Wir fahrn fahrn fahrn mit Iggy und David mal Bahn. Zu Kraftwerks „Trans Europa Express“
1. April 2013 Hinterlasse einen Kommentar
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Kraftwerk Trans Europa Express Trans Europa Express Trans Europa Express Trans Europa Express Trans Europa Express Rendezvous auf den Champs-Elysées. Verlass Paris am Morgen mit dem T.E.E. Trans Europa Express Trans Europa Express Trans Europa Express Trans Europa Express In Wien sitzen wir im Nachtcafé. Direktverbindung, T.E.E. Trans Europa Express Trans Europa Express Trans Europa Express Trans-Europa Express Wir laufen ein in Düsseldorf City. Und treffen Iggy Pop und David Bowie. [Kraftwerk: Trans Europa Express. Kling Klang 1977.]
Kürzlich bestätigte Iggy Pops Freundin aus seinen Berliner Jahren, Esther Friedmann, gegenüber dem Zeit-Magazin, dass The Passenger eine „Hymne auf die Berliner S-Bahn“ sei: „Jim hat fast jeden Tag einen Ausflug mit der S-Bahn gemacht. Die Fahrten haben ihn zu dem Song inspiriert, insbesondere die Strecke raus zum Wannsee.“ (Zeit-Magazin vom 21.2.2013, S.30). Das international wohl berühmteste Lied über den deutschen Schienenverkehr ist also ein englischsprachiges.
Freilich gibt es auch sehr bekannte deutsche Lieder zum Thema. Auf der schwäbsche Eisebahne zum Beispiel (hier vorgetragen von Gotthilf Fischer), Es fährt ein Zug nach nirgendwo (1972) von Christian Anders, Udo Lindenbergs Sonderzug nach Pankow (1983), oder meinetwegen auch den – zumindest, was den von Duck Sauce gesampelten Musikteil anbelangt – in den letzten Jahren doch auch wieder recht bekannt gewordenen Schlager Hallo Bimmel-Bahn von Nightrain. Der berühmteste deutsche (und auch in einer englischsprachigen Version produzierte) Song über den (europäischen) Schienenverkehr stammt aber von Kraftwerk (zur englischsprachige Version lässt sich hier das Originalvideo sehen).
Die Trans-Europ-Express-Züge fuhren von 1957 bis 1988 u.a. vom Frankfurter Hauptbahnhof nach Paris Gare de l´Est (Zugname Goethe I), von Kopenhagen nach Stuttgart (Merkur), von Amsterdam nach Genf (Rheingold) oder von Mailand nach Neapel (Vesuvio). Dann wurden sie durch den sogenannten EuroCity-Standard abgelöst. Ein filmisches Denkmal ist der Zugreihe durch Alain Robe-Grillets gleichnamigen Thriller gesetzt (1966), auch Norbert Schillings Rheingold erzählt vom Mord im Express (1977). Die letztlich wesentlich bedeutendere musikalische Würdigung lieferten aber Kraftwerk mit Album und Single von 1977: Trans Europa Express gilt vielen Rezensenten als das Beste (vgl. etwa The Telegraph vom 9.2.2013), was die „wichtigste deutsche Band der Pophistorie“ (hier zitiert aus einem Text auf der Internetseite ihrer Heimatstadt Düsseldorf) je fabriziert hat.
Über Kraftwerk ist schon viel Schlaues geschrieben worden. Inzwischen sind sie ja im New Yorker MoMA angekommen (man beachte hierzu etwa einen Beitrag von Diederich Diedrichsen in der Zeit aus dem Jahr 2007) und spielten erst vor ein paar Wochen wieder in der Londoner Tate Modern. Entsprechend findet man nun über sie massenhaft Sätze wie: „Bezüge zu Künstlern der europäischen Avantgarde wie Kandinsky, Malewitsch oder Mondrian, zum Konstruktivismus und Minimalismus, sind bei Kraftwerk unübersehbar.“ (zitiert aus einem Artikel von 2012, nachzulesen auf kunstsammlung.de). Oder: „Die Konstruktivisten/innen der Bauhaus-Ära, insbesondere der russische Grafikdesigner und Architekt El Lissitzky sowie der Hauslyriker des russischen Futurismus, Wladimir Wladimirowitsch Majakowski, dienten der Band als Inspirationsquellen.“ (Artikel von 2010 auf fluter.de). Kraftwerk sind endgültig kanonisiert und der Hochkultur zugeschlagen worden. Umso interessanter erscheinen demgegenüber freilich kritischere Rezensionen aus ihrer produktiven Phase. Wie etwa jener Spiegel-Artikel, wonach es sich bei ihrer Musik um „einfache Blubber- und Piep-Rhythmen“, „schlichte Melodien zum raschen Verzehr in Fahrstuhl und Disco“ und „Futuristenkitsch“ (Spiegel vom 8.6.1981) gehandelt habe.
