Rückzug statt Revolte: „Columbo“ von Wanda (2017)
23. Januar 2018 Hinterlasse einen Kommentar
Wanda Columbo Heute gehen wir gar nicht raus Wir bleiben im Pyjama z'haus Nur wir zwei, wie im Traum Und Columbo schauen Schwarze Jalousie und auch Schöne Haut auf deinem Bauch Nur wir zwei, wie im Traum Und Columbo schauen Heute gehen wir gar nicht raus Wir ziehen den Pyjama aus Nur wir zwei, wie im Traum Und Columbo schauen Deine Angst und meine auch Alles liegt auf deinem Bauch Nur wir zwei, wie im Traum Und Columbo schauen Am Ende fällt Columbo etwas ein Lass es unsere Rettung sein Es wird eine schöne Lösung sein Doch wir beide passen nicht hinein Und der Regen fällt draußen vor dem Fenster Und wir schlafen ein Und am Ende wird's in Ordnung sein Draußen vor dem Fenster Ich schaue in das Fenster rein Am Ende fällt Columbo etwas ein [...] Heute gehen wir gar nicht raus Wir ziehen den Pyjama aus Nur wir zwei, wie im Traum Und Columbo schauen Deine Angst und meine auch Alles liegt auf deinem Bauch Nur wir zwei, wie im Traum Nur wir zwei, wie im Traum Nur wir zwei, wie im Traum Es wird eine schöne Lösung sein Doch wir beide passen nicht hinein Am Ende fällt Columbo etwas ein [...] [Wanda: Niente. Vertigo 2017.]
„Es ist lyrische Monotonie. Wir kennen die Texte, die sich mehr wie wahlloses Gebrabbel eines beschwipsten Hobby-Philosophen im Weinheurigen anhören, als tiefgründige Phrasen, die Interpretation zulassen. Ein beschränktes Vokabular. Seit Jahren sudern sie über dieselben Probleme. Aber ja, das ist Wanda. Es wäre auch ein Stück Selbstverrat, das aufzugeben. Manchmal muss man sich selbst ein Messer in den Rücken rammen, um zu sterben — und dann neu aufzuerstehen. Hatte Falco recht? Muss ich denn sterben, um zu leben?“ (Quelle: kultort.at)
Nicht zuletzt, um einer Antwort auf diese Frage näher zu kommen, folgt hier der Versuch einer Interpretation:
Columbo hat es nach Österreich verschlagen. Statt der Skyline von Los Angeles ist die Donau zu sehen, dahinter die Hochhäuser Wiens. Davor zwei Männer, einer von ihnen trägt eine Lederjacke, auf der in großen Lettern „Columbo“ prangt. Der andere gebückt, im Trenchcoat. Sein Begleiter zündet ihm eine Zigarre an. Mit diesen Bildern beginnt das Video der österreichischen Band Wanda zu ihrem im Spätsommer 2017 veröffentlichten Lied „Columbo“. Die verwendeten Symbole könnten kaum eindeutiger sein, Zweifel an der Verortung ihres Kommissars lassen die fünf jungen Wiener nicht aufkommen. Beide sind sie leicht zerfleddert, teilen den Hang zum Nikotin: Michael Marco Fitzthum alias Marco Michael Wanda und der Doppelgänger Columbos.
Instant Amore oder Fischvergiftung?
Columbo ist erschienen auf dem dritten Studioalbum Niente. Ihr Debütalbum Amore (2014) hatte die Band auf einen Schlag berühmt gemacht – ein kommerzieller Erfolg, von der Kritik überwiegend positiv, vom Publikum meist euphorisch aufgenommen. Das keine zwölf Monate später erschienene zweite Album Bussi (2015) verkaufte sich zwar auch sehr gut, bescherte Wanda jedoch eine mediale Kontroverse und den Vorwurf, sexistisch zu sein: Im Videoclip zu Bussi Baby taucht Sänger Marco Wanda in einem Ozean zwischen riesenhaften Frauenbeinen ab. Zuvor sieht man, wie sich Ronja von Rönne auf einem Bett räkelt – die Bloggerin, die mit dem Artikel Warum mich der Feminismus anekelt bekannt geworden war.
