Blumentopfs Diagnose der allgemeinen Befindlichkeit: „SOLALA“
8. April 2013 Hinterlasse einen Kommentar
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Blumentopf SOLALA Hey, sagt wie geht's Euch? Solala, solala! Und wie laufen die Geschäfte? Solala, solala! Sagt, wie findet ihr das Wetter? Solala, solala! Und wie geht es Euch privat? Solala, solala! Manchmal ist alles eben mehr so: Tee trinken auf Kaffeefahrt, so Visagist mit Mastercard, so mit Snowboard-Boots zum Après-Ski, so onanieren zu Blasmusik. So Brandstifter mit Wasserkopf, so wie 'ne Lichtgestalt, die Schatten boxt. Wie 'n Hamsterkauf in 'nem Rattenloch, es ist Solala, solala! So mit Segelohren in 'nem Motorboot, so – stille Post – mit 'nem Vocalcoach, so Straußeneier und 'n Spatzenhirn, so zum Apple Store mit Abrissbirnen. So Gesichtskrapfen auf 'nem Faschingsball, so wie Ermittlungen in 'nem Wasserfall, wie mit Stummelschwanz in 'nem Hasenstall, es ist Solala, solala! Hey, sagt wie gehts Euch? Solala, solala! Und wie laufen die Geschäfte? Solala, solala! Sagt wie findet ihr uns? Solala, solala! Und wie findet ihr die andern? Solala, solala! Es ist so dicke Hose, halbes Hemd, so Autotune, Garagenband. So wie Landkreise und Hakenkreuze, so Eins mit Stern im Armutszeugnis. So verlorene Seelen im Gospelchor, so Lattenrost im Hosentor. So wie Hohes C in 'nem Opernglas, es ist Solala, solala! Es ist wie 'n Haudegen mit Seitenstechen, so kalte Füße in heißen Nächten, so wie 'n Schriftzug voller Analphabeten, so wie im Nadelwald die Palme wedeln. So wie Lachfalten in Tränensäcken, so wie Bettbezüge für Schädeldecken, so No-Brainer auf Abifahrt – Solala, solala! Hey, sagt wie gehts Euch? Solala, solala! Und wie stehn die Aktien? Solala, solala! Sagt, wie findet ihr das Wetter? Solala, solala! Und wie geht es Euch privat? Solala, solala! Wie war die Yoga Trainerin jetzt eigentlich im Bett? Solala, solala! Und sag, wie läuft's in Deinem Scheidungsprozess? Solala, solala! Ey, der Ex von Deiner Neuen, sag wie ist der drauf? Solala, solala! Wird die Nase wieder gerade, sag wie sieht es aus? Solala, solala! Wie läuft's beim Online-Poker, sag gewinnst Du jetzt? Solala, solala! Und wie schnell ist im Männerwohnheim das Internet? Solala, solala! Sag wie sind denn die Zeiten so als Rapper? Solala, solala! Und mit deinem Singsang, läuft es da besser? Solala, solala! Hey, sagt wie geht's Euch? Solala, solala! Und wie läuft's grad in der Arbeit? Solala, solala! Wie war die Party letzten Samstag? Solala, solala! Und wie läuft es so im Bett? Solala, solala! O.K., das war ja schonmal ganz außerordentlich Solala, solala! Aber jetzt brauchen wir ein ganz besonders lautes Solala, solala! Nur von den Leuten ohne Kohle, sag wie gehts Euch? Solala, solala! Und jetzt mal nur die alleinerziehenden Mütter: Solala, solala! Wo sind meine Wodka trinkenden Flatrate-Säufer? Solala, solala! Und ihre Wasser trinkenden Kumpels, die sie nachher heimfahren? Solala, solala! Und jetzt alle: Wie seht ihr Eure Chancen auf dem Arbeitsmarkt? Solala, solala! Und die Entwicklung der deutschen HipHop-Szene? Solala, solala! [Blumentopf: Wir. Virgin 2010. Textquelle: Booklet zur CD „Wir“; die orthographischen Unregelmäßigkeiten des Textes wurden beibehalten! Absatzgliederung teilweise (zwecks Isolierung der Refrain-Strophen) von mir.]