Wenn heute die Bedeutung der mittlerweile als „Beatles der elektronischen Musik“ (vgl. Artikel in der New York Times vom 15.6.1997) Geadelten betont wird, geht es vor allem um konzeptionelle und klangliche Innovationen. Sie präsentierten sich eben nicht als klassische Band à la Beatles, sondern pflegten ihr Image als unnahbare „Musikarbeiter“. Und sie beeinflussten einen Haufen nachfolgender Musiker. Zu Trans Europa Express heißt es etwa, es habe den Hip-Hop geprägt, was im Wesentlichen darauf beruht, dass Afrika Bambaataa daraus sein Planet Rock bastelte. Qualität und „Minimalismus“ der Texte werden meist erst an vierter oder fünfter Stelle thematisiert.
Der Text von Trans Europa Express besteht im Wesentlichen aus der monotonen Wiederholung des Zugnamens. Man könnte sagen: Jahrzehnte bevor die Bahn (gut abgekupfert) Werbung mit Marusha machte (vgl. DB-Werbung aus dem Jahr 1999), priesen Kraftwerk mit Nachdruck die europäische Marke. Sie schufen damit zwischen Autobahn (1974) und Tour de France (1983) eines ihrer großen Loblieder auf die Mobilität. Zum Stichwort „Futuristenkitsch“ ist freilich anzumerken, dass der T.E.E. zu dieser Zeit keineswegs mehr zu den technischen Wunderwerken an der Speerspitze des Fortschritts zählte. Mittlerweile hatte sich der Eisenbahnunfall von Aitrang (1971) ereignet und waren zahlreiche Verbindungen als unrentabel gestrichen worden, die veralteten Züge wurden sukzessive durch InterCitys ersetzt. Ähnlich wie bei Autobahn, das einige Monate nach der zweiten Ölkrise und den autofreien Sonntagen erschien, wurde bei Trans Europa Express etwas gefeiert, das seine beste Zeit offensichtlich schon hinter sich hatte.
In den „Strophen“ des Liedes erhält der Hörer im Telegramm-Stil Reiseauskünfte, die auf Fahrten in den Zügen Molière (von Paris nach Köln) und Prinz Eugen II (von Wien nach Köln) schließen lassen. Kurz und bündig geht es um stereotype Szenen, die als solche recht leicht zu konsumieren und mit eigenen Vorstellungen zu vereinen sind. In Paris traf man sich zum „Rendevous auf den Champs-Elysées“, in Wien saß man im „Nachtcafé“. Man tat also das, was man in den beiden europäischen Haupt- und Kulturstädten eben typischerweise (als Tourist) so tut. Hier ist kein Unterschied mehr erkennbar zwischen – wie es in der Eröffnung des Albums durch Europa Endlos vorformuliert heißt – „Wirklichkeit und Postkartenbilder[n]“.
Europa Endlos kann gänzlich als erklärender Nebentext zu Trans Europa Express gelesen werden, bzw. als die beschriebene Seite der Postkarte. Man bekommt darin zusätzliche Auskünfte über Aufenthalte in Metropolen, wo sich „Parks, Paläste und Hotels“ befinden. Man bekommt weitere Stereotype zu Paris und Wien, nämlich „Eleganz und Dekadenz“. Man bekommt auch einige Eindrücke von der Fahrt, bei der „Flüße, Berge, Wälder“ vorbeiziehen.
In Trans Europa Express ist die Bahnfahrt auf das Verlassen des fernen Bahnhofs, die „Direktverbindung“ und das Einlaufen in der Heimat reduziert. Die letzte Strophe nimmt dann allerdings auch Bezug auf den künstlerischen Austausch von Ralf Hütter und Florian Schneider mit Iggy Pop und David Bowie. Bowies Album Station to Station (1976) gilt als wesentlich durch den Krautrock von Can, Neu! oder eben Kraftwerk geprägt; es inspirierte wiederum Trans Europa Express. Zwischen Düsseldorf und Berlin hat man sich Ende der 1970er gegenseitig beeinflusst und zusammen Musik aufgenommen. Gerüchten zufolge haben sich die Musik- und Zug-Nerds dabei auch angeregt über Anschlusstickets, Antriebstypen und Trassenführungen unterhalten.
Martin Kraus, Bamberg