Allen, die sich davon in ihrer Begeisterung nicht stören lassen wollten, bescheinigte der Wiener Journalist Wolfgang Zechner eine „Fischvergiftung namens Wanda“. In seiner im Rolling Stone erschienenen Schmähkritik unterstellt er, Rezensenten wie jene der Süddeutschen Zeitung, die über „das grandiose Comeback des Austropop“ sinnierten, müssten von „einer unerklärlichen austrophilen Geisteskrankheit befallen“ sein: „Die so aufgegeilten Pop-Kritiker benehmen sich dabei wie eine mit Kleinem Feigling abgefüllte Urlauberinnengruppe aus Castrop-Rauxel, die in irgendeiner gottverlassenen, österreichischen Apres-Ski-Hölle von einer Meute grindiger Skilehrer eingekocht wird“. Was Zechner zu Columbo gesagt hätte, ist leider nicht bekannt: „Denn bevor ich mir eine dritte Wanda-Platte anhöre, entferne ich mir lieber alle Zehennägel eigenhändig mit einem Tortenheber“.
Dem stehen die zahlreichen zustimmenden Kommentare entgegen, die sich – nicht nur – unter dem Video zu Columbo finden: „Das Lied verursacht in mir ein Gefühl des Glücks!“, „Die ‚Ösis‘ machen jetzt den Sound!“ oder „Columbo ist instant amore“.
Den lässigen, leicht rotzigen Habitus hat die Band seit ihrem ersten Hit Bologna (2014) beibehalten, das Image der charmanten Verwahrlosung weiter gepflegt (vgl. die Besprechung auf diesem Blog). Die typischen nach außen sichtbaren Kennzeichen sind geblieben: abgeschrammelte Lederjacke, darunter wallendes Brusthaar, ganz viel Amore, Bier, Wein oder Schnaps stets in Reichweite und natürlich Zigaretten. Das kommt gut an. „Weiß jemand welche Zigarettenmarke Marco bzw. die anderen Bandmitglieder raucht/rauchen?“, hat jemand unter das Video geschrieben – und zwanzig verschiedene Antworten erhalten (Stand: 14.01.2018). „Parisienne“, „Chesterfield“, „Camel Blue“ – „Die rauchen alles was man überhaupt nur irgendwie rauchen kann“.
Binge Watching gegen die Wirklichkeit
Also alles beim Alten?
Nein, Wanda seien erwachsen geworden, lautet die Einschätzung im Deutschlandfunk. Die Amore habe ihren Charakter verändert; sie sei „nicht mehr der promiskuitive Cunnilingus, sondern ein versöhnlicher Kuss auf die Wange.“ Die Wandamania – von einem „mörderischen Tourplan“ hatte der Musikexpress berichtet – hat Spuren bei der Band hinterlassen, die Hysterie ist Erschöpfung gewichen: „Auf Niente sind die Zwischentöne drauf, die nie erzählt wurden, die Einsamkeit, das Gefühl, dass wir vier Jahre wie eine Partyflasche herumgereicht wurden. Jeder hat uns leer gesoffen, und jetzt ist wenig Wasser im Brunnen übrig“, erklärt Marco Wanda auf news.at. Tatsächlich ist die Musik ruhiger, die Texte wirken weniger provokant: Die Sehsucht nach der Cousine („Ich kann sicher nicht mit meiner Cousine schlafen, / obwohl ich gerne würde, aber ich trau mich nicht“) und die Abenteuer der Tante („Tante Ceccarelli hat / in Bologna Amore gemacht“) sind dem gemütlichen Dasein daheim vor dem Fernseher gewichen:
Heute gehen wir gar nicht raus
Wir bleiben im Pyjama z’haus
Nur wir zwei, wie im Traum
Und Columbo schauen
Ein Rückzug ins Private – „wie im Traum“:
Schwarze Jalousie und auch
Schöne Haut auf deinem Bauch
Nur wir zwei, wie im Traum
Und Columbo schauen
Die Schwarze Jalousie bleibt unten und schützt vor der Außenwelt.
