„Der Mensch kann manche Sachen…“ – Zu Dieter Süverkrüps Übersetzung von „La Lega“, gesungen von Zupfgeigenhansel
27. August 2018 Hinterlasse einen Kommentar
Zupfgeigenhansel (Text: Dieter Süverkrüp) Miteinander 1. Der Mensch kann manche Sachen ganz für sich selber machen laut lachen oder singen, kreuzweis' im Tanze springen. Doch bringt das nicht die reine Erfüllung so alleine, es wird gleich amüsanter, betreibt man's miteinander. Oli, oli, ola, wir sind miteinander da, zusammen und gemeinsam, nicht einsam und alleinsam. Oli, oli, ola, miteinander geht es ja, wenn wir zusammen kommen, komm' wir der Sache nah. 2. Zu manchen Tätigkeiten, bedarf es eines Zweiten, so etwa zum Begleiten, zum Tratschen und zum Streiten. Auch das zusammen Singen, soll zweisam besser klingen. Erst recht in Liebesdingen läßt sich zu zweit mehr bringen. Oli, oli, ola, [...] 3. Sodann das Fußballspielen geht immer nur mit vielen, wie auch das Volksfest feiern und das nicht nur in Bayern. Auch Demonstrationen, wenn sie den Aufwand lohnen, erfordern eine Menge an menschlichem Gedränge. Oli, oli, ola, [...] 4. Im wesentlichen Falle, da brauchen wir uns alle auf diesem Erdenballe, damit er nicht zerknalle. Schiebt alle Streitigkeiten für eine Weil' beiseiten, und laßt uns drüber streiten dereinst in Friedenszeiten. Oli, oli, ola, [...] 5. Befällt uns das Verzagen so müssen wir's verjagen, vielleicht zusammen singen, ein Faß zu Ende bringen. Laßt uns zusammen juchzen und wenn es sein muß schluchzen. Der Mensch braucht jede Menge an menschlichem Gedränge. Oli, oli, ola, [...] [Zupfgeigenhansel: Miteinander. Musikant 1982.]
Der Textdichter Süverkrüp
Der Text ist die recht freie Übersetzung von Dieter Süverkrüp eines italienischen Gewerkschaftslieds. Der 1934 geborene Liedermacher, Musiker, Grafiker und Maler Süverkrüp war zu diesem Zeitpunkt 48 Jahre alt. Seine musikalisch besonders kreative Phase und sein starkes politisches Engagement lagen bereits hinter ihm. War er in den sechziger Jahren erfolgreich als Jazzgitarrist mit den Düsseldorfer Feetwarmers – in den Pausen der Konzerte spielt er auch mal Bach -, so füllte der Singer Songwriter in den siebziger Jahren mühelos die großen Auditorien der Unis (Audimax) und sang bei Ostermärschen, Betriebsbesetzungen und Festivals bis Anfang der achtziger Jahre.
Nach den Erfolgen seiner Interpretationen französischer Revolutionslieder wie Ah, ca ira (Ah, das geht ran, die Aristokraten an die Laterne) oder La Caramagnole (Madame Veto) (Übersetzung Gerd Semmer), der Lieder gegen die Atombewaffnung, z. B. Strontium 90 oder Unser Marsch ist eine gute Sache, (Text und Melodie: Hannes Stütz) wurde er in allen Schichten der deutschen Bevölkerung mit seinem sozialkritischen Kinderlied Der Baggerführer Willibald bekannt. Weniger bekannt wurden seine antikapitalistischen Parodien wie Wilde Nacht, streikende Nacht oder Leise pieselt das Reh und sein Vietnam-Zyklus. Süverkrüps Erschröckliche Moritat vom Kryptokommunisten fand Beifall über enge parteipolitische Grenzen hinaus. Er erhielt Preise für seine „widerborstigen Lieder“ (so ein Albumtitel) sowohl in der Bundesrepublik (Deutscher Kleinkunstpreis und Preis der Deutschen Schallplattenkritik) als auch in der DDR (Heinrich-Heine-Preis).
Als studierter Grafiker und Maler widmet sich Süverkrüp nach seinen „Liederjahren“ seinen anderen Talenten (vgl. das mit einigen seiner Liedtexte und Grafiken versehene von Udo Achten herausgegebene Buch Süverkrüps Liederjahre 1963 – 1985 ff, Essen 2002). Zahlreiche Zeichnungen, Radierungen, Kupferstiche und Ölbilder zeugen bis heute davon.
