Säuferschicksal: „Ham kummst“ von Seiler und Speer (2015)

Seiler und Speer

Ham kummst

[Prolog: gesprochene Satzfetzen (z.B. „Wos hod der, wos i ned hoa?“), 
bis auf den mehrmaligen Ruf „Gitte“ nur schwer verstehbar.]

Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi,
dass i ned glei ham kum, woa vu Aufaung au kloa! 
Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi,
i kau mi ned erinnern, wos gestan woa!
Und sie sogt:
Waunst amoi nu so ham kummst, sama gschiedane Leid.
Waunst amoi nu so ham kummst, host die Scheidung mei Freind!

Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi,
olle haums mi eiglondt, und do sogt ma ned na, na, na!
Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi,
hau mi guad unterhoitn, und na do geht ma ned ham, ham, ham!
Und sie sogt:
Waunst amoi nu so ham kummst, sama gschiedane Leid.
Waunst amoi nu so ham kummst, host die Scheidung mei Freind!

Letzte Nocht, woa ka schware Partie fia mi,
bin um ochte daham gwen, mit Bluman und Sekt.
Letzte Nocht, woa doch a schware Partie fia mi,
wei‘m Tisch is a Briaf gleng, und mei Frau de woa weg, weg, weg!
Und sie schreibt:
Waunst amoi nu so ham kummst, daun is ma des wuascht.
Waunst amoi nu so ham kummst, daun vü Spaß, wei i bin fuat!

Jetzt host wos du wuitast, wia san gschiedane Leid.
Die Kinda griagst du – ned in nächster Zeit.
Den Hund, den griagst du a ned, und des Haus des gheat mia,
und waunst das ned glaubn kaust, des steht aum Scheidungspapier-ier-ier,
schwoaz auf weiß!
Waunst amoi zu mia ham kummst, ruaf i di Polizei!
Waun du amoi zu mia ham kummst, daun sperrns di ei!

Und es geht:

Tatü Tata, Tatü Tata, es geht Tatü Tata, wos wü der Pücha da!
Tatü Tata, es geht Tatü Tata, es geht Tatü Tata, wos wü der Pücha da!

[Epilog, aus dem Videoclip ersichtlich: Der „Pücha“ bringt den Protagonisten um.]

     [Seiler und Speer: Ham kummst. Jokebrothers 2015.]

„Wanda war im Austropop gestern, heute sind Seiler und Speer angesagt!“ So das entschiedene Statement einer meiner Studentinnen, die es eigentlich wissen muss, kommt sie doch aus der näheren Heimat von Christopher Seiler und Bernhard Speer im niederösterreichischen Bad Vöslau. Der eine ist Schauspieler und Kabarettist, der andere Filmemacher. 2014 begannen sie, gemeinsam Musik zu machen, die im – noch sehr kurzen – Wikipedia-Artikel, sicher zutreffend, als „Mischung aus Romantik, Alltagskomik und Gassenhauern“ charakterisiert wird. ,Nicht ohne gesellschaftskritische Akzente‘ sollte man vielleicht noch hinzufügen. Ihr Debütalbum Ham kummst (2015) erreichte kürzlich Verkaufszahlen, die für eine Goldene Schallplatte ausreichen. Während das Duo in Österreich nach einer Verlautbarung von Bayern 3 bereits Adele vom Spitzenplatz in den Charts verdrängt hat, befindet es sich nun in Süddeutschland auf dem Vormarsch, scheinbar unaufhaltsam. Zum Ehrentitel „Matuschkes Liebling“ haben Seiler und Speer es jedenfalls schon einmal geschafft.

Soweit ich diese Erfolgsgeschichte richtig verstehe, knüpft sie erstens vor allem an den Titelsong besagten Albums, zweitens aber vermutlich auch an den konsequenten Underdog- und Abscheu-Gestus vieler künstlerischer Äußerungen dieser Produktionsgemeinschaft an, wobei ich deren über Youtube weitverbreitete kabarettistisch-satirische Filmsequenzen (Stichworte: „Schichtwechsel“ und „Anton Horvath“) jetzt ausdrücklich einschließe. Ham kummst ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem Komposition, Gesang/Ausdruck, Text und Videoclip gleichermaßen ,stimmen‘, d.h. bei einem großen Teil des jungen Publikums den berühmten ,Nerv‘ treffen. Als Literaturwissenschaftler werde ich mich bei meiner nachfolgenden Besprechung selbstverständlich auf den Songtext konzentrieren; dessen ungeachtet will ich meiner Textinterpretation doch einige Eindrücke zu den anderen Dimensionen dieses Songs vorausschicken. Die Komposition erinnert mich vom Rhythmus und Sound her stark an jene Ergebnisse der Zusammenarbeit des amerikanischen Gitarristen Ry Cooder mit Altmeistern kubanischer Musik, wie sie sich etwa im Album Buena Vista Social Club niedergeschlagen haben. Seiler und Speer unterlegen diese Musik mit einem stark dialektal geprägten Text, der sich – jedenfalls in meinen Ohren – so nahtlos zur Musik fügt, als wären Kuba und der Wiener Wald benachbarte karibische Inseln. (Oder umgekehrt: Kuba nichts anderes als ein weiterer Wiener Gemeindebezirk.)

Melodie und einzelne Textpassagen sind eingängig, sie besitzen die sprichwörtliche ,Ohrwurmqualität‘. Die interpretierende Gesangsstimme ist ,stark‘, im Ausdruck leidenschaftlich und bis auf wenige Übersteigerungen, die als ironische Distanzierungssignale aufgefasst werden können, aber nicht müssen, authentisch und dadurch zur Identifikation einladend. Die Illustration des Songs durch den Videoclip gerät … sagen wir‘s mal vorsichtig-fränkisch: a wengla drassdisch, fasd schonn grodesg. Wie es sich für groteske Filmästhetik à la Sin City ziemt, weiß man dabei als Rezipient natürlich nie so genau, ob man über die brutalen Musik-Clowns lachen soll oder ob das Grausen und die Ekelgefühle gewinnen. Das hängt dann am Ende wahrscheinlich von der jeweiligen Tagesform bzw. vom individuellen Seelenkostüm ab und kann hier nicht pauschal entschieden werden. In diesem Zusammenhang könnte ich mir übrigens vorstellen, dass besagte Garderobe bei älteren Zeitgenossen in der Regel ein wenig empfindlicher gewirkt ist als bei jüngeren, so dass Seiler & Speer jugendlichen Fans ein willkommenes Abgrenzungs-Material gegenüber ihren Altvorderen bieten.