Heute gehen wir gar nicht raus
Wir ziehen den Pyjama aus
Nur wir zwei, wie im Traum
Und Columbo schauen
Alles Unerwünschte bleibt draußen, übrig bleiben nur der Blick aufeinander und auf den Bildschirm. So weit, so idyllisch, doch der Schein trügt:
Deine Angst und meine auch
Alles liegt auf deinem Bauch
Wanda machen schließlich „Rock‘n Roll mit Welteroberungsanspruch“, wie Sänger Marco Wanda nicht müde wird zu erklären, und keinen Schlager. Dazu gehört auch der eine oder andere markige Spruch, zumindest aber dürfte die Band mit ihren Texten das Lebensgefühl eines großen Teils ihrer Zuhörerschaft treffen: Angesichts politisch turbulenter Zeiten die Welt da draußen für ein Wochenende im Pyjama daheim beim Binge Watching der aktuellen Lieblingsserie vergessen. Doch noch nicht einmal die privaten Konflikte lassen sich auf diese Weise dauerhaft aussperren. Die Angst ist zurück, der Traum ist vorbei.
Am Ende fällt Columbo etwas ein
Lass es unsere Rettung sein
Es wird eine schöne Lösung sein
Doch wir beide passen nicht hinein
Columbo, der erfahrene Ermittler, löst seine Kriminalfälle, aber dem Pärchen vor dem Fernseher kann er nicht helfen.
Engel in Lederjacke
Das Video zu Columbo wurde im steirischen Eisenerzer Bergbaugebiet gedreht. Die zerklüftete Landschaft dient als Kulisse für die Liebesdramen mehrerer Pärchen. Erst sieht man verliebte Blicke, vorsichtige Annäherungen und zarte Berührungen. Dann verzweifeltes Weinen, traurige Gesichter, Regen fällt, die Pärchen laufen voneinander weg. Am Boden die Männer in Kreideumrissen, wie an einem Tatort. „Amore, Amore“ hallt es im Hintergrund. Und „Amore“ steht auch in Großbuchstaben auf einem Hügel – dann folgt die Sprengung.
Über dem Elend auf Erden fliegt Marco Wanda, einem Amor gleich, mit zerzausten Engelsflügeln am Rücken. Die Lederjacke hat er dafür freilich nicht abgenommen. Eine Anspielung auf Wim Wenders Film Der Himmel über Berlin (1987)? Darin trifft Columbo-Darsteller Peter Falk an einer Imbissbude Engel Damiel. Und in dem Gedicht Lied vom Kindsein, das Peter Handke für den Film schrieb, wird die Kindheit als utopischer Idealzustand des Menschen geschildert.
Gegen Ende des Videos ist der Engel gefallen, mitten unter die tanzenden Pärchen auf einem Schiff. Es dauert nicht lange und der Columbo-Doppelgänger kommt auf ihn zu, schmiegt sich an ihn.
Im Interview geben sich die Bandmitglieder als große Fans des tollpatschig-smarten Inspektors zu erkennen. Columbo sei „ur-wienerisch, weil er gewaltlos und immer mit seinem Schmäh durchkommt“, zieht Marco Wanda im Interview mit TV-Media die Parallele zu seiner Heimatstadt. Die erste Folge der mit Pausen zwischen den Jahren 1968 und 2003 produzierten Serie habe er als Kind gesehen. Tatsächlich vergeht noch heute kaum ein Tag, an dem Columbo nicht im Fernsehen läuft: in Deutschland auf ZDF neo, in Österreich auf ORF 2. Seine Lieblingsfolge, so Marco Wanda, sei – wenig überraschend – Columbo in der Lederjacke. Das Motiv des Albums, Erinnerungen an die Kindheit, findet sich also auch in Columbo wieder – neben den äußeren Erkennungsmerkmalen des Inspektors, wie dem Peugeot 403 Cabrio und dem Basset. Fehlt nur noch das gekochte Ei.
