Von der romantischen Liebe zu Autos und Schokolade. Das Dingliebeslied. Rainhard Fendrichs „Zweierbeziehung“ (1980) und Helene Fischers „Marathon“ (2013) als liebreizende Spielart des komischen Lieds
25. Mai 2015 Hinterlasse einen Kommentar
Rainhard Fendrich Zweierbeziehung Jetzt sitz i wieder do un bin alla Wie host mia des nur antuan können I trau mi gar ned ins Kaffeehaus ume Weu sa si wieder o'haun täten über mi, die Gsichter Allaweil war i nur da Depperte, da Blede Aber wie i auf amoi mit dir daherkommen bin Do is eahnen die Lad' obeg'flogn, da ham's g'schaut Neidisch san's g'wesn Vom erschten Augenblick an hab i g'wusst, dass neidisch war'n Aber du hast mir g'hört, mir ganz allan! Gestern hat mi's Glück verlassen Du liegst am Autofriedhof draußen Dabei warst du doch immer ois für mi I kann ma's wanen net verbeißen Wos warst du für a haßes Eisen Und überblieb'n is nur a Havarie Nie wer' i den Tag vergessen Wie wir zwa uns das erschte Mal geseg'n ham Es war Liebe auf den ersten Blick I hab sofort g'wusst: Di muß i hab'n, um alles in der Welt! Am Anfang hat er noch Mucken g'macht, der Herr Papa Aber dann is er scho aussag'ruckt mit die Tausender Und wias dann vor mir g'standen bist Mit deine braden Rafen und deine Schweinsledersitz, ein Bild für Götter! Kannst di no erinnern, wie wir's erschte Mal auf der Autobahn war'n, Wir zwa ganz allan Wie ma dem Porsche no davonzogen san bei 200 Bei dir hat er die Gurken g'habt, der Herr Carrera Gestern hat mi's Glück verlassen [...] I kann gar net versteh', wi des hat passieren können Die Kurv'n hat doch leicht 130 vertrag'n Naja, vielleicht hätt i die 6 Viertel net trinken soll'n Aber mit 6 Viertel is ma do no net ang'soff'n, oda? Überhaupt nix wär passiert Wenn net der depperte Bam da g'standen wär Für ein grünes Wien, so ein Bledsinn! Die soll'n ihre Stauden woandersch hinpflanzen Gor nix, gor nix, hätt's ma g'macht Wenn's ma nur den Führerschein wegg'nommen hätten Hätt' ma halt in wilder Ehe zusammengelebt Aber daß i di jetzt um an Kilopreis hergeb'n muaß Das reißt ma's Herz ausse [Rainhard Fendrich: Ich wollte nie einer von denen sein. Philips 1980.]
Helene Fischer (Text: Jean Frankfurter und Joachim Horn-Bernges) Marathon Du warst schon auf dem Schulhof mein Favorit, ich war in jeder Pause nach dir verrückt, dass das mal Liebe wird, war sonnenklar. Ich brauchte dich schon damals vorm Schlafengehen und kann dir auch noch heute nicht wiederstehen, wenn du da liegst bin ich immer in Gefahr. Doch reichte mir sehr lang von dir ein bisschen, heut will ich dich ganz, und ich nutz um dich zu kriegen jede Chance. Mein Herz läuft Marathon, wenn ich in deine Nähe komm. Ich geb' es nicht gern zu: Mein größter Schwachpunkt bist du. Mein Herz läuft Marathon, und die mich kennen wissen schon: Wenn ich schlecht funktionier', dann hab ich Lust nur nach dir. Heut wirst du von mir morgens eiskalt vernascht, und heiß genieß' ich dich gern spät in der Nacht, und dazwischen mag ich dich auch bittersüß. Am schlimmsten ist für mich: Du siehst harmlos aus, doch auf der Waage kommt dann die Wahrheit raus, und dann seh' ich, wie gefährlich du doch bist. Für eine Woche lass ich dich links liegen, länger schaff ich's nicht, denn mit jedem Tag freu ich mich mehr auf dich. Mein Herz läuft Marathon [...] Für Schokolade sterbe ich, was wär ein Tag denn ohne dich? [Helene Fischer: Farbenspiel. Polydor 2013.]
Für die Teilnehmer an der Wien-Exkursion, besonders für die Gruppe 17H Zentralfriedhof
Es gibt viele verschiedene Formen des komischen Lieds. Das Nonsens- und Kabarett-Lied mit seiner Hochphase in der Wilhelminischen Ära und der Weimarer Republik gibt es. Hier im Blog finden sich beispielsweise Beiträge zu Fritz Löhna-Bedas Ausgerechnet Bananen oder zum Schmunzellied Mein kleiner grüner Kaktus von den Comedian Harmonists. Das Karnevalslied kann man ebenfalls als Variante des komischen Lieds nennen. Hans-Peter Ecker hat zu dieser Gattung zahlreiche Einträge verfasst. Eine weitere Spielart des Lachschlagers soll hier eingeführt und an zwei Beispielen kurz beleuchtet werden. Es handelt sich um das Dingliebeslied, um Texte also, in denen der Sprecher Konventionen eines Liebesschlagers und dessen personenbezogene Rhetorik auf die Liebe zu Gegenständen überträgt. Die Anwendung von Liebespathos oder Verliebtheitstopoi auf schnöde Sachen erzeugt Komik und spielt mit den Erwartungen des Hörers. Für diese Spielart findet sich sowohl im österreichischen Liedermacher-Schlager als auch im deutschen Pop-Schlager ein Beispiel. Vielleicht fallen Ihnen noch weitere ein. Ich würde mich sehr über Hinweise im Kommentarbereich freuen.