Der Text ist ein Erzählgedicht, ja mehr noch – um mit der Pointe gleich ins Haus zu fallen – eine veritable Kunstballade wie Goethes Zauberlehrling, Schillers Taucher oder Brechts Apfelböck. Dazu besitzt Ham kummst wie Brechts Ballade einen deutlichen Einschlag ins ,Moritatenhafte‘. Beide Thesen lassen sich unschwer belegen. Eine Ballade unterscheidet sich von sog. lyrischen Gedichten dadurch, dass der Text anstelle einer lyrischen ,Selbstaussprache‘ eine Geschichte vermittelt, also auch eine Erzählinstanz besitzt. Der Erzähler der Geschichte kann, wie das erwähnte Beispiel des Zauberlehrlings belegt, durchaus mit dem erlebenden bzw. handelnden Ich der Geschichte zusammenfallen. Ferner sind Balladentexte singbar, was eine strophische Gliederung nahelegt. Da sie mit einem vergleichsweise beschränkten ,Raum‘ auskommen müssen, verdichten sie ihre Geschichten sehr stark und beschränken sich in der Regel auf deren Höhe- bzw. Wendepunkte. Nach Hartmut Laufhüttes Balladen-Theorie (die mich trotz ihres inzwischen schon recht fortgeschrittenen Alters mehr überzeugt als deutlich jüngere Alternativen) besitzt diese Gattung ihr vielleicht wichtigstes Merkmal in einer didaktischen Botschaft, die allerdings nicht, wie zum Beispiel in vielen Fabeln, expliziert wird, sondern vom Leser/Hörer aus der Geschichte herausgedeutet werden muss. Laufhütte bezeichnet diese Eigenart der Ballade als ,indirekte Teleologie‘ (= indirekte Zweck-Gerichtetheit).

Betrachten wir unseren Text: Der Sprecher bzw. Erzähler ist ein obdachloser Alkoholiker, der uns den Teil seiner Lebensgeschichte erzählt, der ihn endgültig in die Gosse geführt hat. Vom Videoclip her sind wir über die Sprechsituation aufgeklärt: Er sitzt vor dem Haus seiner ‚Ex‘ („Gitte“), die ihn kürzlich hinausgeworfen hat, weil er (stets?) spät in der Nacht und sturzbetrunken nach Hause zu kommen pflegte. Wie lange Gitte seine Sauftouren ertragen hat, bevor sie letztlich ernst machte und ihre wiederholte Drohung, sich von ihm zu trennen, umsetzte, bleibt offen. Zwei Strophen thematisieren diese Routine: Die Nacht gestaltet sich für den Sprecher jeweils als ,schwere Partie‘, d.h. sie wird lang und stellt an seine Leber offensichtlich erhebliche Anforderungen; zu Hause stellt ihm Gitte die Scheidung in Aussicht, falls er ,nu amoi so ham kummt‘ (noch einmal so heimkommt).

Die drei ersten Strophen beginnen jeweils mit „Letzte Nocht“. Von der Logik der Geschichte her ist klar, dass es sich dabei schlecht um eine einzige Nacht gehandelt haben kann, denn der Erzähler ist ja mindestens einmal sehr spät und einmal – jedenfalls nach seiner Aussage – schon um acht Uhr nach Hause gekommen. Ich deute den offensichtlichen Widerspruch so, dass der stark alkoholisierte Erzähler die zeitliche Orientierung verloren hat und dass er mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit viele Nächte spät und betrunken zu Hause aufgeschlagen ist und sich Gittes Drohungen entsprechend oft angehört hat. Hinausgeworfen wurde er (wahrscheinlich) dann wirklich in der ,letzten Nacht‘ vom Zeitpunkt der Erzählsituation an gerechnet. Der Videoclip unterstreicht diese Interpretation durch die Attribute der Rose und der Sektflasche, die mir aus anderen Gründen aber zur Bebilderung der Geschichte nicht wirklich zu passen scheinen.

Bereits in den beiden ersten Liedstrophen ist der Versuch des Sprechers, sein Verhalten in ein gutes Licht zu rücken, unübersehbar. Er findet Entschuldigungen dafür, dass er immer wieder ,versumpft‘ – mal scheint es ihm normal, dass man von einer nächtlichen Kneipentour „ned glei hamkum[mt]“, dann kann er sich an nichts mehr erinnern, ein anderes Mal sind die anderen schuld, die ihn eingeladen haben, und dann war’s grade sooo schön, weil man sich sooo gut unterhalten hat. Das Muster ist klar: Immer sind’s die anderen oder die Umstände, die ihm dazwischen gekommen sind, sich an die Wünsche seiner Frau zu halten. Nur bei sich selbst kann er keine Schuld finden. Zu dieser Selbstgerechtigkeit passt bestens das Selbstmitleid, das die Formulierung von der „schware[n] Partie fia mi“ unübertrefflich auf den Punkt bringt. Nach den beiden Anfangsstrophen sollten wir als Leser/Hörer wissen, dass wir den Idealtypus eines ,unzuverlässigen Erzählers‘ vor uns haben, der seine Krankheit bzw. Sucht bagatellisiert, sich selber in die Tasche lügt und permanent versucht, sich vor dem Publikum in ein gutes Licht zu stellen. Dass uns diese Einschätzung der Lage nicht ganz leicht fällt, mag mit dem authentischen Gestus zusammenhängen, mit dem der Erzähler seine Geschichte vorträgt und seinem Leid Ausdruck gibt.

Nach dem Gesagten sollte deutlich geworden sein, dass ich der Schilderung der Vorgänge ,der letzten Nacht‘, die zum endgültigen Bruch und Rausschmiss geführt hat, mit einiger Skepsis entgegentrete. Ist der Erzähler da wirklich schon um Acht nach Hause gekommen? (Vielleicht war es womöglich acht Uhr morgens?) Hatte er wirklich Blumen und Sekt für eine große Versöhnungsfeier dabei? Ohne den Videoclip würde ich hier ein sehr großes Fragezeichen setzen und dem Erzähler unterstellen, dass seine Sauftour an diesem Tag genau so abgelaufen ist, wie an vielen anderen zuvor. Mit dem Video als ,Begleitmaterial‘, das Rosen und Sektflasche ins Bild rückt, stellt sich das grundsätzliche Problem, wie sehr es als Teil des Songs anerkannt werden muss und insofern dessen Bedeutung determiniert. (Und ob es nicht eventuell hinter den Sinnhorizont des Textes zurückfällt und der Sprecher-Imagination auf den Leim geht. Oder stellt es womöglich gar nicht die Realität dar, sondern lediglich den Gedankenstrom der zunehmend paranoid werdenden Sprecherinstanz? Nun gut, hier gerät die Deutung in spekulative Fahrwasser.) Wie auch immer die angerissenen Fragen zu beantworten sind, nehme ich dem Erzähler ab, dass er von seiner Frau vor die Tür gesetzt wurde, dass sie sich Kinder, Hund und Haus gesichert und er seine letzten sozialen Bindungen verloren hat. Wie immer ,die letzte Nacht‘ gelaufen sein mag, ändert das nichts daran, dass er sich sein Unglück selbst zuzuschreiben hat und dies leider selbst auf diesem absoluten Tiefpunkt immer noch nicht einzusehen bereit ist.

