Versuch einer Unterwerfung. Zu „Ofen aus Glas“ von Element of Crime
4. November 2013 Hinterlasse einen Kommentar
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Element of Crime Ofen aus Glas Kauf dir ein Säckchen voll Blei, Bind’s an mein Bein Und wirf mich hinein In den See deiner Wünsche Und sieh zu, wie ich versink Verbring dann den Tag Mit dem Kämmen deiner Haare Kauf dir ein Halsband aus Samt Leg es mir um Und führ mich herum Im Gestrüpp deines Denkens Und sieh zu, wie ich mich verhak Verbring dann den Tag Mit dem Feilen deiner Nägel Kauf dir einen Ofen aus Glas Heize ihn ein Und leg mich hinein In das Feuer deines Zornes Und sieh zu, wie ich’s ertrag Verbring dann den Tag Mit dem Reiben deiner Augen Doch warte nicht Warte nicht zu lang [Element of Crime: Damals hinterm Mond. Polydor 1991.]
Der titelgebende Ofen erweist sich bei näherer Betrachtung als ambivalente Metapher: Auf der einen Seite erzeugt er Wärme und Behaglichkeit, auf der anderen kann das im Ofen entfachte Feuer auch gefährlich sein. Zudem besteht der besungene Ofen aus dem Material Glas, das zerbrechlich und transparent ist, man kann also in den Ofen hineinschauen. Das Lied handelt augenscheinlich von einer innigen und leidenschaftlichen Beziehung zweier Menschen. Ob es eine Beziehung zwischen Mann und Frau ist, bleibt der Interpretation des Rezipienten überlassen. Das Sprecher-Ich eröffnet seinem Gegenüber seine persönliche Leidenschaft – die Wortwahl lässt keinen Zweifel daran, dass es sich seinem Partner devot zu unterwerfen versucht. So wird das Gegenüber inständig dazu aufgefordert, seine Fantasien gemeinsam mit ihm auszuleben:
Kauf dir ein Säckchen voll Blei,
Bind’s an mein Bein
Und wirf mich hinein
In den See deiner Wünsche
Das Ich bietet sich seinem Partner an und bittet gleichzeitig darum, Einsicht in die Welt des Partners zu erhalten. In den letzten beiden Zeilen der dritten Strophe wird das Gegenüber davor gewarnt, zu lange zu zögern („Doch warte nicht / Warte nicht zu lang“), wobei den zuvor erhobenen Forderungen mithilfe zweier Kunstpausen in der Phrasierung nochmals Ausdruck verliehen wird. Hieran wird deutlich, dass die Verbindung zwischen den beiden Menschen scheitern könnte, sollte dem Verlangen des Sprecher-Ichs nicht nachgekommen werden.
Betrachtet man die musikalische Gestaltung des Liedes, so fällt zunächst auf, dass es ohne Einleitung beginnt, der Gesang setzt sofort ein. In sehr ruhigem Tempo wird die gehauchte, aber dennoch sonore Gesangsstimme von verschiedenen Instrumenten begleitet. Die musikalischen Elemente lassen so eine sehr harmonische, fast traumähnliche Stimmung entstehen. Träumt das Sprecher-Ich von einem Zusammentreffen mit seinem Gegenüber, bei dem es seine Gefühle tatsächlich äußern kann? Im Gegensatz zu den meisten anderen Liedern von Element of Crime hat dieses Lied keinen Refrain, sondern besteht lediglich aus drei Strophen, in denen die Gefühlswelt des Ichs thematisiert wird. Wie oft bei Element of Crime zu beobachten, gelingt es Texter und Sänger Sven Regener auch hier, triviale Alltagssituationen in den Text des Liedes einzubauen und dadurch eine Wechselwirkung in dem Sinne zu erzeugen, dass die Gefühlswelt des Sprecher-Ichs in Bezug zu alltäglichen Tätigkeiten des Partners gesetzt wird: „Verbring dann den Tag / Mit dem Kämmen deiner Haare […] Mit dem Feilen deiner Nägel […] Mit dem Reiben deiner Augen“. Im Kontext des artikulierten Strebens nach Unterwerfung werden diese alltäglichen Situationen als Stimuli eingesetzt – einerseits, indem sie die Gleichgültigkeit des dominanten Partners gegenüber dem devoten als Teil des Spiels der Unterwerfung ausstellen, anderserseits, indem hier erotisch aufgeladenen Körperteile – Haare, Fingernägel, Augen – angesprochen werden.
Eine gewisse Portion Ironie lässt sich darüber hinaus in allen drei Strophen des Liedes erkennen. Ein ‚Säckchen Blei‘ am Bein, das sogenannte Fußblei, dient Tauchern dazu, unter Wasser tarieren zu können, schränkt das Sprecher-Ich also nicht in seiner Bewegungsfreiheit im ‚See der Wünsche‘ ein, sondern verschafft sie ihm erst. Und sich an einem „Halsband aus Samt“ umherführen zu lassen, ist bei weitem angenehmer als an Exemplaren aus strapazierfähigerem Material. Aber in der Liebe ist ja bekanntlich alles erlaubt und in der Fantasie auch.
In der dritten Strophe taucht schließlich der Titel des Liedes auf, der Ofen aus Glas. Ist dies ein ebenso ironisches Bild wie die in den beiden anderen Strophen? In diesem Ofen ist es nicht nur heiß, sondern das durchsichtige Glas lässt auch einen ungehinderten Blick auf die Geschehnisse innerhalb zu. Die Aufforderung des Sprecher-Ichs an seinen Partner ist eindeutig: Sieh ganz genau hin, ich offenbare dir meine Wünsche und mein Verlangen – und warte nicht zu lang, mir meine Bedürfnisse zu erfüllen!
M. B. und H. H. P., Kassel