Ode an den Schlager. Zu „Nana Mouskouri“ von Funny van Dannen
1. Oktober 2012 Hinterlasse einen Kommentar
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Funny van Dannen Nana Mouskouri Es ist heute nicht leicht, durch das Leben zu geh'n Überall scheint das Glück schon zerbrochen Es gibt viele, die werden hart und brutal Wie zum Beispiel mein alter Freund Jochen Er ist mittendrin im Immobiliengeschäft Und er sagt, dass er schnell ist und gut Und er sagt:"Für Gefühle hab ich keine Zeit." Doch ich sage: "Du lügst, tut mir leid." Gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert Ich hab' dich gesehen, mein Freund Gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert Ich war auch da und du hast geweint Es ist heute nicht leicht, durch das Leben zu geh'n Viele lernen Karate und Judo Das ist nicht verkehrt in der Zeit der Gewalt Gestern traf ich meinen Vetter Udo Er ist Fußballprofi, er kennt alle Tricks Und ich weiß, dass er schnell ist und gut Und er sagt:"Für Gefühle hab ich keine Zeit." Doch ich sage: "Du lügst, tut mir leid." Gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert Ich hab' dich gesehen mein Freund Gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert Ich war auch da und du hast geweint Auch Angelika traf ich, es war letzte Nacht Sie sah gut aus, verdammt elegant Sie war in Begleitung, ein reizender Kerl Sie staunte, dass ich immer noch singe Und sie sagte, dass ihr die Musik nichts mehr gibt Jetzt zählen für sie andere Dinge Doch auch sie war im Nana-Mouskouri-Konzert Ich sah sie am Bühnenrand stehen Obwohl ich an dem Abend eine dunkle Brille trug Hab ich sie ganz genau gesehen Gib es zu, gib es zu, gib es zu, gib es zu Gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert Ich hab' dich gesehen, mein Freund Gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert Ich war auch da und du hast geweint [Funny van Dannen: Clubsongs. Trikont 1995.]
Das, was man nach Luhmann „Selbstreferenzialität der Medien“ nennen mag, begegnet uns ständig: Journalisten kritisieren journalistische Arbeitsweisen, Autoren schreiben Satiren auf den Literaturbetrieb, Filmemacher drehen Remakes ihre Lieblingsfilme, Schauspieler interviewen sich auf der Bühne gegenseitig zu ihren größten Erfolgen, Moderatoren „crosspromoten“ beieinander ihre jeweiligen Talkshows etc. Das langweilt oft. Mitunter kann es aber auch interessant werden, zum Beispiel wenn der Liedermacher Funny van Dannen auf seinem Debütalbum Clubsongs (1995) ein nach Schlagerstar Nana Mouskouri benanntes Lied singt. Erzählt wird darin von zweimal drei Begegnungen: In den Strophen sind es die alltäglichen Aufeinandertreffen mit „Jochen“, „Udo“ und „Angelika“; drei Menschen unserer Gesellschaft, die das Sprecher-Ich laut Refrain zuvor schon in einer ganz anderen Situation gesehen hatte, nämlich bei einem Konzert eben jener Sängerin.
Im Alltag stellt man fest, es sei „heute nicht leicht durch das Leben zu gehen“. Dieser Grundtenor bestimmt die skizzierten Smalltalks. Man trifft sich, man tauscht Oberflächlichkeiten aus und findet Gemeinplätze über die Härten des Lebens: „überall scheint das Glück schon zerbrochen“. In der heutigen „Zeit der Gewalt“ sei es wirklich „nicht leicht durch das Leben zu gehen“. Man werde „hart und brutal“ in einem sozialen Klima, in dem man bestenfalls „schnell ist und gut“. Jochen ist im Immobiliengeschäft, Udo ist ein Fussballprofi. Da geht es um dreckige Machenschaften und um Erfolg, den man in Geld misst. Hauptsache ist, man „kennt alle Tricks“. Das ist die kalte Leistungsgesellschaft, in der jeder schauen muss, wo er bleibt, in der es vermeintlich jedem an Zeit fehlt, zumindest an Zeit „für Gefühle“.