Im Abgesang der Ballade hört der Erzähler Polizeisirenen (Wahrscheinlich wurden die Kieberer von seiner Ex, wie angedroht, alarmiert, weil ihr der Sandler/Stalker vor der Tür mit seinem Geschrei auf die Nerven geht …), außerdem taucht ein „Pücha“ (Wiener Dialektausdruck für ,Gauner‘) auf, ob real oder als Rausch-Phantasie des Erzählers, lässt der Text offen. (Ohne die Interpreation des Videos hätte ich den „Pücher“ auf die Sprecherinstanz bezogen und die Frage Polizisten in den Mund gelegt.) Das zum Song produzierte Video konkretisiert die ,schlimmstmögliche Wendung‘ der Situation: Das verdächtige Subjekt bringt den Erzähler um, erspart ihm allerdings so vielleicht noch Ärgeres …

Zur Video-Darstellung dieser Szene ließe sich auch die subtile Interpretation vertreten, dass der Säufer sich hier symbolisch selbst umbringt, da sein Part ja bislang von Sänger und Gitarrenspieler gemeinsam verkörpert worden ist. Der unvermittelte Kampf zwischen den beiden wäre – so gesehen – ein Sinnbild für die Zerrissenheit des Protagonisten, der damit als Täter und Opfer in Personalunion markiert wäre. Diese Deutung hätte den zusätzlichen Vorteil, dass einmal mehr die Schuld am endgültigen Untergang dem Erzähler und keiner fremden Person zugewiesen wäre, was zwar der reflektierende Zuschauer erkennen kann, vom Protagonisten, der sich nur als Opfer wahrnimmt, aber bis zuletzt verdrängt wird.

Außerdem findet unsere Ballade mit diesem Totschlag endgültig die Brücke zum Genre der Moritat, in dem Schuld (hier: das Versacken des ,Helden‘ im Alkoholismus) maximal gesühnt und somit die allgemeine bürgerliche Moral wieder restauriert wird. Zur Moritat würde übrigens auch der ausgeprägte Sentimentalismus dieser Geschichte passen, den der Erzähler gegenüber seinem eigenen Schicksal zelebriert. Das breite Publikum scheint derzeit allerdings mitnichten bereit, die ,indirekte Teleologie‘ dieser Ballade – d.h. ihre Warnung vor der Alkoholsucht – zu beherzigen. Nach allem, was man über die Rezeption des Songs liest, ist er auf dem besten Wege, sich zum Kult- und Bekenntnislied jugendlicher Nachtschwärmer, Barhocker, Schluckspechte und Schnapsdrosseln zu entwickeln.

Hans-Peter Ecker, Bamberg

Über deutschelieder
“Deutsche Lieder” ist eine Online-Anthologie von Liedtextinterpretationen. Liedtexte sind die heute wohl meistrezipierte Form von Lyrik, aber zugleich eine in der Literaturwissenschaft vergleichsweise wenig beachtete. Die Gründe für dieses Missverhältnis reichen von Vorurteilen gegenüber vermeintlich nicht interpretationsbedürftiger Popkultur über grundsätzliche Bedenken, einen Songtext isoliert von der Musik zu untersuchen, die Schwierigkeit, eine editorischen Ansprüchen genügende Textfassung zu erstellen, bis zur Problematik, dass, anders als bei Gedichten, bislang kaum ein Korpus von Texten gebildet worden ist, deren Interpretation interessant erscheint. Solchen Einwänden und Schwierigkeiten soll auf diesem Blog praktisch begegnet werden: indem erprobt wird, was Interpretationen von Songtexten leisten können, ob sie auch ohne Einbeziehung der Musik möglich sind oder wie eine solche Einbeziehung stattfinden kann, indem Textfassungen zur Verfügung gestellt werden und im Laufe des Projekts ein Textkorpus entsteht, wenn viele verschiedene Beiträgerinnen und Beiträger ihnen interessant erscheinende Texte vorstellen. Ziel dieses Blogs ist es nicht nur, auf Songtexte als möglichen Forschungsgegenstand aufmerksam zu machen und exemplarisch Zugangsweisen zu erproben, sondern auch das umfangreiche Wissen von Fans zugänglich zu machen, das bislang häufig gar nicht oder nur in Fanforenbeiträgen publiziert wird und damit für die Forschungscommunity ebenso wie für eine breite Öffentlichkeit kaum auffindbar ist. Entsprechend sind nicht nur (angehende) Literaturwissenschaftler/-innen, sondern auch Fans, Sammler/-innen und alle anderen Interessierten eingeladen, Beiträge einzusenden. Dabei muss es sich nicht um Interpretationen im engeren Sinne handeln, willkommen sind beispielsweise ebenso Beiträge zur Rezeptions- oder Entstehungsgeschichte eines Songs. Denn gerade die Verschiedenheit der Beiträge kann den Reiz einer solchen Anthologie ausmachen. Bei den Interpretationen kann es schon angesichts ihrer relativen Kürze nicht darum gehen, einen Text ‘erschöpfend’ auszuinterpretieren; jede vorgestellte Lesart stellt nur einen möglichen Zugang zu einem Text dar und kann zur Weiterentwicklung der skizzierten Überlegungen ebenso anregen wie zum Widerspruch oder zu Ergänzungen. Entsprechend soll dieses Blog nicht zuletzt ein Ort sein, an dem über Liedtexte diskutiert wird – deshalb freuen wir uns über Kommentare ebenso wie über neue Beiträge.

33 Responses to Säuferschicksal: „Ham kummst“ von Seiler und Speer (2015)

  1. Als Austropop-Vorlage könnte Seiler und Speer hier ein altes EAV-Lied gedient haben, dass das selbe Thema behandelt:

    https://www.youtube.com/watch?v=CSSeHeyan7A

    EAV

    Morgen

    Ich wach‘ auf am Nachmittag, der Sodbrand ist enorm,
    ja, gestern war ich wieder gut in Form.
    Im Gaumen sitzt der Belzebub, das Aug‘ ist dunkelrot,
    die Hypophyse spielt das Lied vom Tod.
    Während ich mich übergeb‘, schwör‘ ich mir ferngesteuert,
    sofern den Tag ich überleb‘, es wird nie mehr gefeiert.

    Weil morgen, ja morgen, fang‘ i a neues Leben an,
    und wenn net morgen, dann übermorgen, oder zumindest irgendwann
    fang i wieder a neues Leben an.

    Doch wie ich um die Eckn kumm, seh ich mein Stammlokal,
    und wieder hab‘ ich keine and’re Wahl.
    Der Franz, der Joe, der Ferdinand, san a schon wieder do,
    na was macht denn schon ein Achtel oder zwo?
    Beim fünften Achtel quält mich no der Gewissensbiß,
    doch was soll’s, wenn dieser Tag sowieso verschissen is‘?

