Tango, Torten und ein elektrisches Klavier: „In einer kleinen Konditorei“ von Ernst Neubach und Fred Raymond (1928)
2. August 2021 4 Kommentare
Das folgende Video vermittelt das Klanggefühl einer frühen Tonaufnahme von 1929:
Die moderne Interpretation von Max Raabe (2007) zitiert Fred Raymonds Tangolied erinnernd und reflektierend, ohne es zu veralbern; Raabe begegnet diesem ,klassischen‘ Schlager in vollem Bewusstsein der historischen Distanz, aber durchaus mit Sympathie und Respekt:
Ernst Neubach In einer kleinen Konditorei In einer kleinen Konditorei, da saßen wir zwei Bei Kuchen und Tee. Du sprachst kein Wort, kein einziges Wort und wusstest sofort, Dass ich dich versteh. Und das elektrische Klavier, das klimpert leise Eine Weise von Liebesleid und Weh. Und in der kleinen Konditorei, da saßen wir zwei Bei Kuchen und Tee. Wenn unser Herz für ein geliebtes Wesen schlägt, Wenn man ein liebes Bild in seinem Herzen trägt, Dann meidet gern man all den Lärm, den lauten Trubel, das Licht – Die jubelnde Welt, die liebt man dann nicht. Und ist das Herz vor lauter Liebessehnsucht krank, Sucht es im Dunkeln sich still eine Bank; Denn in der Dämmerung Schein sitzt man so einsam zu zweit In einem Eckchen glücklich allein. In einer kleinen Konditorei, da saßen wir zwei [...]
Meine Kindheit verbrachte ich in den 1950er und frühen 1960er Jahren in bescheidenen sozialen Verhältnissen, nichtsdestoweniger zufrieden, ja glücklich. Ein großer Radiokasten war der unangefochtene Mittelpunkt unseres Familienlebens und lief, solange wir nicht gerade schliefen oder einen Ausflug machten, praktisch ununterbrochen. Bis zu jenen Jahren irgendwo in den mittleren Sechzigern, als meine ursprünglich sehr netten Eltern plötzlich anfingen komisch zu werden und ich auf SWF 3 die Beatles und deren langhaarige Artverwandte entdeckte, hatte der erste Kanal des Südwestfunks unser Leben mit vielen wunderbaren Schlagern aus der Vorkriegszeit verschönt. Nicht wenige davon sind mir – natürlich zumeist fragmentarisch – bis heute im Gedächtnis verblieben, darunter auch der heute zu besprechende Titel, und zwar mit den mich seinerzeit ästhetisch verstörenden Anfangszeilen:
In einer kleinen Konditorei, da saßen wir zwei Bei Kuchen und Tee.
Obwohl ich schon als Vier- bzw. Fünfjähriger lyrisch stark interessiert war und viele Abzählreime aufsagen konnte, überforderte mich das Reimschema der Eingangsstrophe dieses Schlagers hoffnungslos. Der zweite Vers hätte m.E. unbedingt auf „ei“ enden sollen, ja müssen, und so ersetzte ich beim Nachsingen instinktiv „Tee“ durch „Wein“; obwohl auch dieses Reimwort nicht 100%ig passte und situativ beinahe genauso absurd schien wie „Tee“: Zum Sonntagskuchen gab’s bei uns immer Kaffee! Ebenso bei Tante Irma, Patenonkel Robert und meiner Oma aus Holle bei Hildesheim! Wein war in einem Pfälzer Haushalt zwar stets in Reichweite, wurde aber allenfalls einmal zum Leberwurstkuchen konsumiert. Tee (mit Rum!) tat sich hingegen nur an, wer eine schwere Grippe hatte oder im Winter einmal völlig durchgefroren war. Was aber faktisch nur alle paar Jahre einmal vorgekommen ist, weil es in einer Industriestadt am Rhein – schon damals! – in der Regel ziemlich milde Winter hatte.
Eine poetischere Alternative lernte ich später im Musikunterricht kennen (Oder im Sportverein? Da gehen meine Erinnerungen jetzt etwas durcheinander …), die mich auch in pragmatischer Hinsicht überzeugte:
In einer kleinen Konditorei, da saßen wir zwei Und fraßen für drei.
