Die perfekte Provokation. „Der Mussolini“ von DAF
27. Februar 2012 6 Kommentare
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DAF Der Mussolini (1981) Geh in die Knie und klatsch in die Hände Beweg deine Hüften und tanz den Mussolini Tanz den Mussolini Dreh dich nach rechts und klatsch in die Hände und mach den Adolf Hitler Tanz den Adolf Hitler und jetzt den Mussolini Beweg deinen Hintern und klatsch in die Hände Tanz den Jesus Christus geh in die Knie und dreh dich nach rechts und dreh dich nach links klatsch in die Hände und tanz den Adolf Hitler und tanz den Mussolini und jetzt den Jesus Christus Klatsch in die Hände und tanz den Kommunismus und jetzt den Mussolini und jetzt nach rechts und jetzt nach links und tanz den Adolf Hitler Tanz den Adolf Hitler und jetzt den Mussolini Tanz den Jesus Christus Beweg deinen Hintern und wackel mit den Hüften Klatsch in die Hände und tanz den Jesus Christus und jetzt den Mussolini und jetzt den Adolf Hitler Gib mir deine Hand und tanz den Mussolini Tanz den Kommunismus und jetzt den Mussolini und jetzt den Adolf Hitler und jetzt den Jesus Christus und jetzt den Mussolini und jetzt den Kommunismus und jetzt den Adolf Hitler und jetzt den Mussolini Tu den Mussolini Tanz mit mir den Hitler und geh in die Knie Beweg deine Hüften Klatsch in die Hände und tanz den Jesus Christus Tanz den Jesus Christus und jetzt den Mussolini [DAF: Der Mussolini. Virgin 1981.] -
Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen und CDU-Bundestagsabgeordnete, teilte der Internetöffentlichkeit am 1. Februar 2012 über Twitter mit: „Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI…..“ (http://twitter.com/steinbacherika). Nachdem diese Äußerung sowohl massiven historiographischen Widerspruch als auch Parodien (später veröffentlichte Beispiele finden sich in Titanic und auf politblogger) hervorgerufen hatte, schob sie einen Tag später nach: „Interessant, alle Linken sind aus ihren Löchern gekommen. Provokation hat sich gelohnt !!!!! Danke es war spannend. Bis irgendwann“ (ebd.). Damit versuchte sie nicht nur, sich der nach den Regeln einer sachlichen Debatte bestehenden Notwendigkeit zu entziehen, ihre Äußerung entweder historisch fundiert zu begründen oder zurückzunehmen, sondern auch ihre Gegner lächerlich zu machen, indem sie suggerierte, diese seien auf ihr angeblich uneigentliches Sprechen hereingefallen und mithin nicht intelligent genug, die vorgebliche Provokation zu erkennen. Das verwendete Sprachbild ‚aus den Löchern kommen‘ ist dabei nicht nur insofern interessant, als es Steinbachs politischen Gegner en passant – vermutlich wieder nur als Provokation gemeint – mit Ratten parallelisiert, sondern auch einen Effekt gelungener Provokation benennt: Statt der provokanten Äußerung, die durch ihre nachträgliche Einstufung als Provokation aus der Debatte genommen wird, sind nun die Reaktionen darauf Gegenstand der Diskussion: Warum lässt sich jemand von so etwas provozieren, kann nun gefragt werden. Der Mechanismus, mit dem der Provokateur sich auf argumentativ kaum angreifbares Terrain zurückzieht, exponiert so unfreiwillig denjenigen, der den kontroversen Dialog aufgenommen hat.
Auch für künstlerische Äußerungen gilt, dass der Provokateur, indem er seine Provokation nachträglich als solche einstuft, zugleich eine überlegene Pose gegenüber denjenigen, die sich provoziert gefühlt haben, einnimmt und sich gegen Kritik immunisiert. Da dem Provozierten dabei die Rolle des begriffsstutzigen Eiferers zufällt, möchten nur wenige sehenden Auges einer Provokation aufsitzen. Rezipienten versuchen deshalb in der Regel zu erkennen, ob etwas als Provokation gemeint ist. Etwas dann seinerseits als Rezipient als „Provokation“ zu identifizieren, bietet gleich mehrere psychische Gratifikationen: Es hebt die Verstörung bzw. kognitive Dissonanz auf, die entstünde, wenn man das Rezipierte ernst nähme, oder vermeidet gleich von vornherein ihr Entstehen; außerdem ermöglicht es einen Distinktionsgewinn gegenüber den ästhetisch Ungebildeten, die die Provokation nicht erkennen und sich provozieren lassen; und schließlich vermittelt das Bewusstsein, nicht auf die Provokation „hereingefallen“ zu sein, auch ein Triumphgefühl gegenüber dem ‚entlarvten‘ Provokateur.
