Ach ja, die alten Reflexe: „Denn wenn et Trömmelche jeit“ von De Räuber (1993)

De Räuber

Denn wenn et Trömmelche jeit

Jedes Johr em Winter, wenn et widder schneit
kütt dr Fastelovend un mir sin all bereit
All de kölsche Jecke süht mr op dr Stroß
selvs dr kleenste Panz de weeß
jetzt jeht es widder loss

Denn wenn et Trömmelche jeht,
dann stonn mer all parat
un mer trecke durch die Stadt
un jeder hätt jesaat
Kölle Alaaf, Alaaf; Kölle Alaaf

Jo am 11.11. jeht dat Spillche loss
denn dann weed dr Aap jemaht
ejal wat et och koss
De Oma jeht nom Pfandhaus
versetzt et letzte Stöck
denn dr Fastelovend es für sie et jrößte Jlöck

Denn wenn et Trömmelche jeht,
dann stonn mer all parat
un mer trecke durch die Stadt
un jeder hätt jesaat
Kölle Alaaf, Alaaf; Kölle Alaaf

     [De Räuber: Wenn et Trömmelche jeit. Pavement 1993.
     Text nach www.de-raeuber.de.]

1991 gründeten der Gitarrist Karl-Heinz Brand und der Keyboarder und Sänger Kurt Feller die Kölner Mundart- und Karnevalsband De Räuber. Zwei Jahre später kam das 2007 verstorbene Multitalent Norbert Campmann hinzu. Aus dem gleichen Jahr stammt einer ihrer vielen großen, bis heute beim Narrenvolk unvergessenen Hits – Denn wenn et Trömmelche jeit. Der Schlager handelt von der Liebe und Treue der Kölschen Jecken zu ihrem Hauptfest, dem „Fastelovend“; wie man inzwischen nicht nur im Rheinland weiß, ist der Karneval „et Pläsiersche vun jedem dä nit doof eßß. Häßß do ävver en Ratsch am Kappes, dann sääß do natöörlijj dat dä Aschamettwoch et jrößte eßß.“ (Wikkipedija, Artikel Fastelovend) Hach ja, über Geschmack lässt sich prima streiten – mit Jecken wie mit Leuten mit en Ratsch am Kappes…

Muss man den Schlagertext übersetzen? Dank wochenlanger Fernsehübertragungen von hunderten von Prunksitzungen in tausenden von Fernsehsendern sollten die karnevalistischen Weltsprachen, zu denen das Kölsche ohne Zweifel mit an vorderster Stelle zu rechnen ist, heutzutage eigentlich allgemein (d.h. auch von Leuten mit en Ratsch usw.) flüssig beherrscht werden, zumindest passiv. Also verzichte ich auf Übersetzungen in andere deutsche Dialekte und widme mich sofort dem Casus knacksus, d.h. dem „Trömmelche“, das uns schon in der Titelzeile alarmiert. Der kollektive Sprecher scheint das ganze Jahr im Bereitschaftsmodus verbracht zu haben, darauf lauernd, ob nicht irgendwo ein Trömmelche zu vernehmen ist. Endlich, endlich verdichten sich unmissverständlich die Vorzeichen, dass es bald so weit sein könnte: Wintereinbruch (bitte weder astronomisch noch meteorologisch verstehen, eher phänologisch, noch besser: gefühlsmäßig!), Schneefall und – entscheidend – das Heranticken eines herrlichen Datums: „Am Ellefte im Ellefte öm Ellev_Uur Ellef weet de Sessjoon äöffnet. En Kölle jäijt dat tradizzjoonäll o_m Alldermaat aff. Nuur wänn_et doo nit jäijt, wann jraad en Bowshtäll eßß, dann wiishe_mer tradizjonäll op dä Heumaat uß. Do kumme dann emmer e paa zeen dousend Minsche zosamme un senge un schunkele, drenke sijj_eijn, danze un maachen sijj_en Freud.“ (ebd.)

Was das meint, fasst unser Lied kürzer und knackiger: dann „weed dr Aap jemaht“. Gut, Spaß soll sein, und ich wäre der letzte, der besungener Oma ihr schönstes Glück missgönnen würde, und sollte sie dafür auch ihr Häuschen versaufen. (Zumal ich nicht ihr Erbe wäre …) Aber zurück zum „Trömmelche“, das an allem schuld ist. Unser Räuber-Lied knüpft mit seiner ersten Refrain-Zeile an die bekannte deutsche Redewendung „die Trommel rühren“ an. Nach dem „Redensarten-Index“ denken wir dabei heute (!) zunächst an die sprichwörtliche Werbetrommel, mit der viel „Wirbel“ (gehört sprachlich zum weiteren Wortfeld von ,werben‘) gemacht wird, um uns zum Kauf dieses oder jenes Angebots zu bewegen. Nun hat die moderne Werbung wortgeschichtlich viele einstmals militärisch gebrauchte Begriffe übernommen: den Feldzug, die Taktik, die Strategie, die Kampagne und andere mehr. Die Werbetrommel gehörte auch einmal zur Ausrüstung von Werbeoffizieren, die junge Männer „auf dem Musterplatz zusammentrommelte, um ihnen die Freuden und den Lohn des Soldatentums zu verkünden, damit diese sich dann für einen Feldzug anwerben lassen“ (Redensarten-Index).

