Kinderlied übers liebe Federvieh: „Alle meine Entchen“
18. Januar 2016 5 Kommentare
Anonym Alle meine Entchen Alle meine Entchen schwimmen auf dem See, schwimmen auf dem See, Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh'. Alle meine Täubchen gurren auf dem Dach, gurren auf dem Dach, eins fliegt in die Lüfte, fliegen alle nach. Alle meine Hühner scharren in dem Stroh, scharren in dem Stroh, finden sie ein Körnchen, sind sie alle froh. Alle meine Gänschen watscheln durch den Grund, watscheln durch den Grund, suchen in dem Tümpel, werden kugelrund. [Quelle: Lieder Archiv, Verszeilen-Einteilung leicht abgeändert.]
Alle meine Entchen gehört mit Sicherheit zu den zehn bekanntesten und beliebtesten deutschen Kinderliedern. Von mir selber ausgehend vermute ich die tiefere Ursache für diese Popularität in dem Umstand, dass seine Melodieführung ausschließlich über Sekundschritte und sein Gesamttonumfang von lediglich einer Sexte auch weniger avancierte musikalische Talente nicht überfordert. Zu diesem Urteil ist bereits der einschlägige Wikipedia-Artikel gekommen, dem ich mich hier vorbehaltlos anschließe. Auch zur Quellenlage vermag ich wenig Neues hinzuzufügen, zumal selbst die Fachleute aus der Volkskunde im Volksliederarchiv auf besagten Wiki-Eintrag verweisen: Der Verfasser scheint demnach unbekannt zu sein und die gelegentlich als Autoren genannten Ernst Anschütz (1780-1861) bzw. Gustav Eskuche (1865-1917) sind im ersten Fall in dieser Funktion nicht zu belegen und im zweiten Fall nur als Herausgeber des Liedes (Hessische Kinderliedchen, 1891) zu betrachten. Ein Zitat der Eingangsverse, wenngleich in einer älteren, etwas weniger niedlichen Fassung („Alle unsre Enten / Schwimmen auf dem See: / Kopf in dem Wasser, / Schwanz in die Höh!“) in Wilhelm Raabes Roman Die Kinder von Finkenrode (1859) beweist immerhin die Existenz des Textes, zumindest seiner ersten und weitaus bekanntesten Strophe schon um die Mitte des vorletzten Jahrhunderts.
Insofern ich den bislang recht bescheidenen Diskurs über das Entchen-Lied weder als Volkslied-Forscher noch als Musikwissenschaftler ernsthaft bereichern kann, konzentriere ich mich nachfolgend auf Text und Subtext, Rezeption sowie einige hobbyornithologische Anmerkungen. In vier metrisch gleich und inhaltlich relativ parallel gebauten Strophen tätigt eine Sprecherinstanz Aussagen über verschiedene Vögel, die einige interessante Gemeinsamkeiten und ebenso bemerkenswerte Unterschiede aufzuweisen scheinen, wie wir gleich sehen werden.
Alle Vögel – Entchen, Täubchen, Hühner und Gänschen – werden von der Sprecherinstanz durch das Possessivpronomen „meine“ (in älteren Fassungen steht hier „unsre“) vereinnahmt. Obwohl die Verniedlichungs-Endungen suggerieren, dass es sich beim Sprecher um ein kleines Kind handelt, betrachtet sich dieses ohne Frage als Herr (bzw. als Herrscherin) über das beobachtete, beschriebene und benannte Geflügel. In diesem Gestus erfüllt die Sprecherinstanz ganz genau die dem Menschen im Buch Genesis der Bibel zugewiesene Rolle: „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land.“ Von diesem Bibelzitat her ergibt sich hinter der Aufzählung diverser Federvieh-Arten in unserem Lied eine Struktur: Die gründelnden Entchen schwimmen für alle Wassertiere, die Täubchen repräsentieren die Tiere der Lüfte und die Hühner scharren stellvertretend für ihre animalischen Genossen zu Lande.
