Berufsbild Spielerfrau. Wencke Myhre: „Er steht im Tor“ (Text: Peter Zeeden)
18. Juