Sei doch glücklich, verdammt! Zu Mark Forsters „Chöre“

Mark Forster

Chöre 

Warum machst du dir 'nen Kopf?
Wovor hast du Schiss?
Was gibt's da zu grübeln?
Was hast du gegen dich?
Ich versteh' dich nicht
Immer siehst du schwarz und bremst dich damit aus
Nichts ist gut genug, du haust dich selber raus
Wann hörst du damit auf?

Wie ich dich sehe, ist für dich unbegreiflich
Komm' ich zeig's dir
Ich lass' Konfetti für dich regnen
Ich schütt' dich damit zu
Ruf deinen Namen aus allen Boxen
Der beste Mensch bist du
Ich roll' den roten Teppich aus
Durch die Stadt, bis vor dein Haus
Du bist das Ding für mich
Und die Chöre singen für dich
Oh oh oh oh
Und die Chöre singen für dich
Oh oh oh oh
Und die Chöre singen für dich
Oh oh oh oh
Oh oh oh oh

Hör' auf, dich zu wehren
Das machst doch keinen Sinn
Du hast da noch Konfetti, in der Falte auf der Stirn
Warum willst du nicht kapieren
Komm' mal raus aus deiner Deckung, ich seh' schon wie es blitzt
Lass' es mich kurz sehen, hab fast vergessen, wie das ist
Du mit Lächeln im Gesicht

Wie ich dich sehe, ist für dich unbegreiflich [...]

Und die Trompeten spielen für dich
Oh oh oh oh
Und die Trommeln klingen für dich
Oh oh oh oh
Und die Chöre singen für dich
Oh oh oh oh

     [Mark Foster: Tape. Four Music 2016.]

Das emotionale Spektrum des Menschen ist bekanntlich ein breites. Die Gefühlslandschaft besteht dabei nicht nur aus Gefühlen wie Liebe, Zuversicht oder Zufriedenheit, sondern auch aus Hass, Unsicherheit oder Trauer. Dabei haben auch diese letztgenannten Emotionen wichtige Funktionen, so wird z.B. oft Hass ein Antrieb für Veränderung, Unsicherheit kann zu Selbstreflexion führen oder Trauer kann ein wichtiger Teil des Bewältigungsprozesses für ein Trauma sein. Dass es natürlich nicht gut ist, wenn eines dieser Gefühle zu sehr überhandnimmt, ist klar. Aber die Komplexität menschlicher Gefühlswelten ist einer der größten Reize bei der Interaktion mit anderen Menschen.

Im hier vorgestellten Liedtext des deutschen Popmusikers Marc Forster hingegen drängt sich das Sprecher-Ich einer zweiten Person mit seiner eigenen Interpretation von Emotionen penetrant auf. Laut, fast schon aggressiv, wird ihr vorgeschrieben, wie er oder sie sich zu fühlen hat. Der Text beginnt mit einer Barrage von recht persönlichen Fragen: „Warum machst du dir ’nen Kopf? / Wovor hast du Schiss? / Was gibt’s da zu grübeln? / Was hast du gegen dich?“ Bezeichnenderweise gibt das Sprecher-Ich im Zuge dieses Fragenkataloges auch die eigene Verwirrung zu und konstatiert: „Ich versteh‘ dich nicht“.

Doch in dem Text gibt es keinen Anhaltspunkt, dass die Verwirrtheit des Sprecher-Ichs zu einer abwartenden, zuhörenden Haltung führt. Denn es hat bereits eine Lösung parat, die der zweiten Person jegliche Autonomie abspricht und stattdessen komplett auf das Sprecher-Ich fokussiert ist. Warum der oder die Angesprochene nun offensichtlich mit sich am Hadern ist oder Zweifel hat, wird nie versucht aufzuklären. Das das Sprecher-Ich interessieren die Antworten auf seine Fragen kaum, weil es direkt mit seiner Lösung um die Ecke kommt.

Es lässt nur eine Emotion zu: Glücklich sein. Dabei wird das an sich schöne Party-Konfetti fast schon zu einer Art Grab („Ich lass‘ Konfetti für dich regnen / Ich schütt‘ dich damit zu“). Hier wird kein Raum mehr gelassen für irgendwelche Ansichten, die der eindimensionalen Sichtweise des das Sprecher-Ichs entgegengesetzt werden. Ähnlich verhält es sich beim Refrain, der sich mit einem nervigen, sich immer wiederholenden „oh“ an die aus der Sicht des das Sprecher-Ichs unglückliche Person wendet. Sie wird mit ihrem eigenen Namen aus Lautsprechern, mit Chören und Trompeten beschallt. Ein roter Teppich durch die ganze Stadt zeigt allen, wo sich die Person befindet, die gerade vielleicht einfach nur einen „schlechten“ Tag hat oder – auch das wäre vorstellbar – ein so großes Problem hat, dass es eben nicht mit etwas gutem Zuspruch und „Lach‘ doch mal wieder“ getan ist. Begraben von Konfetti, mit Tinitus vom ewigen Hören des eigenen Namens aus den Boxen und genervt von dem ewigen „oh“ wird ihr kein eigener Spielraum mehr gelassen. In der Welt des das Sprecher-Ichs zählt nur eine Emotion, komme, was wolle.