Offen bleibt, wann und wo Süverkrüp das italienische Lied Sebben che siamo donne mit dem Titel La Lega kennengelernt hat. Die im folgenden notierte deutsche Fassung basiert auf einer wörtlichen Übersetzung, die ich als Versuch in eine annähernd singbare Version übertragen habe.
Vergleich La Lega – Miteinander
La Lega 1. Sebben che siamo donne paura non abbiamo Per amor dei nostri figli , per amor die nostrr figli Sebben che siamo donne paura non abbiamo Per amor dei nostri figli in lega ci mettiamo. O li o li o la E la lega la crescerà E noi altri lavoratori e moi altri lavoratori O li o li o la E la lega la crescerà E noi altri lavoratori vogliamo la libertà. 2. E la libertà non viene perchè non c'è l'unione Crumiri col padrone, crumiri col padrone E la libertà non viene perchè non c'è l'unione Crumiri col padrone son tutti d'ammazzar. O li o li o la [...] 3. Sebben‘ che siamo donne paura non abbiamo Abbiam‘ delle belle buone lingue Sebben che siamo donne paura non abbiamo Abbiam‘ delle belle buone lingue E ben ci difendiamo. O li o li o la [...] 4. E voialtri signoroni che ci avete tanto orgoglio Abbassate la superbia abasiate la superbia E voialtri signoroni che ci avete tanto orgoglio Abbassate la superbia e aprite il portofoglio. O li o li o la e la lega la crescerà E noialtri lavoratori e noialtri lavoratori O li o li o la e la lega la crescerà E noi altri lavoratori e noialtri lavoratori O li o li o la e la lega la crescerà E noi altri socialisti e noi altri socialisti O li o li o la e la lega la crescerà E no ialtri socialisti vogliamo la libertà . [Übersetzung] 1. Und sind wir auch nur Frauen, wir haben keine Ängste dank der Liebe unsrer Kinder, dank der die Liebe unsrer Kinder, und sind wir auch nur Frauen, wir haben keine Ängste. mit der Liebe unsrer Kinder, geh'n wir in die Gewerkschaft. Oli-oli-ola, die Gewerkschaft, die wird wachsen und wir Arbeiterinnen, und wir Arbeiterinnen, oli-oli-ola, die Gewerkschaft, die wird wachsen und wir Arbeiterinnen, wir streben nach der Freiheit. 2. Die Freiheit wird nicht kommen, es gibt keine Gewerkschaft, Streikbrecher und Gutsherren, Streikbrecher und Gutsherren, die Freiheit wird nicht kommen, es gibt keine Gewerkschaft Streikbrecher und Gutsherren sind alle totzuschlagen. Oli-oli-ola, [...] 3. Und sind wir auch nur Frauen, wir haben keine Ängste, wir haben Argumente und zwar richtig treffende, und sind wir auch nur Frauen, wir haben keine Ängste wir haben gute Argumente, wissen uns zu verteidigen. Oli-oli-ola, [...] 4. Und ach, ihr hohen Herren mit eurem großen Stolze, schlagt nieder euren Hochmut, schlagt nieder euren Hochmut und ach, ihr hohen Herren mit eurem großen Stolze, vergeßt bloß euren Hochmut und öffnet die Schatullen. Oli-oli-ola, die Gewerkschaft, die wird stärker und wir Arbeiterinnen, und wir Arbeiterinnen, oli-oli-ola, die Gewerkschaft, die wird stärker und wir Arbeiterinnen, wir wollen gut bezahlt werden. Oli-oli-ola, die Gewerkschaft, die wird stärker und wir, wir Sozialisten und wir, wir Sozialisten oli-oli-ola die Gewerkschaft, die wird stärker und wir, wir Sozialisten, wir streben nach der Freiheit.
Das Lied La Lega (die Liga, hier: die Gewerkschaft) entstand in den Jahren 1890 bis 1900. Wer den Text verfasst hat, ist nicht bekannt; vermutlich ist er während der Arbeit auf den Reisfeldern in der Poebene von mehreren Frauen gedichtet worden. Die Melodie setzt sich aus Teilen verschiedener italienischer Volkslieder zusammen, die nicht näher zu bestimmen sind.
Während es im Original die schwer arbeitenden Frauen sind, die Reis anbauend oder pflückend, ihre Situation besingen, geht es in der freien Übersetzung von Süverkrüp um Menschen allgemein.