    Doch morgen, ja morgen, fang‘ i a neues Leben an
    und wenn net morgen, dann übermorgen, oder zumindest irgendwann
    fang i wieder a neues Leben an.

    Es ist vier Uhr in der Früh, i ruf mein Schatzerl an,
    und zärtlich lalle ich ins Telefon:
    „Du Mausi, i bin hängenblieb’n, waast eh, in meim Lokal,
    doch es war bestimmt das letzte Mal. I schwör’s!
    Die Hauptsach‘ ist, wir lieben uns. Du waaßt, wia i di mog“,
    d’rauf sagt zu mir mein Mausilein: „Hurch zua, wos i Dir sog:

    Morgen, ja, morgen, fang‘ i a neues Leben an,
    ganz sicher morgen, net übermorgen, oder vielleicht erst irgendwann
    such i mir an, der net nur sauf’n kann.“

  2. C-Zero says:

    Ich verstehe den Ausgang der Geschichte völlig anders (allerdings ohne Bezug auf das Video zu nehmen): SIE ist doch abgehauen, hat ihm den Brief hinterlassen und offenbar die Scheidung eingereicht. Nach dem Scheidungsverfahren (das man sich während des Orgel-Solos denken kann), sagt dann ER in der letzten Strophe: „Jetzt host wos du wuitast“ (ER wollte ja die Scheidung nicht). Damit hat er SIE vor die Tür gesetzt, und wenn SIE jetzt nochmal heimkommt, holt er die Polizei. Tatü tata …

    • hpecker says:

      Ich habe über Ihren Einwand nachgedacht, halte aber dennoch meine Lesart für plausibler: für mich geht der Brieftext der Frau in der letzten Strophe einfach weiter. Deshalb fehlt dort auch sein Standard-Spruch von der ,schweren Partie‘. Gegen das – sachlich durchaus zutreffende – Argument, dass die männliche Sprecherinstanz die Scheidung ja nicht gewollt habe, würde ich anführen, dass sie, seine Frau, mit ihrem Vorwurf meint, er habe es mit seinen wiederholten Sauftouren faktisch darauf angelegt, dass die Ehe irgendwann in die Brüche gehen würde, zumal sie ihn gewarnt habe. Auch Vor- und Abspann des eigentlichen Songs sprechen, so glaube ich, eher für diese Interpretation.

      • C-Zero says:

        Danke für die Antwort auf meinen Kommentar. Ich hab‘ auch direkt bei Seiler und Speer angefragt, wie’s denn nun gemeint ist. Von denen hab‘ ich aber noch keine Rückmeldung bekommen. Vielleicht wollten die ja auch ganz bewusst beide Interpretationen zulassen …

  3. Fragen über Fragen says:

    Ich kann mich der Interpretation von C-Zero nur anschließen:

    Das Orgelsolo deutet darauf hin, daß jetzt „Zeit vergeht“ (Scheidungsprozedre, etc) und dann singt ER in ganz „nüchternem“ Ton aus seiner Sicht weiter.

    Wenn die betreffende Strophe Teil des Briefes von „Gitttääää“ sein sollte – woher sollte sie zum Zeitpunkt des Verfassens des Briefes wissen, wie die Scheidung ausgehen wird bezügl. Kinder, Hund, Haus etc.

    • Gittäääää says:

      Ich finde auch wie hpecker, dass es sich eher anhört, als würde der Brief weiter gehen – auch wenn aus musikalischen Gründen hier eine Pause eingelegt wurde. Vor allem habe ich noch nie gehört, dass eine Frau als „Pücha“ tituliert worden wäre.
      Weiters kann man aus dem Alltag durchaus Rückschlüsse auf den Ablauf eines Scheidungsverfahrens ziehen – Mütter bekommen eher das Sorgerecht zugesprochen – für den Fall, dass keine gemeinsame Obsorge möglich ist und es keine Gründe gibt, die dagegen sprechen.

  4. Pingback: Lieblinks der Woche: Mit Herz, Hirn und Humor. - Countrykrümel

  5. hpecker says:

    Ich freue mich über die rege Diskussion und höre, was die Interpretation des Endes angeht, erst mal zu.
    Im Moment analysiere ich Karnevalslieder im weitesten Sinne (z.B. Kölner Krätzchenlieder von Willi Ostermann, Gaudi-Songs, Beschauliches, das gelegentlich auch bei karnevalistischen Anlässen gesungen wird, auch humoristische Wiener Lieder etc.); die Ergebnisse dieser Beschäftigung werden dann in ein paar Tagen Schlag auf Schlag publiziert. Im Zuge dieser Recherchen bin ich auf ein altes fränkisches Kerwalied gestoßen, das mir bis dato noch unbekannt war, das aber meinen urfränkischen Freunden und Nachbarn so vertraut ist, dass sie spontan den Text heruntersingen können.
    Ich meine jetzt das „Gergla“ bzw., je nach Regiolekt auch „Gerchla“. Inhalt dieses Liedes, natürlich völlig anders formuliert und vertont (es soll sich ja auch für Volkstänze eignen!), ist weitgehend eine Parallelgeschichte zu „Ham kumst“. Ich glaube, dass der Stoff vom Mann, der regelmäßig in seiner Kneipe versackt, bis er am Ende von seiner Frau verlassen wird, so realistisch aus dem Leben gegriffen ist, dass er schon öfter in Liedform gestaltet wurde. Vielleicht können wir durch Zusammenarbeit ja noch die eine oder andere Variante ermitteln.
    Von besagtem „Gerchla“ habe ich eine so virtuose Interpretation gefunden, dass ich das Lied – zur Kerwa-Zeit – sicher einmal vorstellen will. (Allerdings brauche ich dazu noch einen Helfer, der etwas von Volkstänzen versteht.)

    • Vielleicht liegt der Unterschied zwischen (alter und neuer) Volksmusik einerseits und dem volkstümlichen Schlager andererseits gerade darin, dass erstere ihren Sitz im Leben hat, während letzterer das Idyll evoziert – wie in „Herzilein“ (https://www.youtube.com/watch?v=j2-M_JL1bFg) von den Wildecker Herzbuben, worin die Frau ihrem betrunken nach Hause kommenden Gatten (zumindest in dessen Vorstellung) verzeiht.

      Martin Rehfeldt

  6. Robin says:

    Vielleicht macht ihr euch aber auch zu viele Gedanken um den Text und die zwei hatten einfach nur ihren Spaß?!? Der Mensch neigt ja auch gern zum Überinterpretieren… Und den morbidem Humor der Österreicher kann man auch meiner Meinung nach nicht 1:1 ins hochdeutsche Verständnis übersetzt werden. Zum Glück, wie ich finde.

