Sei doch glücklich, verdammt! Zu Mark Forsters „Chöre“
10. Dezember 2018 3 Kommentare
Mark Forster Chöre Warum machst du dir 'nen Kopf? Wovor hast du Schiss? Was gibt's da zu grübeln? Was hast du gegen dich? Ich versteh' dich nicht Immer siehst du schwarz und bremst dich damit aus Nichts ist gut genug, du haust dich selber raus Wann hörst du damit auf? Wie ich dich sehe, ist für dich unbegreiflich Komm' ich zeig's dir Ich lass' Konfetti für dich regnen Ich schütt' dich damit zu Ruf deinen Namen aus allen Boxen Der beste Mensch bist du Ich roll' den roten Teppich aus Durch die Stadt, bis vor dein Haus Du bist das Ding für mich Und die Chöre singen für dich Oh oh oh oh Und die Chöre singen für dich Oh oh oh oh Und die Chöre singen für dich Oh oh oh oh Oh oh oh oh Hör' auf, dich zu wehren Das machst doch keinen Sinn Du hast da noch Konfetti, in der Falte auf der Stirn Warum willst du nicht kapieren Komm' mal raus aus deiner Deckung, ich seh' schon wie es blitzt Lass' es mich kurz sehen, hab fast vergessen, wie das ist Du mit Lächeln im Gesicht Wie ich dich sehe, ist für dich unbegreiflich [...] Und die Trompeten spielen für dich Oh oh oh oh Und die Trommeln klingen für dich Oh oh oh oh Und die Chöre singen für dich Oh oh oh oh [Mark Foster: Tape. Four Music 2016.]
Das emotionale Spektrum des Menschen ist bekanntlich ein breites. Die Gefühlslandschaft besteht dabei nicht nur aus Gefühlen wie Liebe, Zuversicht oder Zufriedenheit, sondern auch aus Hass, Unsicherheit oder Trauer. Dabei haben auch diese letztgenannten Emotionen wichtige Funktionen, so wird z.B. oft Hass ein Antrieb für Veränderung, Unsicherheit kann zu Selbstreflexion führen oder Trauer kann ein wichtiger Teil des Bewältigungsprozesses für ein Trauma sein. Dass es natürlich nicht gut ist, wenn eines dieser Gefühle zu sehr überhandnimmt, ist klar. Aber die Komplexität menschlicher Gefühlswelten ist einer der größten Reize bei der Interaktion mit anderen Menschen.
Im hier vorgestellten Liedtext des deutschen Popmusikers Marc Forster hingegen drängt sich das Sprecher-Ich einer zweiten Person mit seiner eigenen Interpretation von Emotionen penetrant auf. Laut, fast schon aggressiv, wird ihr vorgeschrieben, wie er oder sie sich zu fühlen hat. Der Text beginnt mit einer Barrage von recht persönlichen Fragen: „Warum machst du dir ’nen Kopf? / Wovor hast du Schiss? / Was gibt’s da zu grübeln? / Was hast du gegen dich?“ Bezeichnenderweise gibt das Sprecher-Ich im Zuge dieses Fragenkataloges auch die eigene Verwirrung zu und konstatiert: „Ich versteh‘ dich nicht“.
Doch in dem Text gibt es keinen Anhaltspunkt, dass die Verwirrtheit des Sprecher-Ichs zu einer abwartenden, zuhörenden Haltung führt. Denn es hat bereits eine Lösung parat, die der zweiten Person jegliche Autonomie abspricht und stattdessen komplett auf das Sprecher-Ich fokussiert ist. Warum der oder die Angesprochene nun offensichtlich mit sich am Hadern ist oder Zweifel hat, wird nie versucht aufzuklären. Das das Sprecher-Ich interessieren die Antworten auf seine Fragen kaum, weil es direkt mit seiner Lösung um die Ecke kommt.
Es lässt nur eine Emotion zu: Glücklich sein. Dabei wird das an sich schöne Party-Konfetti fast schon zu einer Art Grab („Ich lass‘ Konfetti für dich regnen / Ich schütt‘ dich damit zu“). Hier wird kein Raum mehr gelassen für irgendwelche Ansichten, die der eindimensionalen Sichtweise des das Sprecher-Ichs entgegengesetzt werden. Ähnlich verhält es sich beim Refrain, der sich mit einem nervigen, sich immer wiederholenden „oh“ an die aus der Sicht des das Sprecher-Ichs unglückliche Person wendet. Sie wird mit ihrem eigenen Namen aus Lautsprechern, mit Chören und Trompeten beschallt. Ein roter Teppich durch die ganze Stadt zeigt allen, wo sich die Person befindet, die gerade vielleicht einfach nur einen „schlechten“ Tag hat oder – auch das wäre vorstellbar – ein so großes Problem hat, dass es eben nicht mit etwas gutem Zuspruch und „Lach‘ doch mal wieder“ getan ist. Begraben von Konfetti, mit Tinitus vom ewigen Hören des eigenen Namens aus den Boxen und genervt von dem ewigen „oh“ wird ihr kein eigener Spielraum mehr gelassen. In der Welt des das Sprecher-Ichs zählt nur eine Emotion, komme, was wolle.
Besonders deutlich wird dies dann auch in der zweiten Strophe, in der zur zweiten Person gesagt wird „Hör‘ auf, dich zu wehren“, was bedeutet, dass diese sogar versucht sich gegen das Aufzwingen des Glücklichseins durch das das Sprecher-Ich zu wehren. Vielleicht gibt es dafür gute Gründe, doch knallhart sieht sich das das Sprecher-Ich am längeren Hebel und konstatiert „Das macht doch keinen Sinn“. Fast reißt ihm schon der Geduldsfaden („Warum willst du nicht kapieren“). Doch da ist noch Konfetti in der Kanone. Widerstand zwecklos. Ab heute bist du immer glücklich, verdammt nochmal!
Die Intention des das Sprecher-Ichs ist wohl eine gute. Es will einer unsicheren Person helfen und ihr Selbstvertrauen aufbauen. Aber dabei wirkt das Sprecher-Ich so aggressiv, übergriffig und laut, dass es schwer vorstellbar ist, dass so irgendjemandem geholfen wird. Letztlich wird der angesprochenen Person das Recht abgesprochen, ihre komplexen Gefühle zu zeigen, und stattdessen vorgeschrieben, wie sie sich zu fühlen hat. Vielleicht sollte das das Sprecher-Ich doch lieber nochmal etwas zuhören, bevor er oder sie beginnt, andere mit Konfetti zu bombardieren und mit Chören zu beschallen?
Martin Christ, Erfurt
Oja, schrecklich penetrantes Lied… interessant auch dieser Selbstwiderspruch, dem/der anderen einerseits zu sagen „Der beste Mensch bist du“ und dann dessen anscheinend ja grundlegende Art die Welt zu sehen komplett umkrempeln zu wollen. Das ist allerdings durchaus gesellschaftlich symptomatisch, denn man macht sich wohl regelmäßig Bilder von anderen, ohne deren Dasein dabei ernsthaft zu respektieren. Besonders, wo tiefe Freundschaften durch unter Optimierungszwang stehende „Netzwerke“ ersetzt werden.
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