Da viele karnevalistische Bräuche, Symbole, Kostüme und Requisiten auf die Parodie militärischer Insignien zurückgeführt werden können, wundert es wenig, dass auch die Trommel in verniedlichter Form Eingang ins karnevalistische Brauchtum und Liedgut gefunden hat. Ich frage mich allerdings, ob der (pavlowsche?) Reflex loszumarschieren, sobald das, ein „Trömmelche“ gerührt wird, als ebenso niedlich betrachtet werden kann. Oder bleibt man so einfach nur im Training? Ejal, wat och passeet, so lang die Leute – heute und im Falle eines Falles – ihren Schlachtruf „Kölle, Alaaf Alaaf; Kölle Alaaf!“, der mit dem Lied der Räuber ja auch eintrainiert wird, als conditioned response produzieren, könnte Artikel 3 vom Rheinischen Grundgesetz vielleicht doch noch eine Weile in Kraft bleiben: „Et hätt noch emmer joot jejange.“ – Freie Übersetzung: „Wir wissen es ist Murks, aber es wird schon gut gehen.“ (Wikipedia)

Hans-Peter Ecker, Bamberg

 

Über deutschelieder
“Deutsche Lieder” ist eine Online-Anthologie von Liedtextinterpretationen. Liedtexte sind die heute wohl meistrezipierte Form von Lyrik, aber zugleich eine in der Literaturwissenschaft vergleichsweise wenig beachtete. Die Gründe für dieses Missverhältnis reichen von Vorurteilen gegenüber vermeintlich nicht interpretationsbedürftiger Popkultur über grundsätzliche Bedenken, einen Songtext isoliert von der Musik zu untersuchen, die Schwierigkeit, eine editorischen Ansprüchen genügende Textfassung zu erstellen, bis zur Problematik, dass, anders als bei Gedichten, bislang kaum ein Korpus von Texten gebildet worden ist, deren Interpretation interessant erscheint. Solchen Einwänden und Schwierigkeiten soll auf diesem Blog praktisch begegnet werden: indem erprobt wird, was Interpretationen von Songtexten leisten können, ob sie auch ohne Einbeziehung der Musik möglich sind oder wie eine solche Einbeziehung stattfinden kann, indem Textfassungen zur Verfügung gestellt werden und im Laufe des Projekts ein Textkorpus entsteht, wenn viele verschiedene Beiträgerinnen und Beiträger ihnen interessant erscheinende Texte vorstellen. Ziel dieses Blogs ist es nicht nur, auf Songtexte als möglichen Forschungsgegenstand aufmerksam zu machen und exemplarisch Zugangsweisen zu erproben, sondern auch das umfangreiche Wissen von Fans zugänglich zu machen, das bislang häufig gar nicht oder nur in Fanforenbeiträgen publiziert wird und damit für die Forschungscommunity ebenso wie für eine breite Öffentlichkeit kaum auffindbar ist. Entsprechend sind nicht nur (angehende) Literaturwissenschaftler/-innen, sondern auch Fans, Sammler/-innen und alle anderen Interessierten eingeladen, Beiträge einzusenden. Dabei muss es sich nicht um Interpretationen im engeren Sinne handeln, willkommen sind beispielsweise ebenso Beiträge zur Rezeptions- oder Entstehungsgeschichte eines Songs. Denn gerade die Verschiedenheit der Beiträge kann den Reiz einer solchen Anthologie ausmachen. Bei den Interpretationen kann es schon angesichts ihrer relativen Kürze nicht darum gehen, einen Text ‘erschöpfend’ auszuinterpretieren; jede vorgestellte Lesart stellt nur einen möglichen Zugang zu einem Text dar und kann zur Weiterentwicklung der skizzierten Überlegungen ebenso anregen wie zum Widerspruch oder zu Ergänzungen. Entsprechend soll dieses Blog nicht zuletzt ein Ort sein, an dem über Liedtexte diskutiert wird – deshalb freuen wir uns über Kommentare ebenso wie über neue Beiträge.

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