Die unerträgliche Leichtigkeit des Trödelns. Zu Deichkinds „Der Flohmarkt ruft“
20. Juli 2015 Hinterlasse einen Kommentar
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Deichkind Der Flohmarkt ruft Der Flohmarkt ruft mit Wurst und Didgeridoo, juhu. Brauchst du Games oder gar neue Schuh, nur zu. Der Flohmarkt ruft, alles klötert und staubt. Vielleicht findest du ja was, was du brauchst. Einmal im Monat, geh' ich auf den Flohmarkt. Ne Platte von Crowbar, Bay City Rollers, Blowfly, Phantom der Oper. Grad wieder sober. Grad aus dem Koma. Sieht aus wie die Vase von Oma. Der Mantel, der modert. 2-Euro-Prosa, Augen die lodern. Ich hab die Vans im Blick, Ich glaub ich nehm' sie mit und den Trainer von Kettler, hab' ich selber. Ist der Sattel verstellbar? Coole Machete, aber viel zu viel Knete. Komm lass uns handeln, kann nicht so viel bieten. Gib mir die Hanteln dazu, dann sind beide zufrieden. Der Flohmarkt ruft mit Wurst und Didgeridoo, juhu [...] Tritt ein und schleich' herum, tauch' ab und zieh' dich um. Ein Stand der NVA, der Kerzenständer da. Das Kleid von H&M, der Knopf ist abgetrennt. Der Helm ist mir zu klein, schöne Kette, ist das Bernstein? Ein Crêpes mit Apfelmus bevor ich weitersuch'. Das Buch von „Was ist Was“, das macht den Kindern Spaß. Der Pelz ist unkorrekt, der ist zu abgewetzt. Du hast bestimmt noch Glück, komm geh' halt noch ein Stück. Der Flohmarkt ruft mit Wurst und Didgeridoo, juhu [...] Möchtste haben? Der passt total gut zu dir, echt, steht dir. Das geht total leicht wieder ab, das ist nur Staub. Ist ein bisschen nass geworden, das läuft aber noch. Jaja, der läuft noch, der geht auf jeden Fall. Nein, die sind neu, also wie neu. Das ist ungetragen, habe ich nie benutzt, also ungewaschen, guck‘s dir an. Nee, eine Tüte habe ich keine mehr. Das ist die Spezialversion, die ist total rar, da hab ich damals viel Geld für bezahlt. Hey, bei Ebay kostet das das Doppelte, das sage ich dir. Wir sind doch auf dem Flohmarkt, da handelt man. Was willst du denn geben? Nee, sag du zuerst. Nee, zwanzig. Nee, zwanzig. Mein Tapeziertisch, der wackelt und hängt durch. Was willst du geben für die schöne Playmo-Burg. Mein' ganzen Krempel, den krieg ich nicht an' Mann. Ich schlepp' das nicht noch einmal, das tu' ich mir nicht an. Tausend Kilo Brockhaus, ein mächtiges Gerät. Marc O'Polo-Sweater, komm riech' die Qualität. 'Nen Zwannie für den Gameboy, ich wechsel' keinen Schein. Die Standgebühr ist viel zu hoch, die krieg' ich nie mehr rein. Der Flohmarkt ruft mit Wurst und Didgeridoo, juhu [...] [Deichkind: Niveau weshalb warum. Sultan Günther 2015.]
Nostalgiker kreiden dem Internet an, dass es nicht nur einiges Angenehmes gebracht, sondern auch vieles Schönes verdrängt hat. Beispiele fallen unzählige ein. Lauter Selbstverständlichkeiten früherer Zeiten müssen bzw. können wir heute mehr oder weniger schmerzlich vermissen. Z.B. werden keine „Tausend Kilo Brockhaus“ mehr gedruckt und kaum mehr Mixtapes verschenkt; nur noch selten ist man heiß auf den Blick in den Briefkasten, und auch das erste Probehören in der CD-Abteilung des örtlichen Drogeriemarkts hatte schon einmal mehr Glanz; Youtube killed the MTV star, Youporn sexuelle Ausgeglichenheit, Amazon so manche äußerst reizvolle Fachbuchhandlung, Facebook den Datenschutz, Whatsapp die Telefonpyramiden usw.
„Ebay“ konkurriert entsprechend dieser zugespitzten Gegenüberstellungen seit nunmehr knapp zwei Jahrzehnten mit dem guten alten Flohmarkt. Dass sich jener in seinen traditionellen Formen an physischen Plätzen, in Fußgängerzonen, Schulen oder Vereinsheimen dennoch ganz gut zu halten scheint, mag damit zu tun haben, dass er ja von Natur aus von Nostalgikern getragen wird. Vor allem aber bietet er als social event en masse Möglichkeiten zur mutmaßlich selten gewordenen real face communication (vgl. im Wikipedia-Eintrag zum Stichwort Flohmarkt die Ausführungen zum „Flair eines Marktes“).