Besonders deutlich wird dies dann auch in der zweiten Strophe, in der zur zweiten Person gesagt wird „Hör‘ auf, dich zu wehren“, was bedeutet, dass diese sogar versucht sich gegen das Aufzwingen des Glücklichseins durch das das Sprecher-Ich zu wehren. Vielleicht gibt es dafür gute Gründe, doch knallhart sieht sich das das Sprecher-Ich am längeren Hebel und konstatiert „Das macht doch keinen Sinn“. Fast reißt ihm schon der Geduldsfaden („Warum willst du nicht kapieren“). Doch da ist noch Konfetti in der Kanone. Widerstand zwecklos. Ab heute bist du immer glücklich, verdammt nochmal!

Die Intention des das Sprecher-Ichs ist wohl eine gute. Es will einer unsicheren Person helfen und ihr Selbstvertrauen aufbauen. Aber dabei wirkt das Sprecher-Ich so aggressiv, übergriffig und laut, dass es schwer vorstellbar ist, dass so irgendjemandem geholfen wird. Letztlich wird der angesprochenen Person das Recht abgesprochen, ihre komplexen Gefühle zu zeigen, und stattdessen vorgeschrieben, wie sie sich zu fühlen hat. Vielleicht sollte das das Sprecher-Ich doch lieber nochmal etwas zuhören, bevor er oder sie beginnt, andere mit Konfetti zu bombardieren und mit Chören zu beschallen?

Martin Christ, Erfurt

Über deutschelieder
“Deutsche Lieder” ist eine Online-Anthologie von Liedtextinterpretationen. Liedtexte sind die heute wohl meistrezipierte Form von Lyrik, aber zugleich eine in der Literaturwissenschaft vergleichsweise wenig beachtete. Die Gründe für dieses Missverhältnis reichen von Vorurteilen gegenüber vermeintlich nicht interpretationsbedürftiger Popkultur über grundsätzliche Bedenken, einen Songtext isoliert von der Musik zu untersuchen, die Schwierigkeit, eine editorischen Ansprüchen genügende Textfassung zu erstellen, bis zur Problematik, dass, anders als bei Gedichten, bislang kaum ein Korpus von Texten gebildet worden ist, deren Interpretation interessant erscheint. Solchen Einwänden und Schwierigkeiten soll auf diesem Blog praktisch begegnet werden: indem erprobt wird, was Interpretationen von Songtexten leisten können, ob sie auch ohne Einbeziehung der Musik möglich sind oder wie eine solche Einbeziehung stattfinden kann, indem Textfassungen zur Verfügung gestellt werden und im Laufe des Projekts ein Textkorpus entsteht, wenn viele verschiedene Beiträgerinnen und Beiträger ihnen interessant erscheinende Texte vorstellen. Ziel dieses Blogs ist es nicht nur, auf Songtexte als möglichen Forschungsgegenstand aufmerksam zu machen und exemplarisch Zugangsweisen zu erproben, sondern auch das umfangreiche Wissen von Fans zugänglich zu machen, das bislang häufig gar nicht oder nur in Fanforenbeiträgen publiziert wird und damit für die Forschungscommunity ebenso wie für eine breite Öffentlichkeit kaum auffindbar ist. Entsprechend sind nicht nur (angehende) Literaturwissenschaftler/-innen, sondern auch Fans, Sammler/-innen und alle anderen Interessierten eingeladen, Beiträge einzusenden. Dabei muss es sich nicht um Interpretationen im engeren Sinne handeln, willkommen sind beispielsweise ebenso Beiträge zur Rezeptions- oder Entstehungsgeschichte eines Songs. Denn gerade die Verschiedenheit der Beiträge kann den Reiz einer solchen Anthologie ausmachen. Bei den Interpretationen kann es schon angesichts ihrer relativen Kürze nicht darum gehen, einen Text ‘erschöpfend’ auszuinterpretieren; jede vorgestellte Lesart stellt nur einen möglichen Zugang zu einem Text dar und kann zur Weiterentwicklung der skizzierten Überlegungen ebenso anregen wie zum Widerspruch oder zu Ergänzungen. Entsprechend soll dieses Blog nicht zuletzt ein Ort sein, an dem über Liedtexte diskutiert wird – deshalb freuen wir uns über Kommentare ebenso wie über neue Beiträge.

3 Responses to Sei doch glücklich, verdammt! Zu Mark Forsters „Chöre“

  1. soerenheim says:

    Oja, schrecklich penetrantes Lied… interessant auch dieser Selbstwiderspruch, dem/der anderen einerseits zu sagen „Der beste Mensch bist du“ und dann dessen anscheinend ja grundlegende Art die Welt zu sehen komplett umkrempeln zu wollen. Das ist allerdings durchaus gesellschaftlich symptomatisch, denn man macht sich wohl regelmäßig Bilder von anderen, ohne deren Dasein dabei ernsthaft zu respektieren. Besonders, wo tiefe Freundschaften durch unter Optimierungszwang stehende „Netzwerke“ ersetzt werden.

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