In der ersten Strophe des italienischen Liedes machen sich die Arbeiterinnen auf den Reisfeldern selbst Mut – „wir haben keine Angst“ – Mut, den sie auch der Liebe ihrer Kinder verdanken. Aber sie sind sich klar darüber, dass sie, um ihre soziale Lage zu verbessern, eine Gewerkschaft brauchen, und sie wollen in die Gewerkschaft eintreten (um 1900 wurden in Italien die ersten Gewerkschaften gegründet).
Dagegen beschreibt Süverkrüp zunächst, was ein Mensch „für sich selber machen“ kann, und zählt exemplarisch auf: lachen, singen tanzen. Zugleich weist er darauf hin, dass es viel mehr Freude macht, diese „Sachen“ gemeinsam zu machen. Diese Aussage wird im Refrain bekräftigt: Nach der reinen Beschreibung gemeinsamer Tätigkeiten der Strophen eins bis drei bezieht sich der Dichter ein: „wenn wir gemeinsam kommen, komm‘ wir der Sache nah“.
Im Refrain des Originals sind die Frauen zuversichtlich, dass die Gewerkschaft wachsen und damit stärker werden wird. Das erinnert an das seit mehr als 100 Jahren gewerkschaftliche Motto Gemeinsam sind wir stark oder an den Spontispruch aus den 1970er Jahren Allein machen sie dich ein.
Zugleich streben die Frauen nach der Freiheit, nach der Befreiung von der Fronarbeit auf den Reisfeldern. Aber, so singen die Frauen bedauernd, die Befreiung kommt nicht, wenn es keine Gewerkschaft gibt. Die Frauen sind so enttäuscht, als andere Arbeiter ihren (gerade begonnenen) Streik brechen, dass sie wünschen, dass die Streikbrecher totgeschlagen werden sollten, ebenso wie die ausbeuterischen Großgrundbesitzer.
Süverkrüp setzt der zweiten Strophe seine anfangs unpolitische Beschreibung der Tätigkeiten, die man besser zu zweit ausübt, fort: ‚begleiten, tratschen, streiten, singen‘ – nicht zuletzt gilt das auch „in Liebesdingen“. In der dritten Strophe erweitert Süverkrüp die Zweisamkeit. Es leuchtet ein, dass das Fußballspielen vieler Menschen bedarf, ebenso wie Demonstrationen mit nur einer Handvoll Leute keinen Eindruck auf die Adressaten machen.
Um ihre Furcht zu vertreiben, wiederholen die italienischen Frauen mehrmals, dass sie keine Ängste haben. Schließlich haben sie gute Argumente und wissen sich zu verteidigen, d.h. ihre Forderungen gut zu begründen. Dann werden die Arbeiterinnen offensiv: sie fordern die hohen Herren auf, ihren Hochmut und ihre Überheblichkeit abzulegen und ihre Schatullen zu öffnen und angemessene Löhne zu zahlen (Strophen 4 und 5).
In der vierten Strophe der Version Süverkrüps erkennen wir den politischen Liedermacher. Zwar wird der ‚wesentliche Fall, in dem der Erdball zerknallt‘ nicht konkretisiert, aber wir können uns leicht vorstellen, was gemeint ist, nämlich ein Weltkrieg mit dem Einsatz von Atomwaffen. Und um es nicht zum overkill kommen zu lassen, fordert Süverkrüp uns, v.a. diejenigen, die sich für Frieden einsetzen, auf, alle (politischen) Differenzen so lange ruhen („für eine Weil‘ beiseiten“) zu lassen, bis das wichtige gemeinsame Ziel erreicht ist und „Friedenszeiten“ eingekehrt sind.
Und während in der italienischen Fassung die Frauen nach wir vor auf eine starke Gewerkschaft hoffen, betonen sie, dass sie als Sozialistinnen – in anderen Fassungen als Kommunistinnen – die Befreiung von der Fronarbeit und damit bessere Arbeitsbedingungen fordern.
In der fünften Strophe sieht Süverkrüp, wobei er sich als Person erneut einbezieht, durchaus die Möglichkeit, dass die Forderung nach friedlichem Zusammenleben nicht in jedem Fall Gehör finden wird. Daher macht er uns Mut, eventuell durch gemeinsames Singen (auf Demonstrationen und Kundgebungen) unsere Kleinmütigkeit „zu verjagen“, auch indem wir gemeinsam Freude erleben und Leiden durchleben. Und wir sollten uns klarmachen, dass wir das nicht alleine schaffen, sondern nur gemeinsam, wie Süverkrüp es ausdrückt „Der Mensch braucht jede Menge / an menschlichem Gedränge“.
