„Ich denke, was ich will“. Zu „Die Gedanken sind frei“
4. Juli 2016 8 Kommentare
Anonym Die Gedanken sind frei 1. Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten, sie fliegen vorbei wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen. Es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei. 2. Ich denke, was ich will und was mich beglücket, doch alles in der Still' und wie es sich schicket. Mein Wunsch, mein Begehren kann niemand verwehren, es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei. 3. Und sperrt man mich ein in finstere Kerker, das alles sind rein vergebliche Werke. Denn meine Gedanken zerreißen die Schranken und Mauern entzwei: die Gedanken sind frei. 4. Drum will ich auf immer den Sorgen entsagen und will mich auch nimmer mit Grillen mehr plagen. Man kann ja im Herzen stets lachen und scherzen und denken dabei: Die Gedanken sind frei! 5. Ich liebe den Wein mein Mädchen vor allen, sie tut mir allein am besten gefallen. Ich bin nicht alleine bei meinem Glas Weine, mein Mädchen dabei: Die Gedanken sind frei!
Einleitung
Am geschichtsträchtigen 9. November 1948 stimmten 300.000 Berliner vor der Reichstagsruine nach der berühmten Rede des Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter („Völker dieser Welt, schaut auf diese Stadt!“) spontan Die Gedanken sind frei an, 100 Jahre nach der missglückten 1848er Revolution und rund 150 Jahre nach der Entstehung des Freiheitsliedes. Ein Lied, das von den deutschen Burschenschaftern bereits 1832 auf dem Hambacher Fest gegen die Karlsbader Beschlüsse (§ 1 „[…] dürfen Schriften, die in der Form täglicher Blätter oder heftweise erscheinen […] in keinem deutschen Bundesstaate ohne Vorwissen und vorgängige Genehmhaltung der Landesbehörden zum Druck befördert werden“) und die sich anschließende „Demagogenverfolgung“ gesungen wurde und das Sophie Scholl 1942 vor den Ulmer Gefängnismauern ihrem einsitzenden Vater auf der Blockflöte vorspielte. Ein Lied, das der Leiter des Dresdner Kreuzchores aus dem Programm strich, um eine Konzertreise durch China nicht zu gefährden (vgl. dpa 30.10.2013, s. auch dazu die Stellungnahme des Deutschen Musikrates). Da stimmt es hoffnungsfroh, dass das Lied über Deutschland hinaus die „Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmheit“ ausdrückt und noch im Januar 2015 auf Anregung des französischen Kabarettisten und Chansoniers Roger Siffer von 300 elsässischen Künstlern als Reaktion auf den Überfall auf Charlie Hebdo und die Ermordung von Redakteuren in 11 Sprachen über France 3 Alsace verbreitet wurde (s. Video oben).
Entstehung
Die Grundidee stammt bereits aus der Antike: „Liberae sunt […] nostrae cogitationes“ (Frei sind unsere Gedanken), so der Philosoph Cicero in der Verteidigungsschrift Pro Milone, 52 v.Chr. (zitiert nach Büchmann, S. 379), die im 6. Jahrhundert als Rechtsgrundsatz in die Digesten des römischen Rechts aufgenommen wurde. Um 1200 sang Minnesänger Walther von der Vogelweide in der Neuen Hohen Minne „Joch sint iedoch gedanke frî“ (Sind doch Gedanken frei) und der „fahrende Kleriker ohne Weihen (Vagant)“ Bernhard Freidank (auch Vrigedanc, vgl. Wikipedia) dichtete 1229:
diu bant mac nieman vinden,
diu mîne gedanke binden.
man vâhet wîp unde man,
gedanke niemen gevâhen kan[Das Band kann niemand finden,
das meine Gedanken bindet.
Man fängt Weib und Mann,
Gedanken niemand fangen kann.]