Als Gegenwelt zu diesem erbarmungslosen Alltag wird ein musikalischer Abend inszeniert. Auf all das, was über das besagt harte Leben vorgebracht wird, antwortet das Sprecher-Ich mit einem Verweis auf Nana Mouskouris Konzert. Zwar behauptet Angelika, dass ihr „die Musik nichts mehr gibt“, doch war auch sie dort und hat – ebenso wie die beiden Männer Jochen und Udo – vor Rührung geweint. In einem sozialen Umfeld, in dem es erstaunt, wenn jemand noch musiziert, verheimlicht man solche Gefühlsausbrüche natürlich. Selbst das Sprecher-Ich, das, weil es eben singt, doch eigentlich die Rolle des hoffnungslosen Romantikers ausfüllt, trug am besungenen Abend „eine dunkle Brille“. Sein Aufruf, offen dazu zu stehen, mag entsprechend auch ein wenig Selbstbefreiung sein: Geben wir es alle miteinander zu. „Ich habe dich gesehen, mein Freund“ klingt einerseits wie „Sie wurden überführt, Sie Schlawiner“; „mein Freund“ kann man aber durchaus auch wörtlicher verstanden werden – ein bisschen so, als ob der Zauber der Musik alle Menschen Brüder werden lässt.
Nana Mouskouri ist nicht irgendeine Sängerin: Die „ewiggleiche Griechin“ (Rainer Moritz: Und das Meer singt ein Lied. Hamburg: mare 2004, S. 25) steht für Jahrzehnte voller eingängig vertonter Emotionen. In Deutschland berühmt wurde sie durch Weiße Rosen aus Athen (1961), ein Lied über Heimweh, Meer und zärtliche Erinnerung. Ihre unzähligen Folgehits hießen dann etwa Was in Athen geschah… (klingt wie ein Märchen) (1962), Sieben schwarze Rosen (1975), Liebe lebt (1981) und Aber die Liebe bleibt (Only Love) (1987); ihre Alben trugen u. a. die beinahe programmatischen Titel Die Welt ist voll Licht (1976), Glück ist wie ein Schmetterling (1978), Vergiß die Freude nicht (1984)oder eben auch Konzert der Gefühle (1988). Diese „Schmalz-Drosel“ (so bezeichnet im Spiegel 1997 in einem sehr lesenswerten Artikel über Funny van Dannen) verkaufte weltweit viele Millionen Platten, sie gilt folglich als kommerziell zweiterfolgreichste Musikerin nach Madonna (vgl. etwa Welt online). Doch anders als die „Queen of Pop“ war die „Schlagerkönigin“ nie gestylte Modepuppe, anders als die kühl wirkende Diva sprach Mouskouri ihr breites Publikum beständig mit warmherzigem Schlager an.
Was Schlagermusik ausmacht, wurde und wird verschiedentlich definiert. Vielen Beschreibung gemeinsam ist jedoch, dass der Schlagerbegriff nicht mehr nur auf den kommerziellen Erfolg des Musikstückes bezogen wird, sondern auf meist „deutschsprachige und leicht eingängige Unterhaltungsmusik“ (Oliver Bekermann: „Wunder gibt es immer wieder“. Eine Untersuchung zur gegenseitigen Abhängigkeit von Alltagskommunikation und Deutschem Schlager. Norderstedt: Books on Demand 2007, S. 15), die „die Menschen erfreuen und normalerweise wenig problembehaftete Inhalte transportieren soll“ (ebd.). Es geht es um Texte, „die sehr stark die Gefühlsebene der Rezipienten ansprechen, wie das Glücks- oder Harmonieverlangen“ (ebd.); um Musik, die eine Hörer „mitten in seinen Gefühlskern trifft“ (ebd.). Der „Warencharakter als Produkt für einen saisonalen Markt“ (André Port le Roi: Schlager lügen nicht. Essen: Klartext 1998, S. 9) rückt bei Funny van Dannens Nana Mouskouri eindeutig in den Hintergrund, nicht jedoch der Aspekt, dass Schlager peinlich ist. Einerseits wird der Eskapismus mittels Musik gefeiert, andererseits eben diese Peinlichkeit hochgenommen.
Der Spiegel schrieb einmal, van Dannen „verspottet auf liebevolle Weise“ (Der Spiegel). Tatsächlich kann hier kaum mehr zwischen zärtlicher Ironie und bedächtigem Pathos unterschieden werden. Hans-Peter Ecker schrieb neulich über den Trost, den van Dannens Lieder spenden können. Das deckt sich mit dem durch den Künstler einmal artikulierten und in Nana Mouskouri verhandelten Anspruch, Kunst solle „den Menschen neue Energien geben“ (ebd.) – es entspricht letztlich auch der Wirkung dieses Liedes. Es erscheint mitunter wirklich „nicht leicht durch das Leben zu gehen“, ein bisschen Besserung verschafft uns vielleicht die Musik, sei es seichte Schlagermusik oder eben die hintersinnige von Funny van Dannen.
Martin Kraus, Bamberg