  7. hpecker says:

    Hallo Robin, Du hast zwar nur drei Zeilen geschrieben, dabei aber so viele dicke Fässer aufgemacht, dass ich dazu jetzt aus dem Stehgreif gleich ein paar Seiten Kommentar schreiben könnte. Da ich aber weder Dir noch möglichen anderen Lesern zu so vorgerückter Stunde ein Ohr abkauen möchte (Quatsch: gleich beginnt die Pro Bowl-Life-Übertragung!), nur drei Stichworte: a) betrachte ich mich als Spezialisten für morbiden Humor, übrigens auch für albernen; diese Begabung hatte ich schon immer, bemühe mich aber im fortgeschrittenen Alter, sie zu perfektionieren, um dem Tod bei Gelegenheit auf Augenhöhe gegenübertreten zu können. Deshalb werde ich z.B. in Bälde auch „Komm, großer schwarzer Vogel“ von Ludwig Hirsch und „Der Tod“ von der EAV besprechen, ach ja, auch „Auf der schwäbschen Eisebahne“, worin ein Ziegenbock ganz erbärmlich zu Tode kommt. b) das mit dem „Überinterpretieren“ sehe ich anders: ein Text wird meiner Meinung nach im Laufe der Zeit durch die vielen Gedanken, die sich unterschiedliche Menschen dazu machen, nicht verfälscht, sondern sinn-reicher, besser. Dieses Spiel, für Texte immer weitere plausible Lesarten zu finden, macht mir persönlich auch Spaß: deshalb bin ich wahrscheinlich auch Literaturwissenschaftler geworden. (Im Übrigen wird ja niemand gezwungen, sich solchen Gedanken auszusetzen, wenn ihm das keinen Spaß macht; außer er will bei mir eine Prüfung bestehen …) Wieder ernst: im Prinzip will ich dieses Problem (wenn ich’s denn schaffe) hier im Blog am kommenden Aschermittwoch am Beispiel von „Verdamp lang her“ von BAP mal grundsätzlicher diskutieren. c) ,Übersetzen‘ geht nie 1:1! Aber wenn man ein Verhältnis von 1 zu – sagen wir jetzt mal – 0,95 hinkriegt, wäre schon sehr viel gewonnen – für die Verbreitung des betreffenden Textes, dessen Urheber und für Leser, die ohne eine solche Übersetzung von dem Text vielleicht nur 0,4% oder noch weniger mitgekriegt hätten. Wir sehen an den Besucherzahlen der Blog-Beiträge, dass Artikel zu Dialektliedern, die erklärt, manchmal auch übersetzt werden, besonders häufig nachgefragt werden. (Soviel ich von Martin gehört habe, ist seit geraumer Zeit übrigens „Ham kummst“ der absolute Favorit unserer Kunden!)

  8. Andreas says:

    A schware Partie, ist eine durchzechte Nacht. Es gibt Wiener Ausdrücke die für Nichtwiener irrational bleiben.

    • C-Zero says:

      Das mit der „schwaren Partie“ war für mich (Nicht-Wiener, aber Bayer) von Anfang an klar. Mittlerweile dürfte dieser Ausdruck im gesamten deutschsprachigen Raum seine „Irrationalität“ verloren haben.

  9. hpecker says:

    Das kleine Spezialwörterbuch von ,Janko‘ (http://www.janko.at/Wienerisch/) nennt für wienerisch „Partie“ folgende mögliche Übersetzungen: „1. Heirat; 2. Ausflug; 3. Warenmenge; 4. Arbeitsgruppe“; ein anderes Lexikon (http://worterbuchdeutsch.com/de/partie) bietet mir folgende Übersetzungsvorschläge an: „Absatz · Abschnitt · Ausschnitt · Auszug · Begegnung · Bruchstück · Charge · Gang · Kampf · Match · Meeting · Nebenrolle · Rolle · Spiel · Stück · Teil · Wettbewerb · Wettkampf · Wettspiel.“ Das ist schon eine ganze Menge und da ich ja auch keine Doktorarbeit über sprachliche Nuancen von wienerisch „Partie“ schreiben will, lasse ich’s damit auch schon genug sein. Auch überspringe ich das Problem des speziellen Sub-Dialekts, den Seiler & Speer sprechen, denn selbstverständlich gibt’s ein reines Wienerisch genau so wenig wie ein reines Idiom meiner Heimatstadt Ludwigshafen am Rhein. Diese Vorderpfalz-Metropole, die mit rund 160.000 Einwohnern viel, viel kleiner ist als Wien und seine Umlandgemeinden hatte zur Zeit meiner Kindheit z.B. vier verschiedene, von Einheimischen klar unterscheidbare Hauptdialekte – wie mag da die Situation in Wien und den Umlandgemeinden aussehen? Also klammern wir dieses Problem einmal genauso aus, wie die prinzipielle Frage, ob „schware Partie“ im Song nur richtig verstanden ist, wenn man es so versteht, wie die Autoren im Moment des Textens, oder man es auch korrekt versteht, wenn man es beim Hören mit eigenen Assoziationen, Neben- und Zusatzdeutungen verbindet.
    Bei meinem ersten intuitiven Hören habe ich den Ausdruck sofort mit dem Referenzobjekt „Sauftour“ bzw. „durchzechte Nacht“ in Verbindung gebracht und als ironisch eingestuft, das war schon vom Kontext her unproblematisch. Als Zusatzinformationen habe ich außerdem herausgehört (oder von mir aus auch ,dazu-interpretiert‘), dass der Sprecher die Tatsache, dass er etwas gesellschaftlich Geächtetes getan hat, mit seiner Wortwahl zu verschleiern sucht, dass er statt dessen vorzugaukeln versucht, er habe etwas Anstrengendes, eine echte Leistung vollbracht, für die ihm Anerkennung, Verständnis und vielleicht sogar Trost gebührt (letzteres z.B. für seine Kater-Schmerzen), aber keine Schimpftirade seiner Frau. Dieser Versuch, sein Verhalten schön zu reden und Kritik abzuwehren, ist offensichtlich ebenso dreist wie plump; das mag einen ,neutralen‘ Beobachter amüsieren, für den Psychologen erhellend sein, weil er daran den Alkoholiker erkennt, für seine Ehefrau ist es sicher eine arge Zumutung.
    Mit Hilfe der oben zitierten lexikalischen Übersetzungsvorschläge kann ich mein intuitives Verständnis stützen, präzisieren und ausdifferenzieren: So würden „Ausflug“ oder auch „Meeting“ die beschönigende Intention von „schware Partie“ gut treffen; die Worte „Match“ oder „Wettkampf“ belegen den Anspruch des Sprechers, etwas geleistet zu haben. Insgesamt stecken also die ironischen Nebenbedeutungen, die ich intuitiv beim ersten Hören mit-empfunden habe, belegbar in der semantischen Explikation des Wortes „Partie“ mit drin. Genau diesen Bedeutungskomplex transportiert der Ausdruck „schwere Partie“ übrigens auch in der mir vertrauten süddeutschen Variante des Hochdeutschen. Müsste ich den ganzen Song ins Hochdeutsche übersetzen, würde ich den fraglichen Ausdruck, vom „a“ im Adjektiv abgesehen, nicht verändern.
    (Das einzige Wort, das mir vollkommen unbekannt gewesen ist und das ich nachschlagen musste, war „Pücha“.)

