verbrechensbegriff zu Beginn deutlich wird, denn rechtspositivistisch waren die Morde der RAF ganz ohne Zweifel Verbrechen; das Sprecher-Ich fragt aber nicht nach Legalität, sondern nach Legitimität und erkennt den RAF-Terroristen einen Rebellen-Status zu, was, neben der Gewaltbereitschaft, den Anknüpfungspunkt für die Identifikation bietet.

Um einen herrschaftsfreien Diskurs über Recht und Unrecht sowohl des Verhaltens staatlicher Instanzen wie auch der sich gegen diese Auflehnenden zu ermöglichen, muss die strukturelle Gewalt der herrschenden Klasse als solche anerkannt werden, so die Voraussetzung des inszenierten Gesprächsangebots – das, wie gesagt, kaum Erfolg haben dürfte, womit der Text pragmatisch gesehen der Rechtfertigung des eigenen gewalttätigen Verhaltens dient.

Die Herstellung einer Traditionslinie zur RAF suggeriert der tatsächlichen Zielgruppe eine größere gesellschaftliche Relevanz, als ihr die Mehrheit tatsächlich zugesteht. Und genau hier liegt der Unterschied zwischen 1980 und 1996: Die von Slime angesprochenen Punks wurden noch als gefährlich wahrgenommen, damals reichte die ästhetische Provokation aus, um Kleinbürgerängste vor einem bewaffneten Aufstand hervorzurufen. In den 1990ern hingegen war Punk für die Mehrheit der Bürger längst zur urbanen Folklore geworden, die Saufgelage in Fußgängerzonen wurden als ebenso pittoresk oder nervig empfunden wie die unvermeidlichen Panflöteninkas – auch die Chaostage 1995 konnten daran nur kurzfristig etwas ändern.

In dieser Situation erfüllte das in der Punkszene beliebte Lied von Kapitulation B.o.N.n. eine doppelte Funktion: Es diente der Selbstvergewisserung, immer noch eine Gefahr für die bürgerliche Ordnung darzustellen sowie der Politisierung der längst zum Ritual gewordenen Gewalt, etwa auf Demonstrationen oder am 1. Mai. Der ästhetische Preis, der dafür gezahlt wird, besteht darin, sich selbst mit dem Blick eines Sozialarbeiters wahrzunehmen und damit gerade jene bedrohliche Wirkung zu unterminieren, die man gerne erzielen möchte: Denn die soziologische und psychologische Erklärung von Gewalt hat für Anhänger der bestehenden Ordnung immer eine beruhigende Funktion, insofern sie Interventionsmöglichkeiten impliziert. Die maximale Verstörung geht – im ästhetischen Medium wie in der realen Welt – gerade von der Gewalt aus, die gänzlich unmotiviert erscheint. Das wussten die Sex Pistols, als sie in Anarchy in the UK sangen „Don’t know what I want / But I know how to get it. / I wanna destroy / The passerby / ‚Cos I wanna be anarchy“, das wussten alle Bands, die sich auf A Clockwork Orange bezogen (insb. The Adicts, aber auch die Toten Hosen mit Hier kommt Alex) und das wusste die wenig bekannte Punkband Kaltwetterfront, als sie ihrem zweiten Album einen Titel gab, der die punktypische anarchische Freude an der Zerstörung vor allem symbolischer Ordnungen auch performativ so eindrücklich umsetzte, dass er später auch als Titel für einen Berliner Punksampler verwendet wurde und auch noch heute als Eingangsstatement für Stimmung in jeder Talkshow zum Thema Vandalismus sorgen würde: Wenn kaputt – dann wir Spaß.

Sobald Vertreter einer rebellische Subkultur aber die Kommunikationsstategie der bewussten Irritation aufgeben und stattdessen den Dialog mit den Herrschenden  selbst wenn dies nur als Inszenierung geschieht  suchen, sogar um Verständnis für das eigene Verhalten werben, führt dies irgendwann in jene Harmlosigkeit, die Die Ärzte in Rebell vorführen:

Bitte versteht mein Verhalten
als Zeichen der Ablehnung,
mit der ich euch gegenüberstehe.
Und wenn ihr schon dabei seid,
dann betrachtet auch mein Aussehen
als Symbol der Nichtidentifikation mit euren Werten!

Und so ist es nur folgerichtig, dass Punk in den 1990er Jahren den Wanderpokal der als gefährlich geltenden Jugendkultur weitergeben musste an HipHop, wo eben jenes halbernste Kokettieren mit Gewaltbereitschaft, das das eigene Publikum als Posing erkennen kann, bis heute regelmäßig um die Jugend besorgte Instanzen auf den Plan ruft. Aber nicht mehr den Druck des Titelverteidigers, der die eigene Gefährlichkeit beteuern muss, zu spüren, kann ja auch berfreiend wirken.

Martin Rehfeldt, Bamberg

Über deutschelieder
“Deutsche Lieder” ist eine Online-Anthologie von Liedtextinterpretationen. Liedtexte sind die heute wohl meistrezipierte Form von Lyrik, aber zugleich eine in der Literaturwissenschaft vergleichsweise wenig beachtete. Die Gründe für dieses Missverhältnis reichen von Vorurteilen gegenüber vermeintlich nicht interpretationsbedürftiger Popkultur über grundsätzliche Bedenken, einen Songtext isoliert von der Musik zu untersuchen, die Schwierigkeit, eine editorischen Ansprüchen genügende Textfassung zu erstellen, bis zur Problematik, dass, anders als bei Gedichten, bislang kaum ein Korpus von Texten gebildet worden ist, deren Interpretation interessant erscheint. Solchen Einwänden und Schwierigkeiten soll auf diesem Blog praktisch begegnet werden: indem erprobt wird, was Interpretationen von Songtexten leisten können, ob sie auch ohne Einbeziehung der Musik möglich sind oder wie eine solche Einbeziehung stattfinden kann, indem Textfassungen zur Verfügung gestellt werden und im Laufe des Projekts ein Textkorpus entsteht, wenn viele verschiedene Beiträgerinnen und Beiträger ihnen interessant erscheinende Texte vorstellen. Ziel dieses Blogs ist es nicht nur, auf Songtexte als möglichen Forschungsgegenstand aufmerksam zu machen und exemplarisch Zugangsweisen zu erproben, sondern auch das umfangreiche Wissen von Fans zugänglich zu machen, das bislang häufig gar nicht oder nur in Fanforenbeiträgen publiziert wird und damit für die Forschungscommunity ebenso wie für eine breite Öffentlichkeit kaum auffindbar ist. Entsprechend sind nicht nur (angehende) Literaturwissenschaftler/-innen, sondern auch Fans, Sammler/-innen und alle anderen Interessierten eingeladen, Beiträge einzusenden. Dabei muss es sich nicht um Interpretationen im engeren Sinne handeln, willkommen sind beispielsweise ebenso Beiträge zur Rezeptions- oder Entstehungsgeschichte eines Songs. Denn gerade die Verschiedenheit der Beiträge kann den Reiz einer solchen Anthologie ausmachen. Bei den Interpretationen kann es schon angesichts ihrer relativen Kürze nicht darum gehen, einen Text ‘erschöpfend’ auszuinterpretieren; jede vorgestellte Lesart stellt nur einen möglichen Zugang zu einem Text dar und kann zur Weiterentwicklung der skizzierten Überlegungen ebenso anregen wie zum Widerspruch oder zu Ergänzungen. Entsprechend soll dieses Blog nicht zuletzt ein Ort sein, an dem über Liedtexte diskutiert wird – deshalb freuen wir uns über Kommentare ebenso wie über neue Beiträge.

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