Ich brauch’ nur mich? Überlegungen zu Autonomie und Isolation in „Meine Sache“ von den Broilers und Udo Lindenbergs „Mein Ding“
2. November 2016 Hinterlasse einen Kommentar
Broilers Meine Sache Ich mache einen Ritt Denn ich weiß das Land ist weiter Ich lass’ sie hinter mir Deine Welt und meine Geister Wo bleibt die Erlösung Kalte Nächte, endloses Warten Was ist mit Absolution, Wenn es Nacht wird im Volksgarten Ich mache einen Ritt […] Meine Sache, mein Problem Ich wird’ nicht untergehen Statt der weißen Fahne werdet ihr Meinen Mittelfinger sehen! Meine Sache, mein Problem […] Was ich mit mir trage Kann ich mit niemandem teilen Nicht mit dir, mit meiner Liebe Und nicht in diesen Zeilen Ich sehe die Versuchung Hier und überall, wo ich gehe Ich muss stark sein Gib mir die Kraft zum Widerstehen Meine Sache, mein Problem […] Meine Sache, mein Problem […] Ich brauche niemanden In solchen Zeiten liebt man nicht Hab meine Freunde verlassen Oder verließen die mich? Ich sollte ehrlich bleiben Wenn nur noch eines zählt Auf der Suche zu sein Besser als jeder Ort auf dieser Welt Meine Sache, mein Problem […] Meine Sache, mein Problem […] [Broilers: Vanitas Recordings. Prison 2007.]
Udo Lindenberg Mein Ding Als ich noch ein junger Mann war saß ich locker irgendwann da auf der Wiese vor’m Hotel Kempinski Trommelstöcke in der Tasche in der Hand ’ne Cognacflasche und ’n Autogramm von Klaus Kinski Ich guckte hoch aufs weiße Schloss oder malochen bei Blohm & Voss Nee, irgendwie, das war doch klar irgendwann da wohn ich da in der Präsidentensuite wo’s nicht reinregnet und nicht zieht und was bestell’ ich dann? Dosenbier und Kaviar Und ich mach mein Ding egal, was die anderen sagen Ich geh meinen Weg ob gerade ob schräg, das ist egal Ich mach mein Ding egal, was die anderen labern Was die Schwachmaten einem so raten das ist egal Ich mach mein Ding Und jetzt kommst du aus der Provinz und wenn auch jeder sagt, du spinnst du wirst es genauso bringen machst auf die charmante Art mal elastisch, manchmal hart manchmal musst du das Glück auch zwingen Später spricht dann Wilhelm Wieben er ist sich immer treu geblieben die Mode kam, die Mode ging man war immer noch der King. Ja, du machst dein Ding Egal was die ander’n sagen Du gehst deinen Weg Ob gerade ob schräg Das is doch egal Du machst dein Ding Egal was die ander’n labern Was die Schwachmaten einem so raten das ist egal Und dann bist du dir immer treu geblieben Und Roomservice wird mit U und H geschrieben Und ich mach mein Ding egal, was die ander’n labern Was die Schwachmaten einem so raten das ist egal Ja, ich mach mein Ding egal, was die ander’n labern Was die Schwachmaten einem so raten das ist egal Ich mach mein Ding! [Udo Lindenberg: Stark wie zwei. Starwatch Music 2008.]
Individuelle Autonomie ist ein ständig wiederkehrender Topos bei vielen Liederschreiber_innen. Unabhängig von äußeren Einflüssen macht das Sprecher-Ich, so wird oft suggeriert, „sein Ding“, „geht seinen Weg“ oder „macht seine Sache“. Die Selbstbestimmtheit, das wird meistens zwischen den Zeilen vermittelt, macht eine Person besonders authentisch und, weil losgelöst von kontextuellen Einschränkungen, besonders innovativ. Auch wenn Künstler_innen ihre eigenen Biographien, in denen natürlich andere Menschen und größere Umstände eine wichtige Rolle spielten, oft in das Zentrum ihrer Texte rücken, findet doch eine explizite Abgrenzung gegenüber zeitlich gebundenen Trends, anderen Personen und einem imaginierten „Mainstream“ statt. Hier sollen zwei Texte vorgestellt werden, die als zentrales Thema eine derart aufgefasste Unabhängigkeit haben.