Nach vier Jahren produktiver Zurückhaltung publizierte die deutsche Hip-Hop-Band Blumentopf 2010 ihr sechstes Album „Wir“, das von der Kritik trotz seines Einfallsreichtums – sagen wir mal vorsichtig – „so lala“, d.h. mit sehr gedämpfter Begeisterung aufgenommen wurde. Die Mehrheit der Rezensenten konnte mit der musikalischen Tendenz zu rockigeren Tönen wenig anfangen und nahm das Album als Zeichen dafür, dass die alten Glanzzeiten dieser Deutschrap-Urgesteine vorbei wären. (Vgl. etwa rap.de; mit ähnlicher Tendenz: generation-one.de; plattentests.de; deutlich positiver hiphop-jam.net) Aus diesem Grundsatzstreit will ich mich heraushalten und stattdessen lediglich einen Titel näher betrachten, der mir allerdings wesentlich mehr zu bieten scheint als ein (ermüdendes) Sammelsurium von Wortspielchen: „SOLALA“.
„Solala“, offiziell vermutlich (Aber wer weiß heute noch, was gerade in der deutschen Rechtschreibung Norm ist?) eher „so lala“ zu schreiben, ist eine im Umgangsdeutsch häufige, halbherzig formulierte Antwort, vor allem auf Fragen nach dem eigenen Befinden: „Wie geht’s?“ – „So lala.“ Diese Auskunft eröffnet dem Fragesteller einen ziemlichen Interpretationsspielraum zwischen einem eher positiv gemeinten „ganz passabel“ bzw. einem neutralen „nicht besonders gut, aber auch nicht besonders schlecht“ und einem eindeutig negativ intendierten „nicht so toll“ oder „ziemlich besch-eiden“. Wiktionary führt „einigermaßen“, „grenzwertig“ und „leidlich“ als Synonyme an. Ich könnte mir auch „so halbwegs“ oder „im Großen und Ganzen erträglich“ vorstellen, wäre letztlich aber auch nicht überrascht, wenn es dem Gefragten tatsächlich „richtig mies“ ginge, er dies im Augenblick aber nicht thematisieren wollte und sich mit der Formel „so lala“ aus der Affäre gezogen hätte. Wer der Bedeutungsvielfalt von „so lala“ noch genauer nachgehen möchte, sollte zum Duden greifen; hier findet er eine riesige Palette bedeutungsähnlicher Ausdrücke, die je nach Situation zum Einsatz gebracht werden können.
Mit diesem hochgradig flexiblen Wort unserer Sprache setzt sich nun auch der im Rapstil vorgetragene Song von Blumentopf auseinander. Dass es der Band dabei nicht nur um eine linguistische Analyse geht, stand zu erwarten. Nachfolgend möchte ich zunächst nachweisen, dass der Text eine klare Makrostruktur besitzt; ferner, dass seine einzelnen Formulierungen fast immer pointierte, häufig auch witzige Wortspiele darstellen, die aber gleichwohl durch einen gar nicht so lustigen Hintersinn verbunden sind, und letztlich, dass das Ganze auch eine ernsthafte Reflexionsebene besitzt, auf die der gesamte Text direkt und indirekt reflektiert.
Der Text beginnt mit einer Refrain-Strophe, die in seinem Verlauf noch dreimal – allerdings stets variiert – wiederholt wird. Dieser achtzeilige Versblock führt die Verwendung von „solala“ anhand von vier Frage-Antwort-Sequenzen vor, die man vom konventionellen Smalltalk her kennt. Dabei zeichnet sich ab, dass Blumentopf mit einer gewissen Steigerungs-Logik operiert, die vom Unverbindlich-Allgemeinen ins Private driftet. Auch außerhalb der Refrain-Verse begegnet uns nicht selten eine ähnliche Klimax vom Konventionellen zum Intimen, Persönlichen und Verfänglichen. Parallel zu dieser ‚Steigerungs-Logik‘ findet man im Gesamttext auch eine Tendenz zur Selbstreflexivität (und zum sog. ,Überspielen der Rampe‘), die allerdings in den anderen Versblöcken deutlicher als in den Refrain-Strophen hervortritt. (Dies verweist auf den Performance-Charakter des Stückes und findet sich in ähnlicher Form auch schon in Couplets, Kabarett-Chansons und Liedermacher-Texten, d.h. überall dort, wo Künstler einen engen Kontakt zu ihrem Publikum anstreben.)