Daran anknüpfend meint Martin Luther rund 200 Jahre später in seiner Schrift: Von weltlicher Oberigkeit, wie man ihr Gehorsam schuldig sei: „Gedanken sind zollfrei!“ (zitiert nach Büchmann, S. 379). Und Shakespeare lässt 1611 in seinem Schauspiel Der Sturm den Zauberer Stephano in der 2. Szene des dritten Aktes sagen: „Thought is free“. Diese Auffassung setzt sich bis in die späten Jahre des Absolutismus fort. Beeinflusst von den geistigen und sozialen Reformbewegungen in West- und Mitteleuropa lässt Friedrich Schiller 1787, also noch vor der Französischen Revolution, in seinem Schauspiel Don Carlos den Marquis von Posa vom absolutistisch regierenden König Philipp von Spanien fordern: „Sire, geben sie Gedankenfreiheit!“.
So war der geistige Boden für die Entstehung des Liedes vorbereitet. Um 1780/90 tauchen die ersten Flugblätter mit dem Text auf, und eine Berner Melodie kommt um 1800 dazu. Genauer ist die Entstehung nicht zu datieren, auch Verfasser und Komponist sind nicht bekannt. Als Vorläufer ist das in der Schweiz und Teilen Süddeutschlands verbreitete sechs Strophen umfassende Lied Beleget den Fuß / mit Banden und Ketten anzusehen, als Fliegendes Blatt in Arnims Sammlung Sieben sehr schöne Neue Lieder gedruckt um 1800 (so der Volksliedforscher Wolfgang Steinitz in: Der Große Steinitz, 1979, Band II, S. 164). Dieses Lied beginnt mit der Eingangsstrophe: „Beleget den Fuß / mit Banden und Ketten, / daß von Verdruß / er sich nicht kann retten. / So wirken die Sinnen, / die dennoch durchdringen, / es bleibet dabei: / Die Gedanken sind frei“ und endet mit der 5. „Wird gleich dem Gesicht / das Sehen versaget, / so werd ich doch nicht / von Sorgen geplaget. / Ich kann ja gedenken, / Was soll ich mich kränken? / Es bleibet dabei: / Die Gedanken sind frei“.
Zunächst wurde das Lied Die Gedanken sind frei vor allem in der Nordschweiz und im Elsässischen gesungen. Nach der Aufnahme 1808 unter dem Titel Lied des Verfolgten im Turm in die von Achim von Arnim und Clemens Brentano herausgegebene Volksliedsammlung Des Knaben Wunderhorn wurde es in überschaubaren Kreisen bekannt. In Band 3 wurden die vier Strophen leicht geändert und jeweils ein Vers, den ein Mädchen, die Freundin des Gefangenen singt, eingefügt. 1820 wurde das Lied erstmalig in ein Volksliederbuch aufgenommen.
Die Forderungen nach einer Verfassung, verbunden mit Demonstrationen in Braunschweig, Göttingen, Sachsen und Kurhessen und die darauf folgende Aufhebung der Presse- und Versammlungsfreiheit 1830, das Verbot der liberalen Bücher des Jungen Deutschland (u.a. von Börne und Heine) 1832, die Entlassung der „Göttinger Sieben“ (die gegen die Aufhebung des Staatsgrundgesetzes öffentlich protestiert hatten) trugen dazu bei, Die Gedanken sind frei zu einem Protestlied zu machen. Besonders nachdem die deutschen Burschenschafter, aus allen deutschen Landen kommend, auf dem Hambacher Fest (s.o.) Die Gedanken sind frei gesungen hatten, verbreitete sich das Freiheitslied über ganz Deutschland.
Zeitgenössische Karikatur gegen die Karlsbader Beschlüsse und die „Demagogenverfolgung“
Auffällig ist, dass aus dieser Zeit bis 1842 keine weiteren Veröffentlichungen in Liederbüchern bekannt sind. Steinitz nimmt an, „daß das Lied im Vormärz auf der Liste der von der Zensur verbotenen Lieder stand“ (Der Große Steinitz, II, S. 165). Im Laufe der Jahre wurde das Lied um die 5. Strophe erweitert; seitdem erschien es mit der neuen Anfangsstrophe „Ich liebe den Wein, / mein Mädchen vor allen“. Steinitz hält es für möglich, dass „dieser neue Anfang eventuell auf das Bemühen von Druckereien Fliegender Blätter zurückgeht, das Lied zensurfähig zu machen (wofür eine harmlose Anfangsstrophe wichtig war)“.
Interpretation
Während andere Lieder des Vormärz mit einer Beschreibung („In dem Kerker saßen“ – Die freie Republik, 1837) oder einem einleitenden Nebensatz („Ob wir rote, gelbe Kragen“ – Bürgerlied, 1845) beginnen und die Liedaussage in den folgenden Versen entwickelt wird, zeigt unser Lied gleich im ersten Vers, worauf es dem Verfasser ankommt: „Die Gedanken sind frei“. In den weiteren Versen wird diese Grundidee bekräftigt, um schließlich im Refrain bestätigt zu werden. Die Behauptung wird durch die anschließende rhetorische Frage unterstützt: „wer kann sie erraten“. Die Antwort gibt bereits Fridank – „gedanke niemen gevage kann“, so wenig wie man „nächtliche Schatten“ einfangen kann. Und erneut erfolgt eine Bestätigung: „kein Mensch kann sie wissen“, und „kein [noch so treffsicherer] Jäger erschießen“.
Geradezu trotzig fährt die zweite Strophe fort: „Ich denke, was ich will“. Will das Sprecher-Ich sich hier Mut machen, hegt es Zweifel am freien Willen? Spätestens seit dem nationalsozialistischen Regime ist klar, wie durch Propaganda, Massensuggestion und Manipulation das Denken (und Fühlen) beeinflusst werden kann. Und auch die Experimente von Milgram haben gezeigt, dass selbst Menschen ohne psychopathologischen Züge durch den Druck von Autoritäten und die äußeren Umstände zu Handlungen neigen, die sie bis dahin nicht für möglich gehalten hatten.
In der zweiten Strophe heißt es weiter: „und was mich beglücket“. Soll das heißen, dass das Sprecher-Ich sich nicht um das politische Geschehen kümmert und sich angesichts der damaligen Repression und Zensur seine Gedanken lieber nicht laut äußert: „doch alles in der Still und wie es sich schicket“? Ein Mensch, der sich so verhält, wird von Hoffmann von Fallersleben in einem Gedicht von 1837 wie folgt beschrieben: „Der deutsche Philister, das bleibet der Mann, / auf den die Regierung vertrauen noch kann, / der passet zu ihren Beglückungsideen, / der läßt mit sich alles gutwillig geschehen“ Solange „Wunsch und Begehren“ in „der Still“ bleiben, kann das Sprecher-Ich nicht an dem Ort landen, vor dem er sich in der dritten Strophe fürchtet: dem „finsteren Kerker“. Doch er macht sich erneut Mut: Festnahme und Einsperren sind „rein / vergebliche Werke“, da, wie er hofft, seine Gedanken auch außerhalb der Mauern weiterwirken: „Die Gedanken sind frei“.
Und hat er vorhin noch gemeint, nur an das zu denken, was ihn „beglücket“ (zweite Strophe), so gesteht er sich jetzt ein, dass ihn (manchmal) die „Grillen geplagt“ (trübselige Gedanken) haben. Doch jetzt will er „auf immer den Sorgen entsagen“. Das, was man bei den schweigenden Gegnern des Nationalsozialismus als ‚innere Emigration‘ bezeichnet hat, könnte auch hier zutreffen: „Man kann ja im Herzen / stets lachen und scherzen.“ Oder wie Hoffmann von Fallersleben spöttisch beschreibt: „bei einem Glase Bier [wird] politisiert“ und „da wird dann viel erzählt, […] gar viel und mancherlei erzählt, / gestritten und gelacht / und mancher Witz gemacht“ (Bei einer Pfeif‘ Tabak, 1844).
Um die damaligen Zensoren zu täuschen, die häufig nur die erste Strophe oder den Beginn eines Flugblattes lasen, wurde (s.o. die Vermutung von Steinitz) die ‚Wein und Mädchen-Strophe‘ vorangestellt, die später nach Aufhebung der Zensur zur 5. Strophe wurde. Wenn es in der letzten Zeile heißt „die Gedanken sind frei“, so könnte man meinen, die freien Gedanken bezögen sich auf das Mädchen. Der unbekannte Verfasser dieses Verses hat aber durchaus zu differenzieren gewusst: Er hat nicht geschrieben, dass er sein Mädchen „vor allem“ liebt, also mehr als die (geforderte) Gedankenfreiheit, sondern „vor allen„. Von allen anderen Mädchen „tut sie ihm am besten gefallen“. Und für den Zensor nicht erkennbar ist die Gewissheit, mit der Idee der Gedankenfreiheit „nicht alleine“ zu sein, da ja betont wird, dass das Glas Wein in Gesellschaft seines Mädchens getrunken wird.