Ja, hier stimmt alles! Mit dieser Variante konnte ich leben und den Konditorei-Tango als musikalisches Idealbild romantischer Zweisamkeit im Hinterkopf für die Zukunft einlagern. Allerdings änderten sich im Lauf der Zeiten, wie man beispielsweise aus der Bravo erfuhr, die vorherrschenden Vorstellungen von Romantik und romantischen Lokalitäten nicht unerheblich, so dass die Kleine Konditorei ganz leicht in meinem Hinterhauptslappen hätte verschimmeln können, wenn mir vorgestern nicht zufällig dieses Lieder-Blog…
Das Tango-Lied aus der Spätphase der Weimarer Republik besitzt einen relativ schwierigen Text, etliche historische Bezüge unterschiedlicher Art, eine bemerkenswerte Rezeptionsgeschichte und zu guter Letzt bietet es auch der bildungshungrigen Zeitgenossin interessante Impulse. Hier denke ich u.a. an das Konzept des ,Flappers‘, das evtl. den Lebensentwurf so mancher emanzipierten Frau noch aufregender gestalten könnte. Kurz gesagt: In einer kleinen Konditorei ist m.E. ein absolut würdiger Gegenstand für die ,Bamberger Anthologie‘, was nachfolgend auszuführen ist.
Zuerst, d.h. irgendwann im Jahre 1928, scheint Fred Raymond der Einfall zur Melodie des Schlagers gekommen sein. Es war, im Einklang mit dem musikalischen Zeitgeist und der angesagten Tanzmode, ein Tango. Mit dem Massenelend im Gefolge der Weltwirtschaftskrise von 1927 hatte sich der Musikgeschmack drastisch verändert: Die Zeit der frech-frivolen Schlager der ,goldenen‘ mittzwanziger Jahre (deren ,Gold‘, objektiv betrachtet, ohnehin nur ein trügerischer Talmi-Glanz gewesen ist!) und ihrer beschwingten Rhythmen war abgelaufen. Die Unterhaltungsindustrie reagierte auf die neue Lage mit mehrheitlich langsamen, sentimental-romantischen Schlagern und Tänzen, die von Historikern der Populärkultur als „weiche Welle“ zusammengefasst werden.
Der gebürtige Wiener Fred Raymond (1900-1954, eigentlich Friedrich Raimund Vesely), Sohn tschechischer Zuwanderer, hatte sich im Musikgeschäft der Weimarer Republik schon in den ,roaring twenties‘ als Komponist der leichten Muse einen Namen gemacht. Sein erster großer Erfolg war die Melodie für den Schlager Ich hab das Fräulein Helen baden sehn auf einen Text seines Förderers Fritz Grünbein (1924). Ein Jahr später toppte er diesen Hit mit Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren, einem Lied, das in Deutschland schnell zu einer Art Volkslied avancierte. Den Text dafür schrieb schon Ernst Neubach, mit dem Raymond in den nächsten Jahre produktiv zusammenarbeiten sollte. Die ,Weiterverarbeitung‘ der überaus erfolgreichen Heidelberg-Hymne zu einem Singspiel kann als Modell für das spätere Schaffen des Wiener Komponisten betrachtet werden, dessen Talent es war, zugkräftige Musiknummern (Schlager, Operetten- oder Film-Melodien) zu erfinden, um die herum sich später Theaterstücke, Revuen oder Drehbücher stricken ließen. Das für ihn charakteristische Genre des Musiktheaters ist als ,Revue-Operette‘ bezeichnet worden.
