Talent borrows, genius steals. Zu Die Prinzen: „Alles nur geklaut“
22. Juli 2013 Hinterlasse einen Kommentar
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Die Prinzen Alles nur geklaut Ich schreibe einen Hit, die ganze Nation kennt ihn schon, alle singen mit, ganz laut im Chor, das geht ins Ohr. Keiner kriegt davon genug, alle halten mich für klug, hoffentlich merkt keiner den Betrug. Denn das ist alles nur geklaut, das ist alles gar nicht meine, das ist alles nur geklaut, doch das weiß ich nur ganz alleine, das ist alles nur geklaut und gestohlen, nur gezogen und geraubt. Entschuldigung, das hab' ich mir erlaubt. Ich bin tierisch reich, ich fahre einen Benz, der in der Sonne glänzt. Ich hab 'n großen Teich, und davor ein Schloß und ein weißes Roß, ich bin ein großer Held, und ich reise um die Welt, ich werde immer schöner durch mein Geld. Und das ist alles nur geklaut [...] Ich will dich gern verführ'n, doch bald schon merke ich: das wird nicht leicht für mich. Ich geh' mit dir spazier'n und spreche ein Gedicht in dein Gesicht. Ich sag, ich schrieb es nur für dich, und dann küsst du mich, denn zu meinem Glück weißt du nicht: Das ist alles nur geklaut [...] Auf deinen Heiligenschein fall' ich auch nicht mehr rein, denn auch du hast, Gott sei Dank, garantiert noch was im Schrank. Und das ist alles nur geklaut das ist alles gar nicht deine, das ist alles nur geklaut, doch das weißt du nur ganz alleine, das ist alles nur geklaut und gestohlen, nur gezogen und geraubt. Wer hat dir das erlaubt? Wer hat dir das erlaubt? [Die Prinzen: Alles nur geklaut. BMG/Hansa Records 1993.]
Die Möglichkeit, hier im Rahmen der Bamberger Anthologie Lieder vorzuschlagen, wurde u.a. genutzt, um das mittlerweile rund zwanzig Jahre alte Alles nur geklaut (1993) von den Prinzen ins Gedächtnis zu rufen; und zwar mit folgender Begründung: „Nach dem Ende der Guttenberg-Galaxis muss man sich eingestehen, dass dieses Lied den Zeitgeist prophetisch erkannt hat wie kaum ein zweites.“ Tatsächlich gibt es ja eine Coverversion des Prinzen-Klassikers mit einem auf den Fall des ehemaligen Bundeswirtschafts- und Bundesverteidigungsministers (2011) gemünzten Text, produziert von Mitarbeitern des privaten niedersächsischen Radiosenders FFN.
Inwiefern Gedanken-, Gewissens- oder Rücksichtslosigkeit hinsichtlich geistigem Eigentum einem heutigen Zeitgeist entsprechen, wurde auch schon knapp ein Jahr vor der Guttenberg-Affäre im literarischen Kontext öffentlichkeitswirksam diskutiert: Helene Hegemann hatte Passagen ihres Debütromans Axolotl Roadkill (2010) abgeschrieben. Ein Artikel auf Zeit Online zu diesem Thema trug den Untertitel Zeitgeist oder Plagiat?. Die darin zitierte Ullstein-Leiterin und damit Hegemann-Verlegerin Siv Bublitz plädierte für Zeitgeist. Sie meinte: „Über die Verantwortung einer jungen, begabten Autorin, die mit der Sharing-Kultur des Internets aufgewachsen ist, mag man streiten.“ Wie vertrackt die Sachlage bleibt, ließ die Einordnung des Zeit Online-Journalisten erahnen: „Als Legitimation kann das kaum durchgehen, zumal Buchhandel und Feuilleton stets die Verwahrlosung des Urheberrechts beklagen, sobald von Googlebooks oder Musikpiraten die Rede ist.“
Im Kontext dieser ganzen Diskussionen erscheint es freilich schon ein wenig witzig, dass der Texter des Liedes Alles nur geklaut mittlerweile als stellvertretendes Aufsichtsratsmitglied der GEMA und mediale Speerspitze gegen eben jene „Sharing-Kultur des Internets“, gegen „Verwahrlosung des Urheberrechts“ und vor allem „Musikpiraten“ agiert. Mit Zitaten wie „Illegales Downloaden ist wie Ladendiebstahl – und gehört bestraft!“ (siehe etwa TV-Ankündigung für eine Talkshow mit Künzel zu diesem Thema auf Focus Online) wurde er zum Feindbild vieler Internet-Freigeister. Dabei könnte sein Song doch ihre Hymne sein.
