Grund zur Freude, mitten im Winter: „Leise rieselt der Schnee“ von Eduard Ebel (1895)
8. Dezember 2014 2 Kommentare
–
Leise rieselt der Schnee Leise rieselt der Schnee, Still und starr liegt der See, Weihnachtlich glänzet der Wald: Freue Dich, Christkind kommt bald! In den Herzen ist’s warm, Still schweigt Kummer und Harm, Sorge des Lebens verhallt: Freue Dich, Christkind kommt bald! Bald ist heilige Nacht. Chor der Engel erwacht. Horch’ nur, wie lieblich es schallt: Freue Dich, Christkind kommt bald!
Die ,technischen Daten‘ zu diesem beliebten Weihnachtslied lassen sich bei Wikipedia, teilweise auch im Lieder-Archiv nachlesen: Gedichtet wurde es von dem evangelischen Pfarrer bzw. Superintendenten Eduard Ebel (1831-1905), der es 1895 unter dem Titel Wintergruß in einem Lyrik-Band (Gesammelte Gedichte) veröffentlichte. Die Herkunft der Melodie ist wohl nach wie vor unsicher: Gelegentlich wird auch sie Ebel zugeschrieben, dann aber heißt es wieder, Ebel habe eine anonyme Volksweise aufgegriffen; auch Anleihen bei anderen Kompositionen werden in Fachkreisen erwogen und kontrovers diskutiert.
Ebel selber hat um sein Liedchen nicht viel Aufhebens gemacht; er betrachtete es als Kinderlied für die vorweihnachtliche Winterszeit. Inhaltlich ginge es darum, der Vorfreude auf das baldige Kommen des Christkinds Ausdruck zu verleihen. Auch die Volkskundlerin Ingeborg Weber-Kellermann (1918-93) konnte ihm keine besonderen Reize abgewinnen; sie klassifizierte es in ihrem Buch der Weihnachtslieder (Mainz 1982) als ,mehr oder minder banales Potpourrilied‘ (vgl. Wikipedia). Möglicherweise haben Autor und Expertin unterschätzt, was sie da vor Augen und Ohren hatten.
So einfach und kindlich die Worte des Textes gesetzt sind, womit sie – nebenbei bemerkt – den sog. ,echten‘ Volksliedton ziemlich gut treffen, so klar und logisch strukturiert ist sein Aufbau. Die drei ersten Zeilen der ersten Strophe entwerfen ein winterliches Naturbild, das in seiner Reinheit, Stille und Festlichkeit („glänzet“) auf das Kommen des Heilands verweist und in die Aufforderung der vierten Zeile mündet, sich auf dieses nahe Ereignis zu freuen. Die Worte enthalten gehäuft sonorantische Konsonanten wie n, r, l oder Spiranten, die sämtlich den Vokalen nahestehen und angenehm mitklingen. Die zweite Strophe wendet den Blick von der äußeren Naturszenerie auf die innere Seelenlandschaft der Menschen, denen es „warm“ ums Herz ist, weil Kummer, Harm (= Gram) und Sorgen sie nicht mehr bedrängen. Auch dies ist Grund genug, sich aufs Christkind zu freuen. Die dritte Strophe erinnert an die heilsgeschichtliche Bedeutung des Weihnachtsfestes, an die Frohe Botschaft der Engel. Im Unterschied zur Betonung der stillen äußeren und inneren Welt in den ersten Strophen gibt es nun etwas zu hören, konkret: etwas ,Liebliches‘ vom Chor der Engel. Die vorgängige Stille ist natürlich Voraussetzung dafür, dass die Heilsbotschaft von den Menschen überhaupt vernommen wird. Wir memorieren, dass seinerzeit die Engel zu den Hirten auf dem Felde gesprochen haben, also zu den denkbar einfachsten Menschen: So hält es auch unser Kinderlied, das keine großen Worte macht und gerade deshalb unter die Haut geht.