Die lyrics der Düsseldorfer Punkrockband Broilers betonen kontinuierlich die Autonomie des Sprecher-Ichs. Seine Unabhängigkeit wird dabei so sehr betont, dass es den Eindruck erweckt, dass es sich selber von seiner Unabhängigkeit überzeugen muss. Besonders deutlich wird dies in der Mantra-haften Wiederholung des Refrains („Meine Sache, mein Problem“), der jeweils zweimal nacheinander gesungen und komplett dreimal wiederholt wird. Auch wenn der Refrain natürlich per Definition wiederholt wird, ist diese Frequenz für ein relativ kurzes Lied dennoch recht hoch. Ähnlich verhält es sich mit der ersten Strophe, die auch gleich zweimal gesungen wird, als müsste sich das Sprecher-Ich selber Mut zusprechen.
Zu dieser Interpretation passen auch die weiteren Formulierungen, die verwirrt daherkommen. „Ich mache einen Ritt / denn das Land ist weit“ hat mittelalterlich-ritterliche Konnotationen, der pathetische Verweis auf „Erlösung“ und „Absolution“ religiös-christliche Anklänge und schließlich der Verweis auf den „Volksgarten“ wiederum konkret lokale Bezugspunkte zu Düsseldorf. Und warum in besagtem Volkspark nun auf Absolution gewartet wird, und was überhaupt mit der Erlösung gemeint ist erschließt sich – zumindest mir – beim Hören des Liedes nicht. Somit scheint die Sprechinstanz selber nicht so genau zu wissen, was Sache ist. Vielleicht kommt es gerade wegen dieser Unsicherheiten zum Verweis auf die eigene Unabhängigkeit.
In der zweiten Strophe wird dann das Lied selber dekonstruiert. („Was ich mit mir trage / Kann ich mit niemandem teilen / Nicht mit dir, mit meiner Liebe / Und nicht in diesen Zeilen“ [Hervorh. durch d. Verf.]). Die Unfähigkeit sich anderen, auch den Zuhörern, mitzuteilen dem Sprecher-Ich bewusst. Doch in den Versen schwingt Wehmut darüber mit, dass es sich niemandem offenbaren kann oder will. Diese Wehmut wird übrigens musikalisch überhaupt nicht aufgegriffen, weil das Lied sehr flott und (auch im Video) durchaus lebenbejahend interpretiert wird. Was genau nun nicht angesprochen wird, lässt sich nur raten, denn das Sprecher-Ich ‚widersteht der Versuchung‘ sich mitzuteilen erfolgreich. Die Tatsache, dass es dem Impuls widerstehen muss, das was es mit sich trägt, zu teilen, legt nahe, dass es das gerne täte, aber nicht kann. Das Sprecher-Ich braucht sogar „Kraft“, dies nicht zu tun. Diese Geheimnistuerei lässt einen schon fast an einen begangenen Mord oder Ähnliches denken. Statt so etwas aber anzusprechen, wird lieber auf aggressive Weise der Mittelfinger gezeigt. Hier wird die Unabhängigkeit durch aggressives Verhalten und ohne erkennbaren Grund verteidigt, doch das Sprecher-ich ist selber nicht zufrieden mit der Isolation, denn es würde ja gerne etwas sagen, sonst bräuchte es keine Kraft, dies nicht zu tun.
Wenig verwunderlich also, dass das Sprecher-Ich von seinen Freunden verlassen wurde (nachdem das Sprecher-Ich im Lied als ein verschlossen-aggressiver Mensch dargestellt wird, würde ich dafür plädieren, dass die Freunde es verlassen haben und nicht umgekehrt). Deswegen muss sich das Sprecher-Ich so sehr zureden, dass es unabhängig ist („Ich brauche niemanden“). Mit der wiederkehrenden Betonung der Unabhängigkeit haben diese Rufe etwas Trotziges. Das Sprecher-Ich will sich dabei nicht mitteilen, von seinen Freunden verlassen und ohne eine andere Wahl, ist es allein. Bei den Broilers ist das Sprecher-Ich somit nicht autonom, sondern isoliert.
Wenden wir uns nun Udo Lindenberg zu, dessen Text stärker autobiographisch geprägt ist. Auch wenn bei den Broilers die erste Person benutzt wird, finden sich außer dem Lokalbezug wenig konkrete Anhaltspunkte auf die Biographie des Autors. Lindenberg hingegen nutzt sein Lied, um seine eigene Lebensgeschichte (natürlich stark zusammengefasst) zu vertonen. Dabei finden sich zahlreiche Stationen von Lindenbergs Vita, die inzwischen schon zur Legendenbildung um den Künstler gehören, beispielsweise die Vorliebe für das Hotel Kempinski (siehe auch die Interpretation von Da war so viel los).
Auch wenn Lindenberg mit einem bekannten und viel rezipierten Topos im Stile von ‚vom Tellerwäscher zum Millionär‘ bzw. hier ‚von der Wiese in die Präsidentensuite‘ arbeitet, machen die autobiographische Herangehensweise und seine Wortwahl den Text dennoch charmant und hörens- bzw. auch lesenswert. Im Gegensatz zum Sprecher-Ich bei den Broilers geht das Sprecher-Ich in Lindenbergs Lied, statt lediglich abstrakt zu betonen, wie unabhängig er ist, ins Detail und illustriert „sein Ding“ mit konkreten Beispielen – Dosenbier und Kaviar beispielsweise. Wenn ‚Lindenberg‘ dann seine Unabhängigkeit betont, scheint dies wesentlich authentischer, weil es nicht im Abstrakten bleibt, wie bei den Broilers.
Im Vergleich zu den Broilers handelt es sich bei Lindenberg auch nicht um eine gezwungene Isolation, sondern eine bewusste Entscheidung zur Andersartigkeit. Die Zeilen sind mit Stolz gefüllt („Und ich mach mein Ding / egal was die anderen sagen / Ich geh meinen Weg / ob gerade ob schräg, das ist egal“). Für Lindenbergs alter ego ist Autonomie ein Zeichen der Stärke, wobei es auch um Authentizität geht („er ist sich immer treu geblieben“). Während das Sprecher-Ich bei den Broilers Stärke benötigt, sich nicht mitzuteilen, und sich fast schon verkrampft dazu zwingen muss, unabhängig zu bleiben, indem es nichts teilt, hat Lindenbergs damit kein Problem, es kann sich problemlos und ungezwungen mitteilen.
Schließlich durchbricht Lindenbergs alter ego auch das rein autobiographische Sprechen und spricht den Hörer direkt an („Du machst dein Ding“). Auch dieses Absehen von sich selbst steht im direkten Gegensatz zur Auslegung von Autonomie durch bei den Broilers, deren Sprecher-Ich eben betont, dass es sich in dem Lied nicht mitteilen kann. Bei Lindenberg ist die Anspreche der Hörer auch eine Aufforderung, ihren eigenen Weg zu finden und zu gehen. Im Gegensatz zu den Broilers, wo der eigene Weg als etwas Quälendes erscheint, zu dem man sich durchringen muss und wobei man seine Freunde verliert, offenbart Lindenbergs alter ego eine wesentlich positivere Einstellung zu individueller Unabhängigkeit. Dies wird auch im charmanten Video zu Lindenbergs Lied sichtbar, das eine sehr positive Grundstimmung hat.
Während das Sprecher-Ich bei den Broilers allein ist, weil sie so versessen darauf ist, ein eigenes Ding zu machen, sieht sich Lindenbergs alter ego nicht von anderen isoliert und erwähnt Klaus Kinski und Wilhelm Wieben als Referenzpunkte. Es empfiehlt seinen Hörern sich selber treu zu bleiben, sogar wenn die „Schwachmachten“ etwas anderes sagen. Lindenbergs Sprecher-Ich bemitleidet dabei diese „Schwachmaten“ fast, weil für es klar ist, dass diese nicht ihr eigenes Ding machen. Das Sprecher-Ich bei den Broilers hingegen ist wesentlich aggressiver gegenüber denen, die sich ihm in den Weg stellen. Lindenbergs alter ego hingegen braucht keine Durchhalteparolen, weil es weiß, dass seine Autonomie ihm dazu verholfen hat, seine Träume zu erfüllen.
Somit sind die Gründe warum die beiden Sprechinstanzen unabhängig sind, diametral entgegengesetzt. Im Text der Düsseldorfer Punkrocker bleibt dem Sprecher-Ich gar nichts anderes übrig als unabhängig zu sein, weil es sich selber isoliert hat. Wirklich zufrieden erscheint es dabei nicht und muss sich ständig selber gut zureden, dass es doch am besten sei, alles ganz alleine zu machen. Bei Lindenbergs Text hingegen, geht das Sprecher-Ich, ein alter ego Lindenbergs, sehr entspannt, gelegentlich auch ironisch-augenzwinkernd mit dem Topos der Autonomie um. Es fühlt sich sehr wohl dabei seinen eigenen Weg zu gehen und empfiehlt dies seinen Zuhörern auch. Eine Empfehlung der man sicher beipflichten kann.
Martin Christ, Oxford