So brachte er seinen Konditorei-Tango in der ,musikalischen Komödie‘ Die Jungfrau von Avallon (UA Dresden, 16.6.1929) von Paul Franke und Peter Herz unter, und zwar so erfolgreich, dass das Stück in seiner Zweitfassung (UA Hamburg-Altona, 30.11.1929) bereits unter dem Titel In einer kleinen Konditorei auf dem Spielplan stand. Eine Inhaltsangabe, höchstwahrscheinlich der Erstfassung, findet man im Großen Operettenbuch (S. 242), die ich aber hier nicht referiere, weil daraus nicht eindeutig hervorgeht, in welcher Situation der Handlung welche Bühnenfigur unser Lied singt. Zur breiteren Popularisierung des Schlagers trug die Verfilmung des Stoffes in einer veränderten Fassung bei, für die der Wiener Regisseur und Drehbuchautor Robert Wohlmuth verantwortlich zeichnete. Zu diesem Film, der bei der zeitgenössischen Kritik nur auf begrenzten Zuspruch stieß, da er in Punkto Regie, Idee und Photographie „ganz prachtvolle Ansätze“ erkennen ließe, aber letztlich durch eine unglaubliche Auswalzung seiner besten Momente in „unwiderstehlicher Lächerlichkeit“ ende (K. Wendtlandt, Geliebter Kintopp, 1990, zitiert nach dem einschlägigen Wikipedia-Artikel), seien dennoch zwei Anmerkungen gestattet.
Wohlmuths Filmdrama fällt in die Übergangszeit vom Stumm- zum Tonfilm. Für einige Monate existierten Stummfilme, Tonfilme und nachträglich vertonte Stummfilme nebeneinander (vgl. www.filmportal.de). In einer kleinen Konditorei wurde 1929 parallel zur Theatervariante als Stummfilm gedreht, kurz darauf, vermutlich nur partienweise, als einer der ersten deutschen Filme mit einer Tonspur versehen und bereits am 20. Januar 1930 dem Publikum vorgeführt. Diese kurze, filmgeschichtlich aber außerordentlich spannende Zeit reflektiert der Schlager Mein Bruder macht beim Tonfilm die Geräusche (1930), dessen Melodie ebenfalls Fred Raymond geschrieben hat:
Im Vergleich zur ersten Theaterfassung wurde im Drehbuch für die Verfilmung die Handlung des Konditorei-Lustspiels erheblich verändert, indem die Figurenkonstellation hinsichtlich ,guter‘ und ,böser‘ Charaktere unproblematischer gestaltet wurde. In der ersten Theaterfassung heißt die attraktive weibliche Hauptfigur Georgette und ist die Nichte der Konditoreibesitzerin; im Film entspricht ihr die hübsche Kellnerin Suzette. Georgette liebt zunächst ihren armen Klavierlehrer, verfällt dann aber einem vornehmen Herrn aus Paris, der aus ihr einen Revuestar machen will, und folgt diesem in die Metropole. Im Film bildet sie mit dem Kaffeehausgeiger André ein Paar, bis sie in die Fänge einer mondänen Frau gerät, die sie in einem zwielichtigen Etablissement arbeiten lässt. In beiden Fassungen folgen nun ,Rettungsversuche‘: Während das Zusammentreffen von Georgette und ihrem Klavierlehrer in Paris zufällig erfolgt, er sie aber relativ leicht vom schlechten Charakter ihres Mäzens überzeugen kann, startet André im Film seine Rückholaktion bewusst und zielstrebig, verfällt dann allerdings bald selber dem Charme der verführerischen Madame Langiere (Assoziation zu ,lingerie‘ = Unterwäsche?).
Im Schlussakt des Theaterstücks, der nun wieder in der Konditorei, tief in der französischen Provinz angesiedelt ist, treffen alle Figuren mehr oder minder zufällig noch einmal aufeinander. Man spricht sich aus und sortiert sich neu; der Pariser Lebemann kann Georgette von der Ernsthaftigkeit seiner Absichten überzeugen und beide entschließen sich zu einem gemeinsamen Lebensweg. Der Klavierlehrer bleibt dabei naturgemäß auf der Strecke und muss sich mit seiner Kunst und einer inzwischen erfolgreichen Komponisten-Karriere trösten, was bei einem Teil des Publikums schale Gefühle hinterlassen haben mag … Viel befriedigender im Sinne der ,poetischen Gerechtigkeit‘ endet hingegen die Filmfassung: André widersteht dank moralischer Besinnung den Attacken der skrupellosen femme fatale. Zum schönen Happy End darf er mit seiner geliebten Suzette nach Nizza reisen, wo ihn die Stelle eines Kapellmeisters erwartet. So findet hier das unzweifelhaft ,richtige‘ Paar zusammen und wird für seine bewä/ahrte Tugend mit sozialem Aufstieg belohnt. So lieben es nun mal die Kinogänger!