Man trifft sich ungezwungen freizeitlich und genießt den gemeinsamen Überfluss, man tauscht Vintagejacken sowie Kindheitserinnerungen aus, man simuliert ein bisschen Zeitreise, man zockt ein wenig um dem Preis, handelt dabei im Sinne einer gewissen Nachhaltigkeit und spart letztlich sogar noch bares Geld. Wie viel Zeitgeist geht denn noch? Inwiefern die „ganze Menschheit […] dadurch geschunden“ (vgl. Tocotronic: Samstag ist Selbstmord) sein soll, ist an einem sonnigen Altstadtmorgen bei „Crêpes mit Apfelmus“ und „Was ist Was“-Bänden nicht immer unmittelbar nachvollziehbar. Nur folgerichtig also, dass die Institution Flohmarkt auch ausführlicher und positiver klingend besungen wird.
Deichkinds gelobtes Niveau weshalb warum enthält mit Like mich am Arsch nicht nur einen Song über „Stern-App, Bahn-App, Tier-App, Skype-App, Wein-App“, Youtube, Youporn, Amazon, Facebook, Whatsapp et al., sondern auch ein Lied, in dem Der Flohmarkt ruft. Wenn man die Qualitäten der „Band mit dem Dreieck“ (vgl. den Song Niveau weshalb warum) abseits ihrer Liveshows in 1. Bierprolligkeit (Prost, Roll das Fass rein, 99 Bierkanister etc.), 2. treffende Slogans (Leider geil, Arbeit nervt, Bück dich hoch [mit Interpretation], Denken Sie groß etc.) und 3. humorige Sozialkritik (neben u.a. 99 Bierkanister und Bück dich hoch auch Partnerlook, Mehr als lebensgefährlich etc.) unterteilt (vgl. zu diesen Qualitäten auch Patrick Galke: Die Ausbeutung kann man eigentlich nur tanzend ertragen), dann passt ihr Flohmarktlied wohl vor allem in die dritte Kategorie. Hier spiegelt sich die Gesellschaft in den Waren, die ihre Teilnehmer konsumieren, ihr „Warenfetischismus [führt] zu Momenten schwärmerischer Erregung“ (Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, S. 54).
Dass sich abgesehen von Debord auch noch so manch anderer Marxist im Grab umdreht, wenn er erfährt, dass es dabei nicht nur um ein „Kleid von H & M“, sondern auch um Restbestände der „NVA“ geht, kann uns seit fünfundzwanzig Jahren gesamtdeutsch wurscht sein. Shoppen ist einfach die konsumierbarere Ideologie, vor allem, wenn wir „Games“, „Gameboy[s]“, „Trainer von Kettler“, „Playmo-Burg[en]“ und den ganzen ebenso überflüssigen wie unterhaltsamen „Krempel“ für Preise bekommen, die historisch oder global betrachtet in keinem reellen bzw. einem für uns sehr günstigen Verhältnis zu der dafür aufgewendeten Arbeitsleistung stehen. Solange wir die Wahl haben, ob wir beispielsweise die „Bay City Rollers“ gleich frei zugänglich auf Youtube oder erst nach Zahlung einer geringen Gebühr und wirklich wie früher nach dem Auflegen einer Platte anhören, können wir freudig durch das Leben tänzeln.
Dass das „[J]uhu“ hier dennoch irgendwie vergiftet klingt, bemerkt man spätestens, wenn die Salve an Flohmarktfloskeln abgefeuert wird. Neulich wurden im SZ-Magazin Die drei großen Lügen auf Flohmärkten gelistet: „Das ist orginalverpackt“, „Ich könnte auch das Doppelte verlangen“, „Es fällt mir echt schwer, mich davon zu trennen“. „Der passt total gut zu dir, echt, steht dir“, „Das geht total leicht wieder ab, das ist nur Staub“, „Ist ein bisschen nass geworden, das läuft aber noch“, trifft in die gleiche Kerbe. Besagte Marxisten könnten an dieser Stelle anmerken, dass auch ein Flohmarkt nur nach marktwirtschaftlichen Prinzipien funktioniert. Das unternehmerische Risiko „Standgebühr“ führe gewissermaßen zwangsläufig dazu, das wir uns gegenseitig die Geldbeutel leerlügen. Letztlich wäre es aber quatschig, den Song in eine kapitalismuskritische Ecke zu drängen. Zumindest ein bißchen weniger unpassend erscheint es demgegenüber, darüber zu reden, dass kollektivierte Freizeit an Sommertagen in Innenstädten tatsächlich manchmal nur schwer auszuhalten sein kann. Entsprechend ist der Flohmarkt ruft doch gar nicht so weit weg von Tocotronics Samstag ist Selbstmord. Die entscheidende Qualität des Songs liegt darin, dass er das Kippmoment zwischen Leichtigkeit und Unerträglichkeit hörbar macht.
Martin Kraus, Bamberg