  10. Andreas says:

    Es gibt noch mehr Feinheiten. Der Auftakt wird mit einem leichten Meidlinger ‚dl‘ begonnen, der aber später nicht mehr höhrbar bzw. wahrgenommen wird. Ist aber schon eine extreme Feinheit.

    Fūr die Partie kommt der Eintrag bei Janko der Bedeutung nahe. Es ist auch so, das alles was mehr als zwei Personen sind, bereits eine Partie bezeichnet werden kann. Somit auch die sogenannt Gute Partie. Da früher auch das Gesinde damit eingeschlossen war. Somit war eine Frau in gehobener Stellung gemeint, da diese normalerweise auch entsprechende Bedienstete hatte und somit war das ganze eine Partie.
    Ausflüge machte man oft in einer Gruppe und somit wurde auch hier der Begriff Partie verwendet.

    Das andere Lexikon liegt meiner Meinung nach (bin Nativ Speaker SCNR) falsch. Vielleicht für andere Sprachgegenden gültig, aber nicht für Wien.

  11. C-Zero says:

    Die ganzen sprachlichen Spitzfindigkeiten interessieren mich eigentlich nicht. Im Gegenteil: ich finde Vieles in diesem Thread viel zu abgehoben. Das einzige, was mich interessiert hätte: Wer bekommt nun nach der Scheidung die Kinder, den Hund und das Haus? ER oder SIE?

    Leider haben Seiler & Speer mir da trotz 2maliger direkter Anfrage auch nicht weitergeholfen.

    Inzwischen ist für mich (neben dem – insgesamt NICHT zum Text passenden – Video) die letzte Zeile „Tatü Tata, wos wü der Pücha da!“ ein Indiz dafür, dass SIE sich durchgesetzt hat.

    Interessant ist, dass der Song inzwischen einen gigantischen Kult-Status erreicht hat, obwohl nicht klar ist, wie’s gemeint war: Wenn SIE gewinnt, ist es eine erschütternde Darstellung eines Säufer-Schicksals. Das sollte man dann nicht unreflektiert hochjubeln. Wenn ER gewinnt, wäre es eine politisch höchst unkorrekte „Macho“-Story.

    Egal, der Song hat Potential zum Wiesn-Hit 2016. Wer achtet schon so genau auf den Text?

  12. Andreas says:

    Bei der Scheidung hat sie alles bekommen – es geht eindeutig aus dem Text hervor.

    Das das Lied Kultstatus erreicht hat, ist klar. Einfache dramatische Musik, einfacher und nachvollziehbarer 🙂 Text. Der wenn man als Wiener darüber sieht, doch deutlich internationaler geschrieben wurde. Beispiel, Polizei, ein Wiener würde hier die Kiwara erwarten.

    Mittlerweile gibt es schon die ersten Coverversionen (Powerkryner) und auch eine Antwort (Antwort Ham Kummst).

    • hpecker says:

      Vielen Dank für den Hinweis auf die Coverversionen; ich habe gerade mal nachgeschaut – sie vermehren sich derzeit ja rasend schnell, wobei es durchaus bemerkenswerte Interpretationen und Parodien gibt! Neben den von Andreas erwähnten z.B. auch https://www.youtube.com/watch?v=2jXyRVY9P00 („Ich bin dann mal weg“). Sogar ein fränkischer Fan von Seiler & Speer hat sich mit seiner Version hervorgetraut, was beweist, dass der Song gerade den Weißwurstäquator nach Norden überschreitet. Ganz zu schweigen von den ersten französischen Verszeilen …

    • C-Zero says:

      Wo bitte geht „eindeutig aus dem Text hervor“, dass SIE alles bekommen hat? Die einzige Stelle, die das nahelegt, ist ganz am Schluss „Tatü tata, wos wü der Pücha da!“

      Weiter vorne im Text sprechen einige Indizien dagegen:

      „Jetzt host wos du wuitastet, wia san gschiedane Leid.“. ER wollte die Scheidung ja nicht. Im Gegenteil, er hat ja noch den Versöhnungsversuch „mit Bluman und Sekt“ gemacht.
      SIE hat mit der Scheidung gedroht und wollte sie!

      SIE ist abgehauen („i bin fuat!“), womöglich mit Kindern und Hund, das geht an dieser Stelle aus dem Text nicht hervor. Und es ist ihr deshalb ab sofort „wuaschd“, wenn er no amal so hamkummt. Warum hätte SIE gehen sollen, wenn IHR doch das Haus gehört? Dann hätte es genügt, das Türschloss auszuwechseln …

      Wenn SIE also alles bekommen hat, ist sie vorübergehend ausgezogen, hat dann gerichtlich durchgesetzt, dass ER das Haus verlassen muss, weil es ja IHR gehört, ist dann irgendwann wieder zurückgezogen und hat dafür gesorgt, dass ER das Haus fortan nicht mehr betreten darf.

      Und das alles soll schon in dem Brief gestanden sein, den ER am „Versöhnungsabend“ auf dem Tisch vorgefunden hat? Und den er dann in der letzten Strophe suzusagen vorliest?

      Eindeutig? Ich glaube nicht!

      PS: das Video betrachte ich dabei nicht, es passt sowieso in vielerlei Hinsicht nicht zum Text

      • Andreas says:

        Es ist meiner Meinung nach eindeutig, durch die gerichtliche Aufhebung der Ehe.

        Wenn durch das Gericht ein Betretungsverbot und zusätzlich das Besuchsrecht (vorläufig – ned in naechster Zeid) aberkannt wird, deutet das auf aktuelle, schwerwiegende Gründe hin. Wenn sie das Haus besitzt, dann hat es ihr entweder schon immer gehört, oder in der Ehe mitgebracht, geerbt oder geschenkt (zB. von den Eltern) bekommen. Auch wäre es möglich, das sie das Haus mit den Schulden gerichtlich zuerkannt bekommen hat, da sie auch die Kinder hat und somit ein höheres Wohnbedürfnis als er hat (und auch als Ausgleich die ev. vorhandenen Belastungen zu übernehmen hat). Aber das ganze geht schon in die österreichische Spruchpraxis (Usus) bei Scheidungen ein.

        Sie kann auch nicht einfach das Schloss wechseln bei aufrechter Ehe, in diesem Fall könnte er jederzeit das Schloss öffnen lassen. Es bleibt in diesem Fall meist nichts anderes möglich, als aus der gemeinsamen Wohnung/Haus auszuziehen, besonders dann wenn es relevante Gründe, wie im Scheidungsurteil indirekt angesprochen wird, gibt.