Nachzutragen bleibt, dass in Wohlmuths Film die verführerische Madame Langiere von der seinerzeit recht bekannten Hamburger Schauspielerin und späteren Jugendbuchautorin Valerie Boothby (1904-1982) dargestellt wird. Als Tochter des Theaterleiters Ernst Drucker spielte sie von 1926 bis zu ihrer Emigration 1933 in zahlreichen Filmen mit, wobei sie sich auf den Typus des sog. ,Flappers‘ spezialisiert hatte. Der Begriff überschneidet sich semantisch mit dem der ,femme fatale‘ und bezeichnete einen im Amerika der Prohibitionsjahre aufgekommenen modernen weiblichen Sozialtypus, der sich über die etablierten Regeln guten Benehmens ausgesprochen selbstbewusst, Wikipedia schreibt ,ungestüm‘, hinwegsetzte. Einschlägig auftretende junge Frauen trugen ihre Röcke fast ebenso kurz wie ihr Haar, schminkten sich, rauchten und sprachen ungeniert dem Alkohol zu, bevorzugt hochprozentigem. Zur Etymologie des Wortes ,Flapper‘ gibt es verschiedene Theorien: In Großbritannien scheint sich das Wort beim Aufkommen (Belege ab 1912) auf das Flügelflattern nestflüchtender Vögel bezogen zu haben, in den USA auf eine Schuhmode. Trägerinnen von Gummischuhen fanden es damals schick, ihre Treter unverschlossen und beim Gehen ,flattern‘ zu lassen. (Vgl. Wikipedia.)
Leider konnte ich bei meinen Recherchen zu den verschiedenen Fassungen der Kleinen Konditorei nicht herausfinden, wer das Lied unter welchen Umständen vorträgt. Nun habe ich den starken Verdacht, dass es jeweils jenem männlichen Tenor zugedacht war, der den hübschen Sopran am Ende heimführen darf (Im Bühnenstück singen übrigens beide Rivalen in der Tenorlage!), und dass es am besten kurz vor der abschließenden Wiedervereinigung des Heldenpaares zu singen wäre. Gleichwohl sind auch andere Varianten denkbar, bis hin zu der Möglichkeit, es als Duett des wieder zusammengeführten Paares aufzuführen (vgl. hier). Allerdings muss uns diese Ungewissheit nicht allzu sehr grämen und schon gar nicht beim Verständnisversuch des Textes selbst behindern; schließlich hat sich das Tango-Lied ohnehin bald verselbstständigt, so dass sich spätestens nach dem Krieg kein Hörer mehr für die ursprünglichen narrativen Einbettungen des Titels interessiert hat.
In der ersten Strophe erinnert sich die höchstwahrscheinlich männlich zu denkende Sprecherinstanz an ein früheres romantisches Beisammensein in einer Konditorei. Dass ich mir das Ich des Liedes hier männlich denke und das Du weiblich, hat etwas mit den gendertypischen Redeanteilen der erinnerten Szene zu tun, aber auch mit den Konventionen für sentimentale Äußerungen in Tango-Liedern. In diesem Genre schickt sich dergleichen eigentlich nur für Männer! Einzelne Ausnahmen sind wahrscheinlich zu finden, aber diese bestätigen letztlich die Regel. Dass das Pärchen seine harmonische Zweisamkeit in einer Konditorei gepflegt hat, ist stark zu bezweifeln, bezeichnet der Begriff doch einen Handwerksbetrieb, in dem Zuckerbäcker herumwuseln, mit Schokolade spritzen und alles irgendwie klebt. Romantisch aufgelegte Kuchenesser und Teetrinker würden ihnen die Laufwege verstopfen und in jeder Hinsicht nerven. So dürfen wir mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass unsere Verliebten in einem besagter Konditorei angeschlossenen Café turtelten, das die Sprecherinstanz in ihrer seligen Erinnerung der Einfachheit halber – und ein bisschen vielleicht auch dem Reimschema zuliebe – der Konditorei zugeschlagen hat, was uns recht sein soll, weil wir ja nicht päpstlicher als der Papst sein wollen.