Auf die Vorstellung des Leitbegriffs „solala“ in der ersten Refrainstrophe folgt ein längerer Versblock, der Situationen, auf die man mit „solala“ referieren könnte, durch eine Reihe von Vergleichen extensional (d.h. durch Anführung von Beispielen) definiert. Diese Versgruppe ist dabei wiederum so strukturiert, dass nach einer Eingangszeile, die das Folgende ankündigt, sieben teils komisch-groteske, teils absurd-widersprüchliche Situationen benannt werden, die für „solala“-Konstellationen typisch sein sollen. Das Vergleichswort „wie“ taucht lediglich am Ende der Kette zweimal auf, ansonsten wird es ausgespart. Zum Schluss dieser Reihung erfolgt die explizite Zuordnung: „es ist / Solala, solala!“ Danach wiederholt sich dieses Spiel: Der Sprechgesang präsentiert sieben weitere Beispiele, die am Ende abermals ausdrücklich als „solala“ klassifiziert werden.
Nun folgt die erste Variation der Refrainstrophe, deren zweite Hälfte das anfangs etablierte Schema verlässt und statt der konventionellen Frage nach dem Wetter, die Beziehung zwischen Publikum und Band zum Thema macht: „Sagt wie findet ihr uns?“ Natürlich nimmt das Publikum die Steilvorlage auf und antwortet ,unhöflich‘ im Sinne des Titels mit „Solala, solala!“ Dann fragt die Band nach den „andern“, wobei nicht ganz klar ist, ob damit andere Bands oder andere Leute im Publikum gemeint sind. Letztlich ist das aber auch egal, denn das Urteil kann gar nicht anders als „Solala, solala!“ lauten.
Die zweite Langstrophe kopiert das Muster der ersten. Wieder haben wir denselben symmetrischen Aufbau (Wobei sich Blumentopf jetzt allerdings den ,Ankündigungs-Vers‘ sparen kann, man weiß ja, wie der Hase läuft!) aus je sieben Beispielen und zwei expliziten „solala“-Zuordnungen. Die Beispiele werden ein wenig ,böser‘, ,politischer‘ und – so empfinde ich es wenigstens – auch ,trauriger‘, ,schäbiger‘. Der Witz der Wortspiele bleibt den Hörern nun noch eher im Halse stecken als beim ersten langen Versblock. Die dritte Refrain-Strophe variiert die erste nur minimal, worauf ein dritter längerer Versblock einsetzt, der nun aber ein anderes Konstruktionsschema aufweist: An die Stelle der Vergleiche treten nun Frage-Antwort-Sequenzen nach dem Muster der Refrainstrophen. Allerdings sind die Fragen dieser Passage wesentlich intimer und penetranter gehalten als im Refrain, sie richten sich auch nicht mehr allgemein ans Publikum, sondern an ein konkretes Du. Statt „Sagt, wie findet ihr das Wetter?“ heißt es jetzt beispielsweise „Und sag, wie läuft’s in Deinem Scheidungsprozess?“
Die nächste Variante der Refrain-Strophe wendet sich zwar wieder ans Publikumskollektiv, nimmt aber den intim-penetranten Gestus der vorausgegangenen Langstrophe auf: „Und wie läuft es so im Bett?“ – „Solala, solala!“ Die letzte Langstrophe schließt hier gleich kommentierend an, wobei ihr erster Vers einen Witz auf Kosten der letzten Antwort produziert: „O.K., das war ja schonmal ganz außerordentlich“. Sollte das Publikum die Antwort gesungen haben, wäre diese Textstelle noch lustiger. Die Folgeverse dienen dann sämtlich dazu, mit dem Publikum spielerisch zu kommunizieren, dieses gewissermaßen mit mehr oder minder anzüglichen Fragen in den Gebrauch der Formel „solala“ einzuüben. Dass diese Frage-Antwort-Spielchen eine lustige Oberfläche, dabei aber eine weniger witzige Tiefendimension haben, wird noch genauer zu besprechen sein.
Der Text produziert in seinen ersten beiden Langstrophen Pointen in einer beachtlichen Dichte und Komplexität, so dass man ihr Potential beim erstmaligen Hören nur ansatzweise ausschöpfen kann. Ich denke, es wird genügen, hier nur einige wenige Beispiele exemplarisch aufzugreifen. Während manche Formulierungen ihre Witze nur auf einer Dimension zu konstruieren scheinen („Tee trinken auf Kaffeefahrt“, „So Brandstifter mit Wasserkopf“, „so zum Apple Store mit Abrissbirnen“), ist bei anderen auf Anhieb klar, dass sie auf mehreren Dimensionen funktionieren: „So wie Hohes C in ‘nem Opernglas“. Besprechen wir zunächst dieses Beispiel und begründen dann, warum ich mich davor mit „scheinen“ sehr vorsichtig ausgedrückt habe.
