Professionalität zwischen Marketing und Prostitution: „Das Model“ von Kraftwerk (1978)
12. Januar 2015 2 Kommentare
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Kraftwerk Das Model Sie ist ein Model und sie sieht gut aus. Ich nähm' sie heut gerne mit zu mir nach Haus. Sie wirkt so kühl, an sie kommt niemand ran. Doch vor der Kamera, da zeigt sie was sie kann. Sie trinkt in Nachtclubs immer Sekt. (Korrekt!) Und hat hier alle Männer abgecheckt. Im Scheinwerferlicht ihr junges Lächeln strahlt. Sie sieht gut aus und Schönheit wird bezahlt. Sie stellt sich zur Schau für das Konsumprodukt Und wird von Millionen Augen angekuckt. Ihr neues Titelbild ist einfach fabelhaft. Ich muss sie wieder seh'n, ich las, sie hat's geschafft. [Kraftwerk: Das Model. Kling Klang 1978.]
Die Bedeutung der 1970 von Ralf Hütter und Florian Schneider in Düsseldorf begründeten Band Kraftwerk für die internationale Entwicklung des sog. Elektropop kann kaum überschätzt werden: „Musikstücke von Kraftwerk beeinflussten zahlreiche Musikstile wie Synth-Pop, Electro-Funk, Detroit Techno und übten ebenfalls entscheidenden Einfluss auf die Anfänge des Hip-Hop aus. Die New York Times bezeichnete Kraftwerk 1997 als die ,Beatles der elektronischen Tanzmusik‘.“ (Wikipedia). Ihr Erfolgshit Das Model erschien 1978 auf dem siebten Album der Gruppe, Die Mensch-Maschine. Wie der einschlägige Wiki-Artikel, sicherlich richtig, vermerkt, befasst sich diese Produktion im Unterschied zu früheren, auf deutsche Themen fokussierten Alben mit globalen Herausforderungen bzw. futuristischen Bedrohungen, wobei allerdings spezifisch deutsche Wurzeln nicht zu verkennen sind: „Als Inspirationsquelle für das Album diente der deutsche Stummfilmklassiker Metropolis des Regisseurs Fritz Lang von 1927. Sowohl der Albumtitel der ,Mensch-Maschine‘ und das Lied ,Metropolis‘ als auch das Motiv einer technik-dominierten Welt, in der der freie Mensch zum Diener einer komplexen Maschinerie degradiert wird, sind durch diesen UFA-Film beeinflusst.“ (Wikipedia)
Die unglaublich oft gecoverte Single-Auskopplung Das Model (die bekannteste Variante produzierten dabei wohl Rammstein, Das Modell, 1997) besitzt eine biographische Legende – angeblich war Texter Emil Schult damals hoffnungslos in ein Model verliebt –, fügt sich tatsächlich aber in der Komposition von Karl Barton und Ralf Hütter passgenau in den thematischen, ideologischen und musikalischen Rahmen des Mensch-Maschine-Albums ein, wie wir gleich sehen werden. Zeile 5 enthält einen Insider-Witz für Kenner der Düsseldorfer Szene: Die Stimme, die am Ende dieses Verses das „Korrekt!“ ruft, „gehört einem Kellner, der die Band zur Zeit der Aufnahme regelmäßig in einem Düsseldorfer Szene-Lokal bediente und seine Frage an neu eintreffende Gäste – ,Hallöchen. Sekt?‘ – grundsätzlich selbst beantwortete: ,Korrekt!‘ Kraftwerk luden ihn daraufhin in ihr Studio ein und nahmen ihn für das Lied auf.“ (Wikipedia)
Der Text des Songs ist einfach und klar strukturiert: Er besteht aus 12 paargereimten Versen, die sich zu drei Strophen zusammenfinden. Jeder Vers enthält einen abgeschlossenen Gedanken, den man (mit etwas gutem Willen bei der Interpunktion) zur Not auf einen Satz bringen könnte, typische Enjambements, die den lyrischen Ton ,runder‘ bzw. ,flüssiger‘ machen, sucht man vergebens. Die Vers-Bauform mit zumeist regelhafter Abfolge von Hebungen und Senkungen sowie durchgängig männlichen Kadenzen unterstreicht einen abgehackt-mechanischen Sound, der mit der ,entseelten‘ Berufs- und Lebenswelt des besungenen Models korrespondiert.