Die biblisch legitimierte Herrscherrolle des Menschen über alles Getier der Welt impliziert natürlich auch sein Recht, diese Tiere zu nutzen. Vegetarische und vegane Zeitgenossen empfinden moralische Skrupel dabei, jenes Privileg in Taten umzusetzen – nicht so unsere kindliche Sprecherinstanz aus dem 19. Jahrhundert, die wir uns einer bäuerlichen Sphäre verhaftet vorstellen dürfen. Dies kommt im Ablauf der Entchenlied-Strophen deutlich zum Ausdruck. Während die beiden ersten Vierzeiler lediglich Beobachtungen, übrigens erstaunlich genaue!, über das Verhalten der Tiere mitteilen, projiziert die dritte Strophe menschliche Gefühle auf die Mistkratzer und die vierte denkt bereits weit voraus, ich würde sagen in Richtung Sankt Martin: Mit offensichtlichem Wohlgefallen wird das Kugelrundwerden der Gänschen erwartet und vorweg genommen – warum wohl? Im Subtext dieses niedlichen Kinderlieds kann ich als Literaturwissenschaftler nur den fetten Gänsebraten als Pointe und Klimax des lyrischen Gesamtunterfangens erkennen. Tut mir leid, aber Wissenschaft kann manchmal grausam sein!
Dass ich nicht der einzige bin, der Alle meine Entchen auf diese Weise liest, zeigt übrigens auch die moderne Interpretation der Deathcore-Band We Butter the Bread with Butter, Zitat Schluss-Strophe: „Alle meine Entchen / Sind jetzt in meim‘ Bauch / Alle kleinen Entchen / Und die Mutter auch.“
Ich will aber nicht allzu düster schließen. Deshalb ein paar Tipps, wie man als Erzieher oder Lehrerin das schöne Lied vielleicht doch noch für moderne zarte Städterseelen retten kann. Eine Möglichkeit sehe ich darin, unser Entchenlied als Motivationshilfe für ornithologische Vor- bzw. Frühschul-Lektionen zu nutzen. Zum Beispiel könnte man den lieben Kleinen erzählen, dass es beim Geflügel drei große Ordnungen gibt – Hühner, Gänse- und Taubenvögel –, die, oh Wunder!, im Entchen-Lied sämtlich angesprochen werden. Enten und Gänse trennen sich dann allerdings erst auf der Gattungsebene, wobei es schon ein richtiges ornithologisches Herrschaftswissen darstellt, Enten und Gänse auseinanderzuhalten, zumal es auch noch „Halbgänse“ (z.B. Brandgänse oder Nilgänse) als Zwischenform gibt. Bei Enten tragen Männchen und Weibchen außerhalb der Mauser ziemlich unterschiedliche Federkleider, während Gänse sich dem Unisex-Look verschrieben haben. Während Gänse (Schwäne übrigens auch) Pflanzenfresser sind, stopfen Enten so alles Mögliche und Unmögliche – speziell wenn sie von Menschen gefüttert werden – in sich hinein. In diesem Zusammenhang kann man Kindern, Eltern und Großeltern vielleicht auch beibringen, dass man Wildenten (und vielen anderen Tieren, ja sogar ganzen Biotopen, die im Fall der Fälle aufgrund der Brot-Verseuchung umkippen können,) im Park oder auf den heimischen Gewässern wirklich nichts Gutes tut, wenn man ihnen Brot hinwirft, womöglich noch mit Wurst oder Nutella drauf…: Das ist viel, viel böser, als gelegentlich einen Gänsebraten zu vertilgen! Vgl. SZ-Magazin; Welt online; Hartmut Kolbe: Die Entenvögel der Welt. 5. Aufl. Stuttgart 1999 etc.)