        Ich habe lange genug im ‚tiefsten Wien‘ im Gemeindebau gelebt um genau diese Situationen aus der Nachbarschaft zu kennen. Oft haben diese ‚Versöhnungen‘ damit geendet, das die Kiwarei eingreifen musste. Das sind aber nur Erfahrungswerte.

  13. Bayer says:

    Ich weiß gar nicht was hier so missverständlich sein soll.
    Er kommt ständig mitten in der Nacht vollgelaufen nach Hause.
    Sie droht darauf mit der Scheidung

    Irgendwann hat er es eingesehen und kommt tatsächlich schon um 8 nach Hause. Samt Blumen und Sekt. Nur is seine Einsicht leider zu spät, da sich seine Frau nun für die Scheidung entschieden hat und ihm die Papiere auf den Tisch gelegt hat.

    Nun droht sie wiederum damit, falls er nochmal kommen sollte, die Polizei zu rufen. Weil sie die Schnauze voll von Ihm hat.

    Natürlich wollte er die Scheidung nicht. Dank seines Verhaltens unterstellt sie ihm aber (zurecht), dass er es wohl so will, weil er sich immer wieder besäuft.

    • C-Zero says:

      Die Unstimmigkeiten habe ich in meinem Kommentar vom 15.02. erläutert. Inzwischen tendiere ich auch zu Ihrer Interpretation, aber die andere ist nicht völlig ausgeschlossen. Sie wäre auch durch die „unerwartete Wendung“ (Peripetie), die die Geschichte nimmt, die „Witzigere“. Bei Ihrer Interpretation nimmt die Tragödie halt von Anfang an ihren (vorhersehbaren) Lauf. Da kommt es höchstens für IHN unerwartet, dass SIE irgendwann die Schnauze voll hat.

  14. Simone says:

    Ich bin auch der Meinung, dass sie gegangen ist.

    Um meine Gedanken zu teilen und das gerade geschrieben zu untermauern: Ich vermute auch, dass er in mindestens einer, wenn nicht in mehreren Nächten fremdgegangen ist.

    „Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi,
    dass i ned glei ham kum, woa vu Aufaung au kloa!“

    Man könnte diese schwere Partie auch so deuten, dass es emotional in den Säufernächten schlimm für die betreffende Figur war. Möglicherweise hatte er tagsüber Stress mit seiner Frau aufgrund seiner Alkoholsucht. Abends verfällt er dann dem Alkohol und anderen Frauen.

    „hau mi guad unterhoitn, und na do geht ma ned ham, ham, ham!“

    Klar, er könnte sich mit seinen Kumpeln gut unterhalten haben. Denkbar wäre aber auch, dass er sich länger mit einer netten Dame unterhalten hat.

  15. hpecker says:

    Als Verfasser der ursprüngelichen Interpretation beteilige ich mich schon eine Weile nicht mehr an dieser Diskussion hier; dies heißt aber nicht, dass sie mich nicht interessieren würde. Ich lese alle Beiträge mit Aufmerksamkeit und auch mit Freude, weil sie mir zeigen, dass ich seinerzeit ein Lied aufgegriffen habe, das die Menschen auf diese oder jene Weise anspricht und beschäftigt. Aber es kann nicht meine Rolle sein, die verschiedenen Kommentare zu bewerten; schließlich bin ich hier nicht in der Rolle eines ,Literatur-Papstes‘ engagiert, der über richtig oder falsch zu befinden hat. Diese Rolle könnten nicht einmal die Verfasser des Textes übernehmen. (Und wenn sie gut beraten sind, versuchen sie es auch gar nicht!) Bei literarischen Texten ist es ja immer so: Wenn sie vom Autor einmal in die Welt entlassen sind, bestimmen die Leser, welchen Sinn sie diesen Texten für sich entnehmen bzw. zuschreiben. (Dass die eine Leser-Interpretation vielleicht besser mit dem Wortlaut des Textes im Einklang steht als die andere, dass der eine Lektüre-Vorschlag mehr Zustimmung erfährt als der andere, wird durch das vorstehend gesagte nicht ausgeschlossen.) Schließlich bringen sie, die Leser, ganz unterschiedliche Erfahrungshorizonte und Sinn-Bedürfnisse mit, die sich in ihrer jeweiligen Rezeption niederschlagen und auch niederschlagen dürfen, ja sollen!

  16. Mattes says:

    Vielen Dank an die Beteiligten für die lebhafte Diskussion. Mir ging´s auch um die Frage, wer denn nun Haus, Hund und Kinder hat.
    Herr Ecker, ihre Einschätzung, das Video lehne sich an die groteske Ästhetik von Sin City an würde ich gerne ergänzen – es scheint ja hier eher nicht um comichafte Überzeichnung und reine Splatterästhetik zu gehen, sondern eher um Zitate der White-Trash-Kultur.
    Vielleicht darf ich deshalb in diesem Zusammenhang den geneigten Gossen-Fan auf filmische/literarische Vorlagen wie

    oder

    verweisen.
    Mit besten Grüßen

  17. hpecker says:

    Danke für den die Hinweise auf Genres, die ich in der Tat nicht kannte. Die darstellungsästhetische Nähe des Seiler & Speer-Videos zu solchen Diskursen leuchtet mir sofort ein. Mit meinem Verweis auf ,Sin City‘ wollte ich nur auf ein anderes Beispiel für eine grotesk-komische Rahmung tieftrauriger und ekliger Inhalte verweisen, die der Handlung, wenigstens teilweise, ihren Ernst nimmt, bzw. es den Rezipienten überlässt, sich für eine realistisch-tragische oder fiktionale Interpretation des Geschehens zu entscheiden. Selbstverständlich bedienen sich Seiler & Speer in ihrem Video nicht der comic-affinen Bildsprache von ,Sin City‘, da besteht kein Widerspruch.

  18. Fragen über Fragen says:

    Auch die Textstelle „Wos wü der Püüücha do“ ist recht einfach erklärt:

    Nachdem „Gittääää“ bei ihm aufgetaucht ist, hat er, wie angekündigt, die Polizei gerufen, worauf sich die Polizei natürlich fragt, warum.

    Abgesehen davon, gebührt Seler & Speer für diese Textelle fast der Literaturnobelpreis, weil einen so eleganten Reim auf „Tatü -Tata“ zu finden ist schon eine besondere Leistung.

  19. Pingback: „Wo is denn des Gerchla?“ Fränkisches Kirchweih- und Tanzlied | Deutsche Lieder. Bamberger Anthologie

  20. Krone says:

    Sehr interessant zusammengefasst und ausgiebig behandelt.
    Jedoch habe ich zuerst das Lied gehört und das Video erst deutlich später gesehen (wobei die Aussagekraft des Videos für mich einerlei ist, wenn der Song ohne jenes anders aufgefasst wird).
    Mir und vielen anderen ging es im Verständnis eher so, dass es zwischen dem Brief in Strophe 3 und der Ankündigung die Kinder nicht mehr sehen zu dürfen, usw. …einen Cut gab – wie auch melodisch durch die Orgel gekennzeichnet.
    So wäre die letzte Strophe wieder aus der Sicht des Erzählers, also die Worte des Verlassenen.
    Dies läge nahe, dass Gitte hier als die ‚böse‘ hingestellt wird, die ihrem Mann je nach Ansicht nicht seine Eskapaden durchgehen lassen will – eigtl aber alles ihm gehört.

    Das mag aufgrund Ihrer Argumentation zwar wage klingen. Doch zeigt es, dass der Text weder Aufschluss darüber gibt, ob Gitte nicht einfach eine übermäßig Strenge Ehefrau ist, noch gibt der Text Aufschluss darüber, wie viel Zeit zwischen den durchzechten Nächten des Mannes liegen und die letzte Strophe keinen klaren Aufschluss darüber gibt, aus wessen Sicht gerade erzählt wird (was entscheidend ist), könnte man das gesamte Lied eben auch in einem ganz anderen Licht sehen:

    Auf der einen Seite die Geschichte des Selbstzerfalls und der eigenen Blindheit bei der Schuldfrage – Auf der Anderen die der verklemmten Ehefrau die ihrem Mann nichts durchgehen lässt und nach Ihrer Entscheidung zur Trennung die Quittung erhält in dem ihr nichts zusteht, da sie ja scheinbar auch schon einen Anderen Mann hat – worauf der Ehemann bei der Scheidung natürlich plädieren könnte… Man weiß ja nicht wie er sonst ist – ob es dauerhafte und ständige Saufgelage sind oder nur sporadisch durchzechten Nächte.
    Ich kenne zumindest viele, die dieses Lied eben eher in die Richtung „stell dich nicht so an, ab und an passiert so was eben und jeder der mit Kumpels schon mal in der Kneipe versumpft ist, weiß wie es ist, wenn man zwar eigtl langsam heim sollte – aber dann wird man eingeladen und unterhält sich gut – das muss einem doch auch mal gegönnt sein…

    Zumindest würde diese Sichtweise vllt den Schluss ihrer Interpretation erklären, in der sie aus ihrer Sicht auf die ‚Falschdeutung‘ vieler hinweisen und es zur Hymne machen, anstatt es als ‚Mahnung‘ zu deuten.

    Schlüssig oder nicht – ich kann nur sagen, dass viele es so verstehen.

  21. hpecker says:

    Zu Krone: Vielen Dank für diese Stellungnahme, die ich absolut nachvollziehen und gelten lassen kann. Den musikalischen ,Cut‘ höre ich auch und habe folglich auch darüber nachgedacht, – mich am Ende aber dafür entschieden, ihn (aufgrund der Gesamtlogik des Vorgangs) nur als ,strophen-technisch‘ motiviert anzusehen und insofern nicht als Markierung eines Sprecherwechsels aufzufassen.
    Dass diese Entscheidung von anderen Hörern anders getroffen wird, ist aber absolut in Ordnung und entspricht auch der lyrischen Tradition, dass viele einschlägige Texte von vornherein ambivalent konstruiert sind.

  22. Peter Peter says:

    Interessant was man alles aus so einem einfachen Text interpretieren kann.
    Im Endeffekt zählt doch nur das, was der Ersteller des Textes sich dabei gedacht hat.
    Alles andere sind nur vage Vermutungen.

    Mir gefällt allerdings die Theorie von C-Zero auch besser.
    Z.B. „und mei Frau de woa weg“. Also hat sie ihn verlassen und ist somit raus aus der Geschichte.
    Als er dann morgens um 8 zum Frühstück nach Hause kommt, um sich mit Blumen und Sekt bei ihr zu
    entschuldigen. Er findet dann nur noch den Brief mit: „Waunst amoi nu so ham ….. wei i bin fuat!“.
    Dann redet er wütend von der Scheidung und dass er Kinder, Hund und Haus behalten wird.
    Denn sie ist ja abgehauen (ohne Kinder und Hund).

    Jetzt kommt meine Theorie.
    Vielleicht ist er ja gar kein langjähriger Alkoholiker, sondern sie.
    Vielleicht betrügt sie ihn evtl. schon seit längerem mit diesem ominösen „Pücha“ und will ihren Mann verlassen. Der Erzähler will sie aber nicht aufgeben da er sie noch liebt und lässt sie nicht gehen.
    Warum erscheint sonst der „Pücha“ am Ende des Liedes? Und warum bringt er den Mann um?
    Als der Erzähler von der Affäre erfahren hat, begann er dann mit dem Trinken um dies zu verarbeiten.
    Somit trinkt er erst seit ein paar Tagen oder Wochen und nicht schon seit Jahren.
    Sie könnte eine sehr maskuline und dominante Frau sein, die ihn unterdrückt und evt. sogar schlägt.
    „Waunst amoi nu so ham kummst“ ist ja eindeutig eine Drohnung.
    Dies würde seine Angst erklären. Weswegen er die ganze Nacht unterwegs ist und sich nicht nach Hause
    traut und deswegen versucht seinen Kummer und seine Trauer über die zerbrochene Beziehung im Alkohol
    zu ertränken. Trinkt er evtl. nur um die Gewalt zu Hause zu ertragen?
    Dies würde auch erklären warum er die Polizei rufen und sie einsperren lassen will.
    Am Ende schickt sie dann ihren neuen Liebhaber zum Haus um ihre restlichen Sachen zu holen.
    Dabei fangen beide wütend an zu streiten und die Situation eskaliert. Es kommt zum Kampf, wobei der
    „Pücha“ den Erzähler tötet.
    Ende.

    Vielleicht ein bisschen weit hergeholt, aber schlüssig.
    Was haltet ihr davon?

  23. Aneise says:

    Seiler und Speer haben in einem Zeitungsinterview bestätigt, wer alles verloren hat – es war nicht die Frau“Gitteee“:

    „Für uns war die Melancholie in unserer Musik immer schon sehr wichtig, bei ,Ham kummst‘ ist nur das Video humoristisch, der Song an sich ist ja eigentlich tieftraurig. Viele ignorieren total, dass der Protagonist zugrunde geht. …“

    http://www.krone.at/musik/die-zwei-von-wennst-amoi-no-so-ham-kummst-krone-interview-story-490944

  24. Pingback: Ballade über die Schrecken des öffentlichen Nachverkehrs aus der Sicht eines für die gesamte Menschheit stehenden Wiener Sandlers: „Awarakadawara“ von Ernst Molden, Willi Resetarits, Walther Soyka und Hannes Wirth | Deutsche Lieder. Bamberger Antho

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