Voll Romantisch? Zu Revolverhelds „Ich lass für dich das Licht an“
19. Februar 2018 10 Kommentare
Revolverheld Ich lass für dich das Licht an Wenn wir nachts nach Hause gehen Die Lippen blau vom Rotwein Und wir uns bis vorne an der Ecke Meine große Jacke teilen Der Himmel wird schon morgenrot Doch du willst noch nicht schlafen Ich hole uns die alten Räder Und wir fahren zum Hafen Ich lass' für dich das Licht an, obwohl's mir zu hell ist Ich hör mit dir Platten, die ich nicht mag Ich bin für dich leise, wenn du zu laut bist Renn' für dich zum Kiosk, ob Nacht oder Tag Ich lass' für dich das Licht an, obwohl's mir zu hell ist Ich schaue mir Bands an, die ich nicht mag Ich gehe mit dir in die schlimmsten Schnulzen Ist mir alles egal, Hauptsache du bist da Ich würde meine Lieblingsplatten Sofort für dich verbrennen Und wenn es für dich wichtig ist Bis nach Barcelona trampen Die Morgenluft ist viel zu kalt Und ich werde langsam heiser Ich seh' nur dich im Tunnelblick Und die Stadt wird langsam leiser Ich lass' für dich das Licht an [...] Wenn wir nachts nach Hause gehen Die Lippen blau vom Rotwein Und wir uns bis vorne an der Ecke Meine große Jacke teilen [Revolverheld: Immer in Bewegung. Columbia 2013.]
Befragt man das Internet nach beliebten deutschsprachigen Liebesliedern, so ist fast immer Revolverhelds Ich lass für Dich das Licht an vertreten. Von den „80 schönsten deutschen Liebesliedern“ (musikradar.de) bis hin zu „20 Deutsche[n] Lieder[n] für den Eröffnungstanz und die Trauung“ – dort sogar auch Platz 1 – taucht das Lied auf. Und glaubt man den unter dem Musikvideo versammelten Kommentaren, befindet sich das Lied auf diesen Listen zu Recht. Dort wird von emotionalen Reaktionen („Bin ich die einzige die geweint hat?“), über Heiratsanträge („Zu dem Song hatte ich meiner Freundin einen Heiratsantrag gemacht……..und sie hat JA gesagt“) bis hin zu Sehnsuchtsphantasien („Und wer fragt sich da nicht ‚warum passiert mir sowas nicht‘ Wunderschön! Tränen in den Augen!“) berichtet.
Also alles klar: ein schönes Liebeslied, das Hörern die Tränen in die Augen treibt und sie zu Heiratsanträgen motiviert, oder? Gerade weil sich das Lied so großer Beliebtheit erfreut, soll hier eine kritischere Lesart vorgeschlagen werden, die die im Text dargestellte Vorstellung von Romantik kritisch hinterfragt. Die Interpretation rückt dafür die besungene, weibliche Protagonistin in den Vordergrund.
Der Inhalt des Textes ist schnell umrissen: Die Sprechinstanz des Liedes beschreibt, was sie für eine andere Person getan hat bzw. tun würde. Besonders wichtig ist ein Szenario, in dem die beiden Personen nachts nach Hause laufen. Das Geschlecht von Sprechinstanz und besungener Person wird nie explizit erwähnt, aber die Beschreibung ist so konventionell gender-normiert, dass sich vermuten lässt, dass es sich um eine männliche Sprechinstanz handelt, die eine weibliche Person besingt. Unterstützt wird diese Vermutung durch das Musikvideo, in dem ein Mann seiner Freundin einen Heiratsantrag macht.
Geht man also davon aus, dass die besungene Person eine Frau ist, ergeben sich mit dem Text einige Probleme. Denn, stark überspitzt ausgedrückt, wird hier eine gefühlsduselige und schwächliche Frau dargestellt und damit einhergehend eine ganz klassische Rollenvorteilung des Manns als Beschützer und Problemlöser rezipiert. Einige Beispiele: Der Frau ist kalt und so muss der Mann als wärmender Beschützer eintreten oder die Frau schaut die „schlimmsten Schnulzen“, der hypermaskuline Mann dann wohl die Actionfilme. Diese Beschützerthematik kommt auch in der titelgebenden Zeile „Ich lass‘ für dich das Licht an, obwohl’s mir zu hell ist“ zum Ausdruck. Will die Frau, dass man das Licht anlässt, weil sie sich fürchtet?
Doch darüber hinaus ist die Struktur des Textes aus zwei Gründen sehr problematisch: Erstens zählt der männliche Sprecher all die Opfer auf, die er bringen muss um so seine Liebe zu beweisen. Dass in jeder zwischenmenschlichen Beziehung beide Seiten Kompromisse eingehen müssen um ein Gelingen zu gewährleisten, ist klar. Doch dadurch, dass hier der Mann so explizit all die Dinge aufzählt, die er tut um der Frau entgegenzukommen, entwickelt sich ein seltsames Machtgefälle: Der Mann bringt diese Opfer, aus Großzügigkeit der Frau gegenüber. Dadurch gibt es auch eine klare Wertung: Schnulzen sind „schlimm“ und die besungene Frau ist nicht laut sondern „zu laut“.