Bei „Opernglas“ denkt man zunächst an die zierlichen Ferngläser, mit denen sich das feine Publikum die Stars auch von den Rängen aus ganz nahe vors Auge holen kann; beim ,Hohen C‘ ist in Verbindung mit dem Stichwort ,Oper‘ zunächst die klangliche Assoziation da. Die Tenor-Partien im Opernrepertoire liegen üblicherweise zwischen c und a‘; was darüber liegt, gilt – seit der Belcanto-Zeit (davor mochte man die schrillen Laute weniger …) – als besonderer Leistungsausweis für Sänger, speziell das „hohe C“ ist für solche Töne prototypisch in die Umgangssprache eingegangen. Assoziiert man naheliegender Weise Ton und Fernglas, kommt das Paradox zustande, dass man mit einem optischen Instrument akustische Reize empfängt. Inwiefern dies etwas mit „solala“ zu tun habe könnte, bleibt allerdings schleierhaft. Dieses Problem lässt sich mitsamt dem Paradox auflösen, sobald man sich unter dem „Opernglas“ (entgegen der üblichen Wortbedeutung) ein Champagnerglas vorstellt und unter dem ,Hohen C‘ ein Saftgetränk; jetzt macht auch „solala“ Sinn.
Kommen wir aber noch einmal auf ein auf den ersten Blick ,harmloses‘ Wortspiel wie „Tee trinken auf Kaffeefahrt“ zurück. Eine Kaffeefahrt legt die Mitfahrenden ja nicht wirklich auf Kaffee fest, die dürfen bekanntlich trinken, was sie wollen. Insofern erscheint das Witzpotential der Formel zunächst ziemlich dürftig. Bei näherem Einlassen auf den Vers mag uns aber die im Deutschen gebräuchliche Sprachformel „Abwarten und Teetrinken“ einfallen; d.h. der Teetrinker auf der Kaffeefahrt wartet erst einmal ab. Aber was hat er zu erwarten? Mit einiger Wahrscheinlichkeit doch eine grauenhafte Verkaufsveranstaltung, bei der die – zumeist älteren Teilnehmer – mit allerlei psychologischen Tricks unter Druck gesetzt werden, zu überteuerten Preisen Produkte zu erstehen, die sie nicht benötigen. Denkt man das Wortspiel in diese Richtung weiter, gewinnt es Tiefe. Bereits am Anfang der Wortspiel-Kaskaden geben Blumentopf auf diese Weise ihrem Text auch schon eine Grundrichtung vor, die in eher marginale, schäbige, sozial schwache, problembehaftete Zonen unserer ,Spaßgesellschaft‘ führt.
Von ,Spaßfaktoren‘ – Sport, Shopping, Karneval, Stimmungsmusik, Sex etc. – ist zwar auch ständig die Rede, aber doch in Konstellationen, die den Spaß an der Sache arg reduzieren: „Gesichtskrapfen auf ‘nem Faschingsball“, „Hamsterkauf in ’nem Rattenloch“, „onanieren zu Blasmusik“, „mit Stummelschwanz in ’nem Hasenstall“ – ich denke, diese Beispiele sprechen für sich. „Solala“ wird in diesen Bezügen zum Euphemismus. Zusammenfassend könnte man festhalten, dass die in den ersten beiden Langstrophen evozierten Situationen solcher Art sind, dass man da lieber nicht involviert sein möchte. (Der Witz der einzelnen Formulierungen lässt es auch relativ leicht zu, sich diese Dinge durch Lachen vom Leibe zu halten.) Die Pointe des Gesamttextes besteht nun aber gerade darin, dass er in seinem weiteren Verlauf genau dieses Distanzierungs-Bedürfnis des Publikums durchkreuzt. Durch die Fragen, die sich in der dritten Langstrophe noch eher an die einzelnen Personen auf der Bühne, im vierten und abschließenden großen Versblock dann aber eindeutig an das Publikum richten, wird dieses subversiv in die ,schäbige Welt‘ einbezogen bzw. zu empathischen Gefühlen für diese Sozialsphäre genötigt, selbst wenn es ihr nicht wirklich angehört.
In gewisser Weise spaltet diese rhetorische Verfahrensweise den einzelnen Zuhörer: Einerseits kann er die Situation als artifizielles Rap-Stück wahrnehmen, sich unterhalten lassen und über die vorgetragenen Einfälle lachen, andererseits fühlt er sich aber wahrscheinlich auch ein Stück weit genötigt, unangenehme Realitätsreferenzen wahrzunehmen, die vermutlich auch Teile des Publikums, vielleicht sogar ihn selber betreffen.
Hans-Peter Ecker, Bamberg