Musik für postfaktische Zeiten?
Thematisch fügt sich Columbo gut in den Reigen der übrigen Lieder auf dem Album Niente ein. Melancholie und Rückschau dominieren. „Immer leichter wird es schwer / Und alles wirft mich aus der Bahn“, klagt Marco Wanda gleich im Eröffnungsstück Weiter, weiter. „Alles hier erinnert / Aber nix davon bleibt“, heißt es in Wenn du schläfst. Die „traurig schöne Kindheit in 0043“ wird in dem Lied besungen, das als Titel die Vorwahl Österreichs trägt, während im dazugehörigen Video die Bandmitglieder mit einem alten Mercedes durch die dämmrige Landschaft fahren, sich müde die Augen reiben und mit Dinosaurierfiguren im Wald kuscheln. Eine Flucht in Erinnerungen an längst vergangene Kindheitstage? Ein bisschen Wärme gegen die Kälte der Gegenwart und des Erwachsenseins?
„Alles, was ich brauche, ist ein einiges Mal / Ohne Förmlichkeit / (…) Ohne Sachlichkeit“, heißt es über und in Das Ende der Kindheit.
Von dort sei es dann auch nicht mehr weit zum „neuen, fragilen Wahrheitsbegriff in postfaktischen Zeiten“, mit dem eine Rezensentin in der Süddeutsche Zeitung die Musik von Wanda verbunden sieht. Schließlich, schreibt sie, seien deren Lieder unpolitisch, enthielten keine „Botschaften, Aussagen oder gar Meinungen“. Statt der häufig schnöden Gegenwart ginge es bei Wanda um größere Fragen, „das, was Menschen immer beschäftigen wird. Was wir denken, fühlen, wollen im großen Strom zwischen Liebe und Tod.“
„Muss ich denn sterben, um zu leben?“
Hört man sich die Lieder auf Niente an, ist man geneigt, mit Ja zu antworten. „Es ist nihilistisch angehaucht“, lautet die wenig überraschende Erklärung Marco Wandas zu dem italienischen Titel des Werks, der übersetzt „Nichts“ heißt. Die Stücke lassen eine Verletzlichkeit erkennen, Nachdenklichkeit, Traumzustände, Schwermut, Vergänglichkeit, Abschied. In einer Intensität, die über die bislang von Wanda gekannte Wiener Verfallsmystik hinaus geht. Zusätzlich betont von akustischen Gitarren, Klavier und Streichern. Die Band propagierte stets einen „Lebensstil der Selbstverschwendung“. Das kann man wiederum politisch oder zumindest gesellschaftskritisch finden: gegen den neoliberalen Zeitgeist, seinen Jugend- und Gesundheitswahn. Statt permanenter Selbstoptimierung hemmungsloser Rausch und die Hingabe an den Augenblick.
Mehr als auf den vorigen Alben hängen die Lieder miteinander zusammen. So findet Columbo in Lieb sein eine Art Fortschreibung, wenn es heißt:
Unglaublich gern sind wir hier
Unheimlich schwer tu ich mir
Samstag, Sonntag und auch
Keine Hände auf deinem Bauch
Alles einfach unendlich leer
Lieb sein ist schwer
Lieb sein ist anstrengend
Lieb sein tut weh
Das Wochenende dauert an, über den Bildschirm flimmert noch immer Columbo, doch auch die Konflikte sind noch da und auch die nackten Bäuche, auf denen statt der Hände die Angst ruht.
Der letzte Song auf Niente trägt den Titel Ich sterbe. Zumindest so viel ist gewiss.
Isabel Stanoschek, Bamberg