Verbotene Fragen. Zu Renft: Glaubensfragen
29. April 2013 Hinterlasse einen Kommentar
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Renft Glaubensfragen Du, woran glaubt der, der zur Fahne geht, Ruhm der Fahne schwört, dabei stramm steht? Du, woran glaubt der, der nicht anlegt, der als Fahne vor sich her einen Spaten trägt? Du, woran glaubt der, der in'n Kahn geht, und den Hintern quer zu der Fahn' dreht? [Rock aus Leipzig. Renft-Combo Live. Taraxacum 1980. Text nach: www.renft.de.]
Bereits 1959 hatte die Klaus Renft Combo ihren ersten Auftritt. Schon in den ersten Jahren kollidierte sie mit der SED-Politik. Sie sammelte z.B. Erfahrungen mit Verboten wegen dem Spielen von unerlaubten Westtiteln und erhielte sogar das erste Spielverbot. Die Kulturpolitik der DDR erschwerte und verhinderte die freie musikalische Entfaltung der Künstler. 1967 erlangte die Klaus Renft Combo dann die Spielerlaubnis zurück (vgl. Bernd Lindner: DDR Rock & Pop. Köln 2008, S. 31–34). Doch schon im September 1975 wurde der Klaus Renft Combo, die sich zu diesem Zeitpunkt nur noch Renft nannte, das endgültige Band-Verbot mitgeteilt (vgl. Renft: 1958-2008. 50 Jahre Renft. Historie). Der finale Streit hatte sich Texten für die dritte LP entzündet. Insbesondere die Texte von Glaubensfragen und der Rockballade vom kleinen Otto missfielen der SED-Führung. Das Konzert am 17. September 1975 im Interflug-Klubhaus in Berlin-Schönefeld endete mit dem Song Glaubensfragen und war das letzte in der damaligen Besetzung. Man teilte der Band mit, dass ihre Texte „mit der sozialistischen Wirklichkeit nicht das geringste zu tun haben, […] darüber hinaus [darin] die Arbeiterklasse verletzt wird, und die Staats- und Schutzorgane diffamiert“ (Bernd Lindner: DDR Rock & Pop. Köln 2008, S. 112).
Doch was machte den Text zu Glaubensfragen so brisant, dass es letztendlich zur Auflösung der Band gekommen ist? Glaubensfragen ist ein Text über Wehrdienstverweigerer. Da die meisten Verweigerer des Dienstes an der Waffe zu den Baupionieren eingezogen wurden und der unterste Dienstgrad des Soldaten hier einen Spaten auf dem Schulterstück hatte, wurde der Begriff „Spatensoldat“ zum Synonym für die Wehrdienstverweigerer. Sie wurden unter den NVA-Rekruten belächelt und galten als „Buddel- und Putzkolonne“ (vgl. YouTube-Kommentar von „vlagstuff“).
Mit der Erwähnung dieses Truppenteils brach die Band ein Tabu, denn die Existenz von Wehrdienstverweigerern und deren Einsatz als „Spatensoldaten“ wurde seitens der NVA nicht öffentlich thematisiert, da es sonst wohlmöglich zu viele geworden wären, was wiederum einen schlechten Eindruck nach außen vermittelt hätte (vgl. Eva Storrer: Mit dem Spaten bei der Nationalen Volksarmee). Dies erklärt die thematische Brisanz des Textes.
Doch wie überzeugt er mit seiner politischen Botschaft die Hörerschaft? Der Text ist über die drei Strophen so aufgebaut, dass eine klare Steigerung des politischen Gehalts zu erkennen ist: Die erste Strophe stellt zunächst das sozialistische Ideal in Frage: „Du, woran glaubt der, / der zur Fahne geht, / Ruhm der Fahne schwört, / dabei stramm steht?“ Die Fahne steht umgangssprachlich für die Nationale Volksarmee. ‚Zur Fahne müssen‘ bedeutet ‚eingezogen werden‘ (vgl. Wikipedia: Sprachgebrauch in der DDR).
Die zweite Strophe thematisiert dann die Spatensoldaten, die den Dienst an der Waffe verweigern: „Du, woran glaubt der, / der nicht anlegt, / der als Fahne vor sich her / einen Spaten trägt?“
Die dritte Strophe bildet inhaltlich den Höhepunkt der für die SED-Führung politisch inakzeptablen Aussagen, da sie beschreibt, dass junge Männer lieber in den „Kahn“, im DDR-Sprachgebrauch umgangssprachlich für Gefängnis (vgl. DDR-Lexikon). gehen, als der NVA zu dienen: „Du, woran glaubt der, / der in’n Kahn geht, / und den Hintern quer / zu der Fahn‘ dreht?“ Durch die Verwendung des typischen DDR-Sprachgebrauches mit den Wörtern „Fahne“, „Spaten“ und „Kahn“, wird der Hörerschaft ein Identifikationsangebot gemacht. Das Vokabular befindet sich nicht auf einer hochpoetischen, sondern auf einer Alltagsebene.
Darüber hinaus wird in jeder Strophe eine offene Frage gestellt, die im Text unbeantwortet bleibt. Die Hörerschaft soll offenbar zum Nachdenken angeregt werden. Dadurch, dass sich die Band aber letztendlich klar positionierte, indem sie das systemkritische Thema überhaupt aufgriff, werden jedoch Antworten nahe gelegt, die nicht mit der vorgegebenen Ideologie übereinstimmen.
Somit ist festzustellen, dass sich die Klaus Renft Combo im Jahr 1975 mit dem Text Glaubensfragen nicht darum bemühte, ihre politische Kritik zu verbergen. Es ist bei ihrer Vorgeschichte zudem nicht sehr überraschend, dass damit das endgültige Aus für die Band kommen musste.
Im Jahr 2007 enttarnte sich das Bandmitglied Peter „Cäsar“ Gläsel öffentlich als inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit. 22 Jahre war er unter dem Decknamen „IM Klaus Weber“ bei der Stasi tätig. Erst 1989, kurz vor seiner Ausreise in den Westen, beendete er die Verbindung (vgl. Stephan Georg Raabe: Ein anderer Blick auf die DDR. DDR-Rockmusik zwischen Anpassung und Auflehnung). Mit diesem Wissen stellt sich die Frage, welchen Einfluss er mittels dieser Tätigkeit auf Auftrittsverbote und sogar auf das endgültige Aus der Band nahm.
Julia Habermann, Bamberg