Rezeption bis 1933
Der Veröffentlichung in Schlesische Volkslieder und ihre Melodien (herausgegeben 1842 von A. H. Hoffmann von Fallersleben und E. Richter) folgten viele Liederbücher, die ebenfalls 5 Strophen enthielten. Und geht man von den Herausgebern und der Anzahl der Bücher in dieser Periode aus, so wurde das Lied bald in allen Bevölkerungskreisen, vor allem auch gern von Männerchören, gesungen. Exemplarisch sollen hier Karl Simrocks Die deutschen Volkslieder (1851) und Erk-Böhmes Deutsches Liederbuch III (1894) genannt werden. Auch in Österreich und in der Schweiz war das Lied populär – Das Rütli – Ein Liederbuch für Männergesang erreichte 1878 die 15. Auflage und erschien bereits zehn Jahre später in der 33. Auflage.
In Deutschland griff Anfang des 20. Jahrhunderts die Jugendbewegung das Lied auf, wie die zahlreichen Editionen zeigen, z. B. der Zupfgeigenhansl (1908, 1928 bereits 800.000 Exemplare), Wandervogels Singebuch (1912 und 1915), Was die Wandervögel singen (1918, 2. Auflage) u.v.m. Bis 1933 erschienen weitere Liederbücher, herausgegeben von Turn- und Wandervereinigungen und von gewerkschaftlichen, studentischen und völkischen Kreisen. Auch in andere Gebrauchsliederbücher und Schulbücher wurde das Lied aufgenommen, z. B. Was singet und klinget – Lieder der Jugend (9. Auflage 1926) und Das Deutsche Lied, 1. Teil – Eine stufenmäßige Sammlung von Liedern für den Schulgebrauch (7. Auflage 1929).
Rezeption 1933 bis 1945
Bedenkt man, dass bereits das Singen der dritten Strophe des Fahrtenliedes Wenn die bunten Fahnen wehen („Hei, die wilden Wandervögel“) im NS-Regime mit Strafe bedroht war (vgl. meine Interpretation unter Rezeption, 1. Absatz), dann ist es für mich erstaunlich, Die Gedanken sind frei in NS-Liederbüchern und vom NS-Lehrerbund herausgegebenen Schulbüchern zu finden, so z. B. in den HJ-Liederbüchern Blut und Ehre, Uns geht die Sonne nicht unter, Die Fahne hoch – Lieder der Jungen und Unser Lied – Liederbuch für die höhere Schule oder Klingendes Deutschland – Musikbuch für die Mittelschule. Geht man von den Liederbüchern (z.B. Singend wollen wir marschieren und Weckruf (RAD), Morgen marschieren wir, Im gleichen Schritt und Tritt) aus, so wurde die Gedankenfreiheit auch im Arbeitsdienst und in der Deutschen Wehrmacht besungen. Ich meine, spätestens nach der Aktion Sophie Scholls vor dem Ulmer Gefängnis (s. Einleitung) 1938 hätte die NS-Führung die Brisanz des Textes erkennen müssen.
Lag es an den gehorsamen Befehlsempfängern, die selbst nicht nachdenken wollten bzw. konnten? Lag es an den bürokratisch orientierten Juristen, die zwar im Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20. Dezember 1934, dem sog. Heimtückegesetz, herabsetzende Bemerkungen über Staat, Partei und leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP unter Gefängnisstrafe gestellt hatten, aber nicht laut geäußerte Meinungen für nicht strafbewehrt hielten? Als nach dem 1. September 1939 die Strafen erhöht wurden (Zuchthaus oder KZ) dehnten die Richter die strafbaren Sachverhalte über den Gesetzestext hinaus, so dass bereits der Besitz von nicht genehmen Büchern oder mimische Äußerungen bestraft wurden (vgl. Zehn kleine Meckerlein, v.a. 2. Strophe und Artikeltext dazu).