Wenn man erst mal angefangen hat, sich auch für Enten, die weder Donald noch Dagobert heißen, zu interessieren, und sie genauer betrachtet, kann man schnell interessante Unterschiede zwischen ihnen feststellen, z.B. dass manche – wie in unserem Lied – ihren Bürzel in die Luft strecken, während andere – schwupps! – zur Gänze untertauchen und erst nach einem Weilchen wieder an die Wasseroberfläche zurückkommen. Das eine sind mit hoher Wahrscheinlichkeit sogenannte ,Schwimmenten‘ (auch Gründelenten, lat. Anatini), die ihre hauptsächlich pflanzliche Nahrung gerne im Flachwasser aufnehmen. Die relativ große Stockente ist hierzulande der häufigste Vertreter dieser Gruppe; sie ist übrigens auch die Stammform unserer Hausente. Da sie sich gerne und erfolgreich mit Angehörigen anderer Entenrassen paart, gibt es davon eine Menge farblicher Variationen. Andere Gründelenten heißen z.B. Schnatter-, Spieß-, Löffel-, Pfeif-, Krick- oder Knäckente. Mit einem Vogelbestimmungsbuch kann man ja mal sein Glück versuchen …
Tauchenten haben in der Regel etwas kleinere Körper, die in der Wasserlage nach hinten abfallen. Ihre Flügel sind kürzer und stumpfer, was sich beim Tauchen als Vorteil erweist, beim Auffliegen aber als Nachteil: Sie brauchen beim Start einen Anlauf, während Gründelenten ohne Startbahn auskommen. Bei der Nahrungssuche (nach Pflanzen, aber auch nach Muscheln und anderen Kleintieren) räumen sie tiefere Unterwasserreviere ab als Schwimmenten. Typische Vertreter dieser Gruppe sind auf mitteleuropäischen Gewässern z.B. Tafel-, Kolben- oder Reiherenten. Leider zählt nicht alles zu den Tauchenten, was für den Laien entenartig aussieht und gelegentlich von der Wasseroberfläche verschwindet – Säger, Lappentaucher, Kormorane etc. Aber für heute wollen wir es nicht zu kompliziert machen. Wir merken uns lediglich: Was rotbraun ist, einen buschigen Schwanz hat, von Baum zu Baum hüpft und nicht gründelt, ist weder Ente noch Gans, sondern ein Eichhörnchen!
(Ach, jetzt haben wir die Tauben und Hühner ganz vergessen! Sorry!)
Hans-Peter Ecker, Bamberg
Literatur: Peter J. Grant u.a.: Vögel Europas, Nordafrikas und Vorderasiens. Bearbeitet und ergänzt von Peter H. Barthel. Stuttgart 2000.
Ich habe die humorvolle Interpretation dieses Kinderliedes gern gelesen, eines der ersten Lieder, die ein Kind mit einem Finger auf dem Klavier klimpern kann.
Gefallen hat mir auch der Ausflug in die Ornithologie und das Eichhörnchen!
Danke, ich liebe es, wenn man mich lobt! Das ist Motivation pur. Haben Sie ein Lieblingslied, damit ich es für Sie interpretieren kann? Am liebsten wäre mir jetzt das „Heile, heile Gänsje“ – erstens wäre das wieder was mit putzigem Federvieh und außerdem hätte ich diese Interpretation schon fertig in der Schublade. Dort wartet es auf sein coming out während der kommenden Tollen Tage. Beste Grüße, Hans-Peter Ecker
Seit ein paar Tagen mache ich bei ornitho.de mit. Das ist ein Netzwerk vieler Vogelbeobachter in Deutschland und Luxemburg. Dort kann man auch als Gast-Besucher gute Hinweise darauf finden, welcher Vogel gerade wo zu finden ist, konkret im Hinblick auf unser Kinderlied gesprochen: welches Entchen gerade wo herumschwimmt und vielleicht ja sogar ganz in der Nähe des eigenen Zuhauses gesichtet werden kann. Für einschlägig Interessierte eine tolle Fundgrube!
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Alle meine Entchen ist ein Lied, das die Kegelbuben gesungen haben. Als es noch keine automatisierten Kegelbahnen gab, mussten die Kegel von Hand nach jedem Wurf aufgestellt werden. Die Buben haben daher „die Entchen“ (=Kegel), die umgeworfen waren (= schwimmen) und hilflos auf der Bahn lagen („Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh“) jedes Mal wieder aufgestellt. Also ein Lied mit (fast) vergessenem realen Hintergrund.
Es gibt da auch noch eine erotische Erklärungsvariante, die ich aber nur zur Ergänzung erwähne, da ich sie nicht für wirklich ernsthaft halte: Demnach sind die Entchen die männlichen Samen, die in den weiblichen Schoß schwimmen. Naja. Man kann natürlich alles erotisieren…