Wie stimmig der Dichter seine Worte auch im Detail gesetzt hat, mag eine kleine Analyse der zweiten Strophe zeigen, die davon spricht, dass die Herzen der Menschen in dieser Zeit erwärmt sind, weil sie die bösen Sorgen verlassen haben. Zunächst verdient hier der Temperatur-Kontrast zur ersten Strophe eine Erörterung. Zur anfangs skizzierten Winterlandschaft der Natur bildet die Herzenswärme der Menschen einen gewissen Kontrast, aber – und das ist wichtig – keinen absoluten Gegensatz (also keine Kontradiktion). Mit Bedacht vermeidet der Verfasser in den ersten vier Zeilen des Gedichts das Adjektiv „kalt“, obwohl es als Reimwort hervorragend passen würde. Es kommt ihm aber gerade auf den Aspekt der Korrespondenz an, nicht auf eine Konstruktion von Gegensätzen. Der Feierlichkeit und Stille der äußeren Welt entspricht die gelassene (!) Ruhe der inneren; die seelischen Unruhestifter (Kummer, Harm, Sorgen) müssen von den Menschen nicht mit Energieaufwand verdrängt werden, weil nun einmal das Weihnachtsfest ansteht, – sie schweigen von selber still, als wüssten sie, dass nun alles gut werden wird. Die vierte Zeile dieser zweiten Strophe ist sicher an die Gesamtheit der Menschen adressiert, aber vielleicht doch auch wieder in besonderer Weise an die Kinder, die von Kummer, Harm und Sorgen vermutlich noch nicht allzu sehr geplagt werden. Aber diese Kinder haben ein feines Gespür für den Seelenzustand der ihnen nahen Erwachsenen, und dass aus deren Herzen die Sorgen gewichen sind, ist Grund genug zur (kindlichen) Freude auf den nahen Erlöser, der deshalb auch Heiland genannt wird, weil er die Welt heil macht.
Selbstverständlich ist es heute schwierig geworden, die im Lied geschilderten Szenarien in der Alltagswelt wiederzufinden. Im Zuge der Klimaerwärmung haben wir uns schon in weiten Teilen unseres Landes daran gewöhnt, permanent ,grüne Weihnachten‘ zu erleben. Andernorts „rieselt“ der Schnee nicht vom Himmel, sondern staubt aus Schneekanonen, um sich flugs in Pisten zu verwandeln. Auch unsere Seen liegen nur noch selten „still und starr“, schon gar nicht in der Nähe von Städten. Entweder frieren sie überhaupt nicht mehr zu oder sie sind von Schlittschuhläufern, Eisstock-Schützen und Hockey-Spielern bevölkert. Entsprechend störrisch sind unsere griesgrämigen Seelenbewohner, die nicht mehr zu wissen scheinen, dass ihnen für Dezember vom höchsten Hausherrn gekündigt ist und sie sich mit ihrem Gerümpel schleichen sollen. Sie pochen statt dessen auf ihren Mieterschutz und denken nicht daran auszuziehen. Und den Ruf der Engel an die Hirten vernehmen wir in der Regel allenfalls einmal ganz kurz am vierten Adventssonntag beim Krippenspiel. Beim Geschenke-Auspacken am 24. hat er keine Chance mehr, weil dann alle ,schreien vor Glück‘.
Leise rieselt der Schnee ist schon ein Lied für Kinder, kleine und große, mehr denn je.
P.S. Mir war Leise rieselt der Schnee in meiner Kindheit unter den Weihnachtsliedern immer besonders lieb, weil es sich dank weitgehend fehlender Vorzeichen (nur ein Kreuz hinter dem Notenschlüssel!) so leicht auf der Blockflöte spielen ließ.
Hans-Peter Ecker, Bamberg
Sehr geehrter Herr Ecker,
ich möchte Ihnen hiermit einmal ausdrücklich danken. Nicht nur dafür, dass Sie meine Seite Lieder-Archiv erwähnt haben, sondern für Ihre Beiträge generell, die ich gerne lese seitdem ich Ihre Seite eher durch Zufall fand.
Meine nähere und erst recht weitere Umgebung sagt mir immer wieder: Volkslieder – wer interessiert sich heute noch dafür…?! Offenbar viele, denn meine Seite hat regelmäßig zwischen 2-4.000 Besucher täglich. Aber speziell vor Weihnachten 20.000 und mehr pro Tag. Und das erstaunliche daran ist, dass offenbar die einfachsten Lieder wie “O Tannenbaum” (Nr. 1 der Abrufstatistik) abgerufen werden, weil kaum noch jemand den Text dazu kennt. Aber offenbar ist es doch noch immer Tradition, zur Weihnachtszeit diese “alte Schinken” zu singen. Es ist etwas, das ich hier auf den Philippinen, wo ich jetzt aus familiären Gründen lebe, vermisse. Hier rühmt man sich zwar der längsten Weihnachtszeit, aber ein echtes Weihnachtsgefühl, so wie ich es kenne, kommt nicht auf. Einen Adventkranz kennt man hier eh nicht – und am Adventsonntag sich zu versammeln und etwas besinnlicher zu werden, einen Gang runterzuschalten, kommt hier auch niemandem in den Sinn. Selbst Weihnachten, bzw. Heilig Abend, ist hier mit einem kurzen “Exchange Gift” schnell abgehakt. Weihnachtsstimmung und Besinnlichkeit? Fehlanzeige! Und das, obwohl hier jeder so viel auf den Glauben hält und bei jeder Gelegenheit betet.
Ja, da wundert mich die Nachfrage nach Weihnachtslieder in Deutschland. Und gleichzeitig finde ich es toll, dass da noch Bedarf besteht. Wie es ist, wenn man das nicht mehr hat, kann man wohl erst dann empfinden, wenn man es tatsächlich nicht mehr hat. Auch ich war nicht unbedingt der größte Besinnlichkeits-Fan, aber eine gewisse Dosis vermisse ich jetzt doch.
Ihre Beiträge finde ich im übrigen Klasse. Ich wollte da auch schon immer mal nachlegen und zu jedem Lied etwas schreiben, aber ich komme einfach nicht dazu und lade lieber erstmal die nächsten 2-3.000 Lieder noch, die meine Nichte schon seit geraumer Zeit erfasst hat. Aber die deutschen Texte muss ich leider alle selbst durchsehen bevor die online gehen können.
I diesen Sinne: Ein dickes Kompliment an Sie (und Ihre Mitstreiter?).
Eine besinnliche Weihnachtszeit wünscht Ihnen
Dietmar Bückart ____________________________________ Redaktion Lieder-Archiv
Alojado Publishing Rizal St. Brgy. Dancalan 6109 Ilog, Negros Occidental Philippinen Telefon ++63 (0) 91 73 26 80 96 E-Mail: redaktion@lieder-archiv.de
Lieber Herr Bückart, haben Sie herzlichen Dank für Ihre freundlichen Worte. Es ist natürlich immer sehr schön, Komplimente zu bekommen und zu hören, dass sich jemand für die eigenen Arbeiten interessiert und daraus Gewinn zieht; aber Bestätigungen dieser Art (die durchaus auch Einwände oder Kritik artikulieren dürfen!), bringen viel Energie von außen ins System, die man ab und an dringend zur Motivation braucht, um über Wochen und Jahre hinweg solch ein Projekt durchzuhalten. Außerdem werde ich versuchen, es mir zu Gewohnheit zu machen, immer wieder auch einmal auf Ihr großes Liederarchiv hinzuweisen. Uns (da schließe ich den Gründer und Herausgeber dieses Blogs, Martin Rehfeldt, absolut ein) ist übrigens durchaus bewusst, dass viele Leser der „Bamberger Anthologie“ zeitweise oder dauerhaft im Ausland leben und diese Seiten als eine kleine Brücke in die Heimat nutzen.
Herzliche Grüße, Hans-Peter Ecker.
PS. Vielleicht sollte man in der Zukunft hier (d.h. an irgendeiner Stelle dieses Blogs) einmal einen kleinen Diskurs zwischen aktiven und passiven Nutzern organisieren, um mehr darüber zu erfahren, warum und mit welchen Zielen Beiträger bestimmte Lieder besprechen und – umgekehrt – mit welchen Interessen bzw. Erwartungen Leser das Blog anklicken, worüber sie sich freuen und was sie vermissen.