Für die nächsten zwei Verse springt die Sprecherinstanz ins Präsens; das elektrische Klavier (wahrscheinlich ein Sostente Piano nach der Erfindung von Eugen Singer, Paris 1891; schließlich spielt unsere Szene in der französischen Provinz und nicht im mondänen Berlin, wo man 1928 eventuell schon einen Neo-Bechstein angetroffen hätte) klimpert im selben Augenblick, in dem der Sänger seinen Erinnerungen an verlorenes Glück nachhängt. Die leise Weise des E-Pianos schmeckt nach „Liebesleid und Weh“, was die Stimmung des Ichs spiegelt, das aber gleich wieder in die Vergangenheit ausbüxt und noch einmal die schöne Erinnerung der Eingangsverse evoziert.
Mit der dritten Strophe transzendiert die Sprecherinstanz ihre persönliche Situation und stellt eine allgemeine Betrachtung an: Wenn jemand verliebt ist (unausgesprochen wird man sich wohl, auf die Folgestrophe vorgreifend, hinzudenken müssen: … und dem geliebten Wesen fern), dann vermeidet man laute Geselligkeit und verkrümelt sich in ein stilles Eckchen, um seiner Sehnsucht, seinen Träumen und Wünschen nachhängen zu können. Die letzte Strophe führt diesen Gedanken noch weiter aus. Ich glaube nicht, dass in ihr noch etwas Neues passiert, gebe aber gerne zu, dass die Schlusszeilen seltsam gebaut sind:
Denn in der Dämmerung Schein sitzt man so einsam zu zweit In einem Eckchen glücklich allein.
Die Formulierung „einsam zu zweit“, deute ich so, dass der Verliebte zwar faktisch allein auf seinem stillen Bänkchen sitzt, die Geliebte aber im Herzen bei sich spürt. Sind seine Erinnerungen nur intensiv genug, können sie das vergangene Glück vergegenwärtigen, so dass den einsamen Tagträumer tatsächlich Glücksgefühle durchströmen. Für die Filmhandlung könnte ich mir als dramatischen Effekt vorstellen, dass in genau diesem Augenblick die Geliebte tatsächlich wieder im Café auftaucht. Und dann sind auch wieder Kuchen und Tee fällig!
Hans-Peter Ecker, Bamberg
Literatur:
André Port le roi: Schlager lügen nicht. Deutscher Schlager und Politik in ihrer Zeit. Essen: Klartext, 1998.
Geschichte des deutschen Films. Hrsg. von Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes und Hans Helmut Prinzler. Stuttgart, Weimar: Metzler, 1993.
Dieter Reichardt: Tango. Verweigerung und Trauer. Frankfurt: suhrkamp, 1984.
Heinz Wagner: Das große Operettenbuch. Berlin: Parthas, 1997.
Michael Wedel: Der deutsche Musikfilm. Archäologie eines Genres 1914-1945. München: text + kritik, 2007.
Beim Lesen der ersten paar Verse denke ich unwillkürlich an die letzte Strophe der „Sachlichen Romanze“ von Erich Kästner:
Sie gingen ins kleinste Café am Ort
Und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort,
Sie saßen allein, sie sprachen kein Wort
Und konnten es einfach nicht fassen.
Laut der allwissenden Wikipedia ebenfalls von 1928 (https://de.wikipedia.org/wiki/Sachliche_Romanze), ein Bezug wäre also im Rahmen des Denkbaren.
Die Formulierung „einsam zu zweit“ erinnert mich an ein Lied von den Comedian Harmonists: „Denk an die Stunden, da wir voller Seligkeit / So allein zu zweit / Das Glück gefunden“ (oder so ähnlich). Ich weiß den Titel und das Entstehungsjahr nicht, aber die Zeit müsste ungefähr passen.