So ist aus der anfänglichen nett daher kommenden Aufzählung spielerischer und sportlicher Betätigungen der deutschen Version doch noch ein politisches Lied geworden.
Rezeption
Wie die italienische Musikgruppe Bella Ciao auf ihrem Konzert beim Internationalen Tanz- und Folkfest in Rudolstadt (Thüringen) 2018 erzählte, war das Gewerkschaftslied La Lega jahrzehntelang in Vergessenheit geraten. Erst 1964 auf dem Festival dei Due Mondi in Spoleto, einer Kleinstadt in Perugia (Umbrien) wurden Lieder wie La Lega und auch das Partisanenlied Bella Ciao wiederentdeckt (vgl. www.iedm.it/) „Die Uraufführung dieses Meilensteins der italienischen Musikgeschichte“, die wegen der alten Arbeiter- und Partisanenlieder „nicht ohne wüste Polemiken“ (www.cultureworks.at stattfand, war ein Auslöser zum Folk-Revival in Italien.
Das erste mir bekannte Liederbuch mit La Lega stammt aus dem Jahr 1975: Canzoni italiane di protesta 1794-1974. Weltweit bekannt wurde dieses „erste Lied des proletarischen Kampfes von Frauen“ (Nanni Svampa, La mia morosa cara, Milano, 1978) 1976 durch den Film 1900 (Novecento) von Bernado Bertolucci. Im Film wird die Lebensgeschichte zweier Männer zwischen 1900 und 1945 erzählt, der Söhne eines Landarbeiters und eines Gutsherren. Deren ambivalente Freundschaft wird geschildert vor dem Hintergrund des aufkommenden Faschismus und der kommunistischen Gegenbewegung. Das Lied ist zu hören, als die Bauern unter der Leitung von Anna, einer Landarbeiterin, anfangen, gegen die Vertreibung der Bauern, die ihre Schulden an die wohlhabenden Gutsbesitzer nicht bezahlen können, zu demonstrieren.
1982, im selben Jahr, in dem Süverkrüp das italienische Lied frei ins Deutsche übertragen hatte, nahm es das Folkduo Zupfgeigenhansel in sein Repertoire auf. Mit großem Erfolg trugen sie es auf ihren Tourneen durch Deutschland vor, wobei der Refrain von vielen Konzertbesuchern mitgesungen wurde. Im Katalog des Deutschen Musikarchivs, in dem ich von Süverkrüp keinen Tonträger mit Der Mensch kann manche Sachen gefunden habe, sind zwei LPs (1982 und 1984) und eine CD (2004) mit dem Titel Miteinander vorhanden, gesungen und gespielt von Zupfgeigenhansel, gelistet. Miteinander fand nur in wenige deutsche Liederbücher Eingang , z.B. in Wir lieben das Leben der Naturfreunde (1987), in das Bundesliederbuch des Deutschen Pfadfinderbundes Mosaik (2001) und in Feuerfunken – Greifenlieder, 2015 herausgegeben von einem lokalen Wandervogelverein.
In Italien ist La Lega inzwischen fast so populär wie das Partisanenlied Bella Ciao. In Italien und in einigen anderen Ländern wird „Sebben che siamo donne“ am 8. März, dem Internationalen Frauentag, in der jeweiligen Landessprache oder in der Originalfassung gesungen.
Hier zum gemeinsamen Singen die Noten mit der ersten Strophe der Süverkrüp-Version:
Georg Nagel, Hamburg
Nachtrag:
Laut Auskunft von Dieter Süverkrüp hat er um 1980 eine deutsche Übersetzung von La Lega in der Liedermacher-Szene kennengelernt. Vom Singer/Songwriter Lerryn (= Dieter Dehm, bekanntestes Lied 1000 und eine Nacht, 1984) angeregt, hat Süverkrüp dann 1982 seine Fassung des italienischen Gewerkschaftslieds getextet. Wie Süverkrüp bei einem Auftritt in Italien von einem Lehrer erfahren hat, wurde „Oli, oli, ola“ in den Bergen gerufen ähnlich wie der Almschroa, der Juchzer des Jodelns, z.B. in den Alpenländern den Hirten und Sammlern als Verständigungsruf diente.