Da das Lied von der Gedankenfreiheit in zahlreiche NS-Liederbücher aufgenommen wurde – fast ausschließlich ohne die Wein und Mädchen lobende 5. und häufig auch ohne die 3. Strophe – konnte es problemlos in evangelischen und katholischen Jugend-Liederbüchern (z.B. Ein neues Lied) ebenso wie bis zum endgültigen Verbot der bündischen Jugend 1935 in deren Liedersammlungen z.B. Strampedemi oder St. Georg – Lieder deutscher Jugend auftauchen. Auch andere nicht dem NS-Regime nahestehende Liederbücher konnten mit dem Lied erscheinen, z. B. Ein aufrecht Fähnlein (Walther Hensel), Singende Jugend oder das Liederbuch für den deutschen Wanderer.
Einen besonderen Sinn ergab es, Die Gedanken sind frei in das vor der Wachmannschaft geheim gehaltene, handschriftliche Lagerliederbuch des „Konzentrationslagers“ Sachsenhausen aufzunehmen.
Rezeption ab 1945
Ich fahr in die Welt und Wir Falken singen waren die ersten Liederbücher mit den ‚freien Gedanken‘, die bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg herauskamen. Betrachtet man die Anzahl der weiteren Veröffentlichungen mit dem Lied bis 1955 (mehr als 50 Liederbücher), so scheint nach der Repression während des NS-Regimes geradezu ein Hunger nach dem Freiheitslied bestanden zu haben (vgl. dessen spontanes Singen am 9. 11. 1948, s. Einleitung). Nicht nur in zehn Schulbüchern tauchte es in dieser Dekade auf – verständlicherweise ohne die 5. Strophe -, auch im Liederbuch des Deutschen Fußballbundes und – passend zum Motto ‚Frisch, fromm, fröhlich, frei‘ – im Deutschen Turner-Liederbuch und in Skilieder des Harzer Skiverbandes, um nur einige Kuriosa zu nennen. Auch in der damaligen SBZ und späteren DDR erschienen Liederbücher mit dem Lied in vier Strophen, z. B. Unser Lied unser Leben (1947, Verlag Dietz Nachf.). In die späteren Liedersammlungen z.B. der FDJ (Leben, kämpfen, singen, 1964, 10. Auflage) wurde das Lied ebenso aufgenommen wie in Schulbücher, z. B. 1969 in das Liederbuch für 5. bis 10 Klassen Singt nun im Chor.
Wie beliebt das Lied Die Gedanken sind frei war und bis in die Gegenwart ist, zeigen weiter die zahlreichen Publikationen. Das Hubertus Schendel Archiv (www.deutscheslied.com) weist allein rund 400 Liederbücher, das Deutsche Musikinstitut (DMA), Leipzig, fast 200 Tonträger mit dem Lied auf. Hier soll nur eine kleine Auswahl der Interpreten genannt werden: Freddy Quinn (4 LPs bzw. CDs) Milva (6 Tonträger) sowie die Opernsänger Herrmann Prey, Günther Emmerlich und Günter Wewel. Über 260 Partituren im DMA zeigen die Beliebtheit auch bei Chören, exemplarisch genannt seien hier die Fischer Chöre, der Chor der Bundeswehr und die Regensburger Dompatzen. Und natürlich wurde das Lied auch von den politisch engagierten Liedermachern Hein und Oss Kröher und Hannes Wader in ihr Repertoire aufgenommen (zu Konstantin Wecker s. Nachtrag).
Wie populär ein Lied ist, kann sich auch darin zeigen, dass häufig die erste Zeile (sog. Incipit) als Aufmacher bzw. Titel einer Veröffentlichung dient. So weist die Deutsche Nationalbibliothek von 1954 bis 2015 nahezu 40 entsprechende Titel aus – von Romanen, Lyrik- und Aphorismen-Anthologien bis hin zu philosophischen und christlichen Betrachtungen, von neurowissenschaftlichen bis zu historischen Abhandlungen. Von den bekannteren Werken sind Klaus Staecks Die Gedanken sind frei (Buchausgabe mit ausgewählten Plakaten, 3. Auflage 1983) und Tomi Ungerers Die Gedanken sind frei – Meine Kindheit im Elsass 1931-45 (1994) zu nennen.