Rainhard Fendrich wendet romantische Topoi wie Liebesverbundenheit über den Tod der geliebten Person hinaus und die Unvergesslichkeit gemeinsamer Erlebnisse in seiner Zweierbeziehung (1981) auf die abgewrackte Karosserie eines dahingerafften Automobils an, an dessen Unfalltod er auch noch mit schuld war. Besonders bitter. Helene Fischers Marathon (2013, Autoren: Jean Frankfurter und Joachim Horn-Bernges) laufendes Herz schlägt für Schokolade und verknüpft erotisches Verlagen damit. Beide Schlager verraten das Objekt ihrer Liebe allerdings nicht von Anfang an. Sie lassen den Hörer bewusst in dem Glauben, es handele sich um ein persönliches Gegenüber, von dem der Sprecher – bei Fendrich – plötzlich verlassen wurde oder von dem die Sprecherin – bei Fischer – einfach nicht loskommt.
Dieses Missverständnis funktioniert deswegen so gut, weil die Sprecher dem Rezipienten mit vertauten Liebeslyrik-Mustern begegnen: imaginierte Du-Ansprache der angeliebten Person (wie in Rollenlyrik und Minnesang) sowie Heranzitieren eines traditionellen Schönheits-Katalogs und dessen Verknüpfung mit sinnlicher Erotik (ähnlich Shakespeares Sonetten). Erst mit bewusst gesteuerter textlicher Verzögerung erhält der Hörer Hinweise darauf, wer oder was im Zentrum des Liedes steht. Die allmähliche oder plötzliche Erkenntnis bewirkt eine komische Spannung im Lied, hört man es doch von nun an immer mit dem Doppelbewusstsein im Sinn, dass hier tatsächlich jemand von einem Auto oder von Schokolade singt, wie wir es in unserer romantischen Prägung doch eigentlich von zwischenmenschlichen Verhältnissen gewöhnt sind. Der Romantiker in uns wundert sich und schmunzelt.
Ganz traditionell verbindet in beiden Fällen die Sprechinstanz eine Liebesbiografie mit dem Objekt der Begierde und erzählt diese im Lied. Entsprechend den Konventionen einer Liebesgeschichte fällt der ersten Begegnung Aufmerksamkeit zu, sie zieht den Hörer in die Erzählung hinein. Bei Helene Fischer finden wir die Liebesrealität eines Wendy-Mädchens, den Schulhofflirt:
Du warst schon auf dem Schulhof mein Favorit,
ich war in jeder Pause nach dir verrückt
dass das mal Liebe wird, war sonnenklar.
Bei Fendrich wird ebenfalls die erste Begegnungssituation geschildert. Dazu kommt das gesellschaftlich anerkannte Problem, dass die Partnerwahl des Sohns nicht immer gleich den Geschmack der Eltern trifft. Damit betont der Sprecher bei Fendrich auch noch einmal seinen besonderen, gar nicht piefigen Geschmack:
Nie wer‘ i den Tag vergessen
Wie wir zwa uns das erschte Mal geseg’n ham
Es war Liebe auf den ersten Blick
I hab sofort g’wusst: Di muss i hab’n, um alles in der Welt!
Am Anfang hat er noch Mucken g’macht, der Herr Papa
Beide Lieder spielen auf ihre Weiser mit dem Topos von der Liebe auf den ersten Blick und verwenden gehörig Zeilen darauf. Das Liebesverlagen und dessen Schilderung ist in beiden Fällen zudem vom Image des jeweiligen Interpreten bedingt. Das Alter Ego Helene Fischers verspürt zwar „Lust“ – auch ganz im Sinne von körperlichem (sich bzw. hier das Objekt) Verzehren –, strahlt aber letztendlich Keuschheit aus: Als Schulmädchen „brauchte [sie das Begehrte] vorm Schlafengehen“ [Hervorhebung F.S.], nicht dabei. Das älter gewordene Ich ist da etwas direkter und spielt mit der Doppeldeutigkeit von Schokoladenattributen (eiskalt, heiß, bittersüß):
Heut wirst du von mir morgens eiskalt vernascht,
und heiß genieß‘ ich dich gern spät in der Nacht,
und dazwischen mag ich dich auch bittersüß.