Den Text zu Der Mussolini von DAF (Deutsch-Amerikanische Freundschaft) als Provokation einzustufen, liegt nahe, zumal DAF mit Zeilen wie „Die lustigen Stiefel marschieren über Polen“ oder „Die Götter sind weiß“ auch in anderen Texten Provokantes formuliert haben. In Der Mussolini wird zwar keine zusammenhängende Aussage formuliert, sondern der Text besteht nur aus Tanzanweisungen, jedoch lassen sich zwei rhetorische Strategien beschreiben, die für den provokanten Eindruck verantwortlich sind: zunächst die Verbindung von Hitler und Mussolini mit Tanz, von Faschismus mit Fröhlichkeit, die Verehrer der Genannten ebenso wie Linksliberale provoziert haben dürfte; dann die Fortsetzung der Reihe Hitler – Mussolini mit Kommunismus (bis hierhin könnten Anhänger der Totalitarismus- und der Extremismustheorie ja noch zustimmen) und Jesus Christus, die bei einigen Christen Empörung ausgelöst haben könnte. Bemerkenswerterweise ist der Kommunismus nicht durch einen prominenten Vertreter repräsentiert (metrisch und semantisch hätte sich Josef Stalin angeboten), sondern wird abstrakt benannt; dies stellt, nimmt man das Ziel der Provokation eines größtmöglichen Rezipientenkreises an, sicher, dass sich auch jene Kommunisten provoziert fühlen, die den Stalinismus als Irrweg ablehnen (wohingegen es nur wenige Hitler-kritische Nazis, Mussolini-kritische Faschisten und Jesus-kritische Christen geben dürfte) .
Wenn nicht bereits das bloße Benennen einer Provokation als solcher ausreicht, um ein Gefühl der Souveränität herzustellen, so leistet dies doch in der Regel spätestens das Beschreiben ihrer Mechanismen. Dies wäre wohl auch bei Der Mussolini so – wenn es sich nur um einen Text handeln würde. Jedoch handelt es sich eben um einen Text zu einem Musikstück, das zudem in seiner ohne Strophen- und Refrainabfolge auskommenden Struktur und der monotonen Sequenzer-Instrumentierung zu seinem Veröffentlichungszeitpunkt auch musikästhetisch provokant mit Hörgewohnheiten brach. Der von der Band selbst als „Körpermusik“ bezeichnete Sound, der den Prototyp für die Electronic Body Music (EBM) von Bands wie Front 242 oder Nitzer Ebb bildet, ist nicht nur tanzbar, sondern seinem Verwendungszweck gemäß Tanzmusik, er eignet sich als Hintergrundklang ebenso wenig wie zum Mitsummen oder -singen.
Will man Aussagen über die mögliche Wirkung des Lieds treffen, sollte man sich also vorstellen, wie es in einer Diskothek gespielt wird und wie die Rezipienten auf der Tanzfläche darauf reagieren. Wird jemand in dieser Situation, vielleicht sogar zum ersten Mal, mit dem Lied konfrontiert, so besteht keine Möglichkeit der Nicht-Reaktion: Verlässt er die Tanzfläche oder tanzt demonstrativ nicht, so dürfte sein Verhalten von außen nicht als souveränes Nicht-auf-die-Provokation-Hereinfallen, sondern eher als empörte Reaktion interpretiert werden. Tanzt er aber weiter, so muss er sich entscheiden, wie er denn den Mussolini, den Adolf Hitler, den Kommunismus und den Jesus Christus darstellen will: mit bekannten Gesten („römischer Gruß“, Hitlergruß, Kommunistenfaust, Kreuzpose o.Ä.), analog zu YMCA mit der Darstellung der Initialen, eurythmisch oder abstrakt, wie der DAF-Sänger Gabi Delgado-Lopez (zunächst Tänzer bei der Punkband Mittagspause), was allerdings als Umsetzung der These, die genannten Personen bzw. Auffassungen seien vergleichbar, aufgefasst werden könnte? Jedenfalls muss er sich zum Lied verhalten, denn auf der Tanzfläche besteht (anders als etwa bei der theatralen Inszenierung des musikalisch und textlich an Der Mussolini angelehnten Lieds Tanz mit Laibach der slowenischen Provokationsgroßmeister Laibach) keine Handlungsalternative äquivalent dazu, ruhig in einem Theatersessel sitzen zu bleiben.
Martin Rehfeldt
Sehr gute Analyse. Hut ab!
Vielen Dank! Über den Text zu schreiben, hatte mich schon länger gereizt, aber bei allen Überlegungen, die auf eine Art „Übersetzung“ in eine (meta-)politische Position hinausliefen, beschlich mich das Gefühl, eben auf den Text „hereinzufallen“; die Frage, warum das so ist, erwies sich dann als ein aus meiner Sicht brauchbarer Ansatzpunkt.
Martin Rehfeldt
Bin gerade noch auf eine Quelle zum Lied gestoßen: Döpfner & Garms: Neue deutsche Welle: Kunst oder Mode? Frankfurt u.a.: Ullstein, 1984, S. 50-52. Tendenz: kritisch.
Pingback: [Traum] Tanz den Mussolini | Samtmut
Das habe ich 1981 geschrieben – http://www.campodecriptana.de/blog/2005/08/19/293.html
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