Im September 2011 wurde Die Gedanken sind frei von den Hörern, Zuschauern und Onlinenutzern des MDR als das schönste deutsche Volkslied gekürt.
Georg Nagel, Hamburg
Nachtrag
Karikatur: Gerhard Seyfried
Zweifel daran, dass die Gedanken frei sind, haben sowohl Paul Rötting (in „Zeit der Leser“-Redaktion, 14. August 2013) also auch Konstantin Wecker (2015 auf der CD Ohne Warum) geäußert:
Konstantin Wecker
Die Gedanken sind frei
Die Gedanken sind frei,
wer kann sie erraten?
Sie fliehenvorbei
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Jäger erschießen,
es bleibet dabei:
die Gedanken sind frei,
es bleibet dabei:
die Gedanken sind frei.Die Gedanken sind frei,
so heißt es schon lange,
trotz Knechtschaft und Tyrannei.
Wir waren nicht bange,
und konnten im Herzen
stets lachen und scherzen
und dachten dabei:
die Gedanken sind frei.Die Gedanken sind frei,
doch jetzt hab ich Bedenken.
Es gibt da so mancherlei,
damit kann man sie lenken.
Es gibt da so Maschen,
da kann man sie waschen,
und schon eins, zwei, drei
sind sie nicht mehr ganz so frei.Die Gedanken sind frei,
so frei wie die Presse.
Und denkst du, dass es anders sei,
dann gibt’s auf die Fresse.
Sie wollen dich lenken,
dein Wissen und Denken,
und vielleicht schon im nächsten Mai
kommt die Gedankenpolizei.
Und vielleicht schon im nächsten Mai
kommt die Gedankenpolizei.Denn ob CIA oder NSA,
sie liegen auf der Lauer.
If you don´t go the right way,
ja da werden sie sauer.
Sie bringen sie zum Schwanken,
deine eigenen Gedanken,
und du glaubst so nebenbei,
die Gedanken wären frei.Die Gedanken sind frei,
solang sie nicht stören,
doch auf Verderb und Gedeih
weißt du, wem sie gehören.
Monsanto und Banken
und den Öllieferanten,
den Algorithmen von Google,
besser gib dir die Kugel,
dann ist alles vorbei –
die Gedanken waren frei.
Paul Rötting
Update eines inkompatibel gewordenen Volkslieds – Die Gedanken waren frei
Die Gedanken waren frei,
Man weiß jetzt, was wir denken.
Wir sind nur zu bereit,
Sie glatt zu verschenken.
Sie rasen in Massen
Durch gläserne Trassen,
Gefiltert und sortiert –
Und Obama spioniert!Die Gedanken waren frei,
Man kann sie berechnen
Und speichert weit und breit,
Was wir so besprechen.
Wir liefern an Facebook
Alltäglichen Humbug,
Intimes und noch mehr –
Und dann wundern wir uns sehr!Die Gedanken waren frei,
Es droht ein Debakel:
Die Gedankenpolizei
War Orwells Orakel.
Und meine Gedanken
Erkennen die Schranken
Und bleiben dabei:
Wir waren einmal frei!
hohohohohoho ich bin der Weinachtsmann
Ahjaaaa besser ist das hahaha
finde ich auch gut
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flipp
3 Korrekturvorschläge zu „Die Gedanken sind frei“ :
Im Abschnitt Interpretation über die zweite Strophe müsste es heißen:“Ein Mensch (nicht: Ein Menschen), der sich so verhält, wird von Hoffmann von Fallersleben in einem Gedicht ….“
Einige Zeilen weiter: „Solange Wunsch und Begehren in der Still bleiben, kann das Sprecher-Ich (nicht: dem Sprecher-Ich) nicht an dem Ort landen, …“
Im Abschnitt Rezeption bis 1933: “ In Deutschland griff Anfang des 20. Jahrhunderts (nicht: 19. Jahrhunderts) die Jugendbewegung das Lied auf, …“
Vielen Dank für die sorgsame Lektüre – die Fehler sind korrigiert.
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