Die männliche Sprecherinstanz bringt ihr Begehren gegenüber einem als ebenso attraktiv wie unnahbar geschilderten weiblichen Wesen zum Ausdruck, das – wie sofort mitgeteilt wird – den Beruf eines Models ausübt. Ohne Frage geht es im vorliegenden Lied um menschliches (männliches?) ,Begehren‘, aber ich würde mich sehr schwertun, es als ,Liebesgedicht‘, etwa im Sinne petrarkistischer Rollenlyrik, bei der der Mann traditionell eine unerreichbare Frau anschmachtet, zu bezeichnen. Zwar zeigt das Model im Kraftwerk-Song durchaus Züge einer petrarkistischen ,Minne-Herrin“ (überwältigende Schönheit, Kälte, Distanz, Situationskontrolle), doch erfüllt für mich die Sprecherinstanz die Komplementärrolle in zu geringem Maße: So bleibt ihre Charakterisierung der bewunderten Frau hier völlig auf die erotisch relativ unsinnliche Dimension des Visuellen beschränkt, die dafür umso besser zur beruflichen Sphäre des Models passt. Zudem wirkt diese selber eher wie eine Automatin vom Schlage der E.T.A. Hoffmann‘schen Olympia, die nur auf Knopfdruck (bzw. Scheinwerferlicht) in Aktion tritt, als eine lebendige, prinzipiell für ,Liebe‘ talentierte Femme fatale aus Fleisch und Blut, wie es der klassische Petrarkismus für seine Madonnen trotz ihrer abweisenden Haltung annimmt.
Zur petrarkistischen Schönheit passt auch nicht wirklich, dass sich unser Model für Geld zur Schau stellt. Die Zeilen 8, 9 und 10 betonen mit kapitalismuskritischen Untertönen (die dem Textarrangement, nicht der Sprecherinstanz zuzuschreiben sind! – Zur Zeile 8: Bourdieu lässt grüßen.) die Käuflichkeit von Schönheit zum Zwecke des kommerziellen Erfolges. Die gewählten Formulierungen rücken den Model-Beruf m.E. unübersehbar in die Nähe des Peep Show-Gewerbes. Der vorletzte Vers vermerkt – im Ton inbrünstiger Anerkennung – den Umstand, dass es das bewunderte Model auf ein Titelbild geschafft hat, was wohl als Ritterschlag in dieser Branche zu werten ist und dem Begehren des Sprechers, der sich vermutlich als Kameramann, Kollege, Choreograph etc. im gleichen beruflichen Umfeld bewegt, einen neuen Schub verleiht. Die letzte Zeile – „Ich muss sie wieder seh’n, ich las, sie hat’s geschafft.“ – lese ich kausal: Der Sprecher will das Model (das immer noch keinen Namen hat) wiedersehen, weil es – ausweislich des ,fabelhaften Titelblatts‘ – an der Spitze angekommen ist. Er sucht ihre Nähe (von mit-nach-Hause-nehmen wie in Vers 2 ist schon keine Rede mehr) weniger aus erotischen Gründen, sondern eher deshalb, weil er an der das Super-Model umgebenden Aura von Erfolg, Macht und Luxus (,Sekt? – Korrekt!‘) teilhaben will. Seine Aussichten dürften vermutlich begrenzt sein. Das wäre dann schon wieder petrarkistisch.
Hans-Peter Ecker, Bamberg
Etwas konstruiert und überinterpretiert.
Wenn Sie meinen.