Die Verben in diesen Zeilen deuten zwar auf sexuelle Aktivitäten hin, bedienen sich aber doch stark dem Jargon Jules Mumm-trinkender Freundinnen (vernaschen, genießen, mögen). Der Girlie-Biederkeit entsprechend bildet Verlangen eine Gefahr: „Du siehst harmlos aus/ […] auf der Waage […] / seh’ ich wie gefährlich du […] bist“. In diesem Kosmos ist ein Mann auf der Gefahrenskala vermutlich noch das kleinere Problem. In der Topmodel-Pop-Welt sind Kohlenhydrate die dunkle Bedrohung. Ohne Schokolade ist man unausgeglichen, mit ihr wird man dick. Esst weniger Brot, fresst Paprika. Um es frei nach Heidi Klum zu sagen. Schon bei Trude Herrs Ich will keine Schokolade, lieber einen Mann (1965) erzeugte die Verschränkung von süßen mit sexuellen Gelüsten Heiterkeit. In Helene Fischers Antwort wird dieser Topos umgekehrt: Das Helene-Ich mag tatsächlich lieber Schokolade und eigentlich gar keinen Mann.
Bei Fendrichs Sprecher-Ich hingegen klingt bereits der Macho-Macho an, jener Single-Erfolg, den er rund sieben Jahre nach seiner ersten erfolgreichen Männersingle Zweierbeziehung haben wird. Im Wiener Kaffeehaus zeigt das Ich seinen Spezies gerne, was für ein toller Hecht es doch ist. Die Frau wird zum Statussymbol. Das hat sie mit dem Auto gemein:
[Im] Kaffeehaus […]
Allaweil war i nur da Depperte, da Blede
Aber wie i auf amoi mit dir daherkommen bin
Do is eahnen die Lad‘ obeg’flogn, da ham’s g’schaut
Neidisch san’s g’wesn […]
Aber du hast mir g’hört, mir ganz allan!
Fischers kulinarische Text-Begierde besitzt die sexuelle Aura des Bauarbeiters aus der Coca-Cola-Werbung (harmlos gefährlich) und bringt die Mitdreißigerin in sichere Gefahr. Fendrich beschreibt seine Gefährtin nicht, wie in der Pop-Kultur weibliches Verlangen erzeugt wird, sondern, wie in der Literaturtradition Frauenkörper beschrieben werden: durch Hervorhebung einzelner besonders erwähnenswerter Bauteile (vgl. hierzu zum Beispiel den blazon-Begriff anhand von Beispielen von Spenser und Greene auf www.columbia.edu): „Und wias dann vor mir g’standen bist / Mit deine braden Rafen und deine Schweinsledersitz, ein Bild für Götter!“ Sein Minne-Ding ist gemäß dem Hofzeremoniell ein Geschenk, das man den Göttern getrost widmen kann.
Wohl eher der modernen Paarbeschreibung entnommen ist die Erwähnung eines gemeinsamen Bewegungshöhepunkts, der dem ersten Treffen folgt: „[W]ie wir’s erschte Mal auf der Autobahn war’n, / Wir zwa ganz allan / Wie ma […] davonzogen san bei 200.“ Die Erotisierung von Schweinsledersitzen erzeugt freiwillig Komik. Wie bei Fischer sind die sexuellen Doppeldeutigkeiten bei Fendrich, hat man sie einmal gehört, unüberhörbar und die „breiten Reifen“ wirken vielleicht sogar nur elegant, weil sie komisch gebrochen sind und eine gezielte Übertreibung darstellen. Der Titel von Fendrichs Lied legt zudem noch nahe, dass er sich mit seiner ironischen Beziehungsschilderung über ein Gesellschaftsphänomen der Achtziger amüsiert. „Beziehung“ verweist in diesem Zeitkontext auf eine moderne Form der Verbandelung, der jegliche Form von Liebespathos abgeht. Heinz Rudolf Kunze fragt 1985 in seinem Lied Dein ist mein ganzes Herz entsprechend: „Was sind das bloß für Menschen, die Beziehungen haben?“
Bei Fendrich, vielleicht sogar noch etwas stärker als bei Fischer, ist es aber gerade der vermeintliche Gegensatz zwischen der prosaischen Sachlichkeit eines Dings und der pathetischen Ernsthaftigkeit, mit der die Literaturtopoi romantischer Liebe auf ein Ding angewendet werden, die Komik erzeugt. In der Lachtheorie würde man hier vielleicht von komischer Inkongruenz sprechen, die daraus entsteht, dass zwei Bereiche zusammengebracht werden, die gemäß den Sprech- und Denkerwartungen einer bestimmten Gattung für den Hörer zunächst nicht zusammengehen. Die Dingliebeslieder sind so gestaltet, dass diese Inkongruenz erst verspätet auffällt und dann ein fröhliches Ah-Erlebnis erzeugt. Bei einer gemischtgeschlechtlichen Hörererwartung und Kulturprägung verstärken Interpretenrolle und sprachliche Parallelen zwischen Person und Ding (Mann/Auto, Frau/Schokolade) das anfängliche Missverständnis noch. Oder ist das alles gar nicht lustig gemeint? Bestätigen Fendrich und Fischer nur, was viele schlechte Comedians und große Kabarettisten immer wieder behaupten, dass Frauen und Männer einfach nicht zusammen passen? Und, man muss es unverhohlen sagen, dass Schokolade und Autos einfach die besseren Beziehungspartner sind? Ist das nicht herzig?
Florain Seubert, Bamberg