Kirchenlieder aus dem Reformationsjahrhundert – Martin Luther: „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“
13. August 2012 1 Kommentar
–
Martin Luther Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort und steure deiner Feinde Mord, die Jesus Christus, deinen Sohn, wollen stürzen von deinem Thron. Beweis dein Macht, Herr Jesu Christ, der du Herr aller Herren bist, beschirm dein arme Christenheit, dass sie dich lob in Ewigkeit. Gott Heilger Geist, du Tröster wert, gib deim Volk einerlei Sinn auf Erd, steh bei uns in der letzten Not, g’leit uns ins Leben aus dem Tod.
Dieses Lied hat eine bewegte Geschichte. Es war seit seiner ersten Veröffentlichung umstritten und wurde ebenso überzeugt gesungen wie bekämpft, sein Text wurde 400 Jahre lang immer wieder gekürzt oder erweitert und die erste seiner drei Strophen wurde so häufig verändert, wie wir es von nur wenigen anderen Lutherliedern kennen.
Betrachten wir zunächst die heutige Fassung. Die drei Strophen sprechen die Dreifaltigkeit an, und schon Luthers Zeitgenossen erkannten, dass auch die Bitten systematisch angeordnet sind: Sie entsprechen den drei ersten Bitten des Vaterunsers. Die erste Strophe umschreibt also, an Gott den Vater gerichtet, die Bitte „Geheiligt werde dein Name“.
Die zweite Strophe wendet sich an Gott den Sohn und bittet, „Dein Reich komme“. Sie beschreibt, wie dieses Reich auf der Erde aussehen soll: Christus regiert als Herr aller Herren und schützt seine Kirche. Nur so kann sie überleben.
An den Heiligen Geist ist die dritte Bitte gerichtet: „Dein Wille geschehe“. Was der Wille Gottes ist, das konkretisiert die dritte Strophe. Einheit der Kirche und Einigkeit der Glaubenden: So, wie das Lied heute in den Gesangbüchern steht, erregt es keinen Anstoß. Das war einmal ganz anders. Luther hatte nämlich die zweite Zeile der ersten Strophe nicht so formuliert, wie wir sie heute kennen, sondern er hatte geschrieben: „und stewr des Babsts vnd Türcken mort.“ Und als Überschrift hatte er darüber gesetzt: „Ein kinderlied, zu singen wider die zween Ertzfeinde Christi vnd seiner heiligen Kirchen, den Bapst vnd Türcken“. Das machte das Lied zu einem Kampflied der Lutheraner nicht nur gegen den Reichsfeind, die Türken, sondern auch gegen die Katholiken.
1541 hatte ein neuer Angriff der Türken auf Mitteleuropa begonnen. Das kaiserliche Heer wurde bei Ofen (heute Budapest) geschlagen, die kaiserliche Flotte bei Algier durch einen Sturm zerstört und im Sommer 1542 verbündete sich auch noch der französische König mit den Türken gegen den Kaiser und es verbreitete sich das Gerücht, dass der Papst sich diesem Bündnis anschließen wolle, um den Kaiser unter Druck zu setzen.
In dieser Lage wies Kurfürst Johann Friedrich Martin Luther an, die Gemeinden zum Gebet gegen die Türken anzuhalten, und Luther verfasste zwei neue Schriften zu diesem Thema und schrieb noch im selben Jahr dieses Lied. Schon in seiner Türkenschrift von 1529 hatte er Türken und Papst als gemeinsame Feinde des Reiches und des recht verstandenen Evangeliums bekämpft. Diesen Gedanken nahm er nun wieder auf.
Mit dem neuen Lied, das in zahlreichen Gemeinden künftig an jedem Sonntag nach der Predigt durch die Chorknaben (daher „kinderlied“) oder nach dem Gottesdienst durch die ganze Gemeinde gesungen wurde, kam die Formel von den Erzfeinden nun ‚in aller Mund‘. Das wiederum erregte den Groll der Katholiken und löste in ganz Deutschland katholische Umdichtungen gegen die ketzerischen Lutheraner, aber auch zahlreiche Verbote und Veränderungen aus.
Die freie Reichsstadt Nürnberg beispielsweise war evangelisch. Als nun ein Besuch des Kaisers bevorstand, der ja katholisch war, verbot der Rat der Stadt vorbeugend bis auf weiteres, ‚Erhalt uns Herr bei deinem Wort‘ in jedem Gottesdienst, also dreimal täglich zu singen, sondern genehmigte das Lied nur noch für die Frühgottesdienste. 1548 veranlasste er dann auch noch die Änderung der ersten Strophe. Seitdem lautete die Ärgernis erregende Zeile in Nürnberg und bald auch in vielen anderen evangelischen Gesangbüchern „vnd wehr des Sathans list und mord“.
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in den deutschen Kirchen mehrere Dutzend unterschiedlicher Fassungen dieser umstrittenen Zeile. In Bayern ist die heutige Fassung des EG seit dem ersten Landesgesangbuch von 1814, also seit fast 200 Jahren im Gebrauch. Schließlich war der König katholisch!
Die Auseinandersetzungen darüber, ob man die Stelle überhaupt verändern dürfe, haben noch 1854 den ersten deutschen evangelischen Gesangbuchausschuss gespalten und hätten fast das erste evangelische Einheitsgesangbuch für Deutschland verhindert.
Unser Lied ist in vielen alten Gesangbüchern dem Reformationsfest zugeordnet. Dieser Tag wurde ja früher in vielen Teilen der evangelischen Kirche als trotziges „Wir haben recht-Fest“ begangen, zu dem die Erinnerung an die ursprünglich aggressive, antikatholische Fassung der ersten Strophe gut passte. Der geänderte Text der ersten und die Bitten der dritten Strophe machen es aber auch heute noch zu einem guten Griff für einen Reformationsgottesdienst – schon, um dafür zu danken, was der Herr aller Herren als Antwort auf die zweite Strophe unseres Liedes in unserem Denken in den vergangenen 470 Jahren geändert hat.
Andreas Wittenberg, Bamberg
Pingback: Körperlichkeit und Konsumgenuss in Adaptionen von Luthers „Erhalt uns Herr, bey Deinem Wort“ | Deutsche Lieder. Bamberger Anthologie