Ja, die Verwandtschaft dieser Café-Episoden drängt sich auch mir auf. Ihre poetische Relevanz scheint dadurch zustande zu kommen, dass die traditionell ,eigentlich‘ intim-romantische Örtlichkeit zum Schauplatz scheiternder oder wenigstens höchst ambivalenter Beziehungskisten wird.
Für mich selber ist übrigens an solchen – alten – Kaffeehaus-Liedern und -Gedichten interessant, dass ich in meiner Lebenszeit Zeuge eines fundamentalen Funktionswandels dieser Lokalitäten geworden bin und emotional ganz schön zu tun hatte, mit der Entwicklung mitzuhalten. Als Kind habe ich anhand von Erzählungen, Gedichten und Schlagern die romantische Bedeutung von Cafés kennengelernt und auch ziemlich verinnerlicht. Von dieser Vorstellung musste ich mich in meiner adoleszenten Phase leider verabschieden, war die Romantik doch inzwischen umgesiedelt – in Diskos, Skihütten, Partykeller, an die Ufer von Baggerseen usw. usw.
Wieder ein bisschen später lernte ich – mehr über literarische Quellen als über die krude Praxis – das Café als Heimstätte kreativer intellektueller Diskurse schätzen und bemühte mich über einige Jahrzehnte hinweg auch nach Kräften, dieses Potential im Sinne der alt-modernen Wiener Kaffeehauskultu zu nutzen, was hin und wieder auch tatsächlich zu gelingen schien.
In den letzten fünf, sechs Jahren erlebte ich dann das massenhafte Einwandern von Touris und jungen Müttern mit akustisch wie motorisch hochpotenten Babys und Kleinkindern in alle Sorten von Cafés, so dass dort hinfort weder an Romantik noch intellektuelle Diskurse zu denken war. Dieser Verlust lässt sich immerhin ein Stück weit literatur- bzw. kulturhistorisch kompensieren.
Zu Ihrem letzten Absatz fällt mir Folgendes ein: Ich habe vor Jahren mal einen Roman gelesen (Titel vergessen), in dem u. a. eine Mutter von Teenagern vorkam, die nach langen Jahren als Hausfrau beruflich wieder durchstartete. Sie machte irgendetwas, wozu sie nur ihren Laptop brauchte, und ging zum Arbeiten bevorzugt in ein Café, statt zuhause zu bleiben, wo sie es doch viel ruhiger gehabt hätte. Im Café arbeiten fand sie offensichtlich wahnsinnig cool. Ich konnte das überhaupt nicht nachvollziehen und könnte noch heute nirgendwo anders übersetzen und schreiben als eben zuhause (na gut, mit Notizbuch und Bleistift bewaffnet neu erschienene, zu rezensierende Alben durchgehört habe ich auch schon im Bus und auf der Parkbank, ich gebe es zu).
Die Menschen sind natürlich ziemlich verschieden, auch was ihre Arbeitsgepflogenheiten angeht. Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen.
Für die sog. ,harte, ehrliche Arbeiten‘ wie z.B. Korrekturen, Rechenoperationen, Transkriptionen oder Steuererklärungen, die einfach und systematisch erledigt werden müssen, brauche ich Ruhe und Konzentration, da würde mich schon ein Radio im Hintergrund stören. Für kreative Prozesse hingegen, die ich gerne per ,Queer-Beet-Lektüre‘ von Zeitschriften oder – noch lieber – durch den Gedankenaustausch mit klugen kritischen Köpfen anzuschieben pflege, hilft mir das mäßig laute Gemurmel in einem von erwachsenen Menschen bevölkerten Café ungemein. Diese atmosphärisch-akustische Kulisse ist mit dem Lärmpegel in einem Gasthaus zu fortgeschrittener Abendstunde überhaupt nicht zu vergleichen, aber halt auch nicht mit dem Gekreische auf einem Spielplatz oder in einem Schwimmbad oder gar dem Tonsumpf einer Kirmes, wo alle Lautquellen die Aufmerksamkeit der Anwesenden einfordern.
Solche Beschallungen ersticken bei mir jeden kreativen Impuls, womit ich aber nicht sagen will, dass ich dergleichen überhaupt nicht ertragen könnte, wenn es mir gerade nicht um Ideen geht.