Gerade die Tatsache, dass die Frau „zu laut“ ist, ist interessant, weil sie mit einem beliebten misogynen Topos spielt. Sind Frauen nicht gefällig, werden sie als hysterisch bezeichnet, und das Ideal der zurückhaltenden Dame wird weiterhin gepflegt (siehe z.B. pinkstinks.de). In der hier vorgeschlagenen Lesart schwingen diese Konnotationen der kreischenden, hysterischen Frau in dieser Zeile mit. Der Mann hingegen, ganz klassisch und heteronormativ gedacht, ist eine Art Gegenpol, der die problematischen Aspekte der Frau – hier durch seine Stille – ausgleicht.
Der Mann fühlt sich als Märtyrer für die Liebe in seiner Haut sehr wohl. So ausgeprägt ist diese Tendenz, dass er nicht nur aufzählt, was er schon getan hat, sondern auch was er tun würde (seine Platten verbrennen und nach Barcelona trampen). Wie sehr das Lied auf die Sprechinstanz fokussiert ist, wird auch in der wiederholten Verwendung der ersten Person Singular deutlich. Im Refrain geht es dreimal um „Ich“.
Dies führt auch zum zweiten Problem: der Tatsache, dass wir diese Geschichte lediglich aus der Sicht des Mannes hören. Vielleicht hat die Frau gute Gründe mit Licht schlafen zu wollen? Vielleicht würde sie den Mann als zu still bezeichnen? So oder so bekommt die Hörerin oder der Hörer eine sehr einseitige Sicht, die dadurch, dass der Mann seine Opfer aufzählt, klar den Mann als den stärkeren, letztlich auch besseren Teil der Beziehung darstellt. Natürlich gibt es viele gelungene Liebeslieder, in denen nur die Sicht einer der beiden beteiligten Personen thematisiert wird. Aber der Fokus auf den Mann in Kombination mit der wertenden Darstellung der Frau macht diese Darstellungsart in diesem Fall problematisch.
Unterstützt wird diese Lesart auch durch das pappsüße Musikvideo. Glaubt man der Erklärung im Video, dass es sich um eine authentische Situation handelt, so spielt die Band das Lied für einen Freund, der seiner Freundin nun einen Heiratsantrag machen will. Bezeichnend sind dabei zwei Dinge: zum ersten, dass der Freundin vorher nicht gesagt wird, was passieren wird, und ihr somit Informationen vorenthalten werden, die ihr die Möglichkeit gäben zu widersprechen. Was der Freundin hingegen gesagt wird ist, dass sie sich „schick machen“ solle. Zum zweiten die Tatsache, dass selbstverständlich der Mann den Antrag macht. Klassisch ergreift er die Initiative und bleibt dem im Lied ebenfalls dargestellten traditionellen Rollenverständnis völlig treu. Am Ende ist der Mann das bestimmende und ausschlaggebende Element.
Geht so romantisch?
Martin Christ, Tübingen
vielen Dank für diesen Beitrag, der explizit auseinsanderbröselt, was am Liedtext alles so seltsam ist und – eben – höchst unromantisch…. – ich vermisse doch sehr den Mut zum Eigenständig-Sein-sein in dem Lied.
Herzlichen Dank, freut mich, dass es Ihnen gefällt!
Sehr gut analysiert. Überzeugt mich doch glatt 🙂
Danke!
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…Und man kann das Szenario auch als codependent beschreiben… Nämlich, dass er sich saumäßig für sie verbiegt, Dinge tut, die er sonst nicht tun würde und sich durch Dinge oder Aktivitäten quält, oder quälen würde für Sie, die eigentlich seiner Natur widersprechen.
Danke!!
Ich finde diese Vorstellung von Romantik auch alles andere als „zu Tränen rührend“.
Der männliche Protagonist redet ausschließlich von den Opfern die er bringt, aber er erwähnt mit keinem Wort, was er im Gegenzug gewinnt.
Außerdem halte ich es für fraglich, ob so eine Beziehung als „gesund“ zu bezeichnen ist und ob sie auf lange Sicht eine glückliche Zukunft hat.
Natürlich muss man für jede Beziehung gewissermaßen „Opfer“ bringen, aber man sollte sich dabei nicht selbst verbiegen.
Etwas mehr Ehrlichkeit, Kompromisse und weniger Selbstbezogenheit würden dem Lied gut tun.
Mit der klischeebehafteten Darstellung der Frau, konnte ich mich leider auch nicht identifizieren…
Schade, sehr einseitig geschrieben und ziemlich aus dem Hut gezogen an vielen Stellen. Schlecht reden ist nicht dasselbe wie kritisch hinterfragen. Hinterfragen enthält pro und contra aber leider fehlt mir hier das pro ziemlich
Danke für die Interpretation!
Ich fand die beschriebene Beziehung auch immer ungesund.
Seit ich Kinder habe, denke ich: der singt sein Kind an, und dann geht’s eigentlich. (Rotwein mal beiseite- 16jähriges Teeniekind?)