Knapp zwei Dekaden zuvor war Tobias Künzel Sänger der Prinzen und kurz danach recht berühmt geworden. Mit Gabi und Klaus (1991), Millionär (1991), Mein Fahrrad (1992) und Küssen verboten (1992) stiegen er und vier weitere sächsische Chorknaben in den Jahren nach der Einheit zum „ersten gesamtdeutschen Massenphänomen aus dem Osten“ (FAZ vom 09.12.1995, Nr. 287, S. 64) auf. Die Prinzen funktionierten als „Botschafter“ der neuen Länder bzw. „Vorzeige-Ossis“, die exemplarisch zeigten, dass man, wenn man sich hier (auf dem westlichen Musikmarkt) anstrengt, auch als jemand von drüben durchaus Erfolg haben darf (vgl. den Ausschnitt aus der Dokumentationsreihe Pop 2000 mit Aussagen von Tobias Künzel und Prinzen-Produzentin Annette Humpe). Passend hierzu reflektierten sie mit zwei ihrer größten Hits charmant ironisch die Möglichkeiten, die der Kapitalismus nun so zu bieten hatte. So führte der Weg von „Ich hab‘ kein Geld, hab‘ keine Ahnung, / doch ich hab‘ ’n großes Maul!“ (Millionär) zur zweiten Strophe von Alles nur geklaut: „Ich bin tierisch reich, / ich fahre einen Benz, / der in der Sonne glänzt. / Ich hab ’n großen Teich, / und davor ein Schloß / und ein weißes Roß.“ Man könnte glatt glauben, hier sei der amerikanische Traum wahrgeworden, allerdings keineswegs durch redliche Arbeit.
Die erste Textzeile eröffnet den Schreibprozess und nimmt gleich dessen Resultat vorweg. Das Sprecher-Ich führt vor, wie es einen Hit fabriziert – es karikiert, wie das Musikgeschäft vermeintlich funktioniert. Es wird gleich von durchschlagendem Erfolg ausgegangen, dieser liegt wohl zu größeren Anteilen darin begründet, dass das Musikstück schon irgendwie bekannt ist. Entsprechend „[singen] alle [von uns Rezipienten bzw. Konsumenten, Anm. d. Verf.] […] mit, ganz laut im Chor, das geht ins Ohr“; die einzige Sorge des gutgelaunten Hitproduzenten bleibt: „hoffentlich merkt keiner (eben von uns) den Betrug“. Als weiterer Kniff in diesem metaästhetischen Spiel wird im Refrain freilich wiederum recht fröhlich verkündet, dass das Sprecher-Ich „nur ganz alleine“ davon wüsste, dass hier alles auf Diebstahl basiere. Der Hörer kann derweil überlegen, wo er etwa das im AC/DC-Stil präsentierte Gitarrensolo oder jenes im Hintergrund immer wiederkehrende „eo, eo“ tatsächlich schon einmal gehört haben könnte. Leicht erkennbar sind dem gegenüber die nicht gekennzeichneten Zitate im Video. Man sieht mit Queen, U2, The Cure, Depeche Mode, ZZ Top, Genesis, Pet Shop Boys etc. eine stattliche Palette zeitgenössischer Pop-Ikonen parodiert.
Nachdem die bereits zitierte zweite Strophe Stereotype zum Leben der Schönen und Reichen skizziert, geht es in der dritten Strophe erneut um das Problem mit der dichterischen Urheberschaft. Gemäß alten Traditionen wird zum Zwecke der Verführung „ein Gedicht“ in das „Gesicht“ der Geliebten gesprochen, wobei diese natürlich einen Anspruch darauf hat, dass es sich dabei um einen möglichst authentischen Ausdruck echter Gefühle handelt. Entsprechend küsst sie ihn erst, nachdem er die Autorschaft für sich reklamiert hat, „denn zu [s]einem Glück weiß[] [sie] nicht“, dass auch diese Worte „gar nicht [seine]“ sind. Trotz der heiteren Melodie mag mancher hier traurig werden und verzweifelt fragen, was denn in dieser Welt eigentlich nicht geklaut sei; andere sehen das anderes. Helene Hegemann etwa hat bereits signalisiert, dass sie eine solche „geklaute“ Liebeserklärung durchaus annehmen würde. In ihrer Rechtfertigung unterschied sie zwischen „Originalität“, die es eh nicht (mehr) gäbe, und eben „Echtheit“, auf die es demgegenüber ankäme (vgl. etwa FAZ-Artikel vom 8.2.2010).
Bei Karl Theodor zu Guttenberg, Annette Schavan, Jakob Kreidl etc. lagen und liegen die Fälle natürlich wesentlich anders. Für sie sprechen vielleicht die letzten Zeilen des Liedes. Wer sich, wann, in welcher Form öffentlich einen „Heiligenschein“ aufgesetzt hat, kann und soll hier natürlich nicht diskutiert werden. Aber wenn man den Reim „denn auch du hast, Gott sei Dank, / garantiert noch was im Schrank“ hört, fallen manchem vielleicht einige seiner Hausarbeiten aus dem Grundstudium ein. Man kann nur hoffen, dass die niemand mehr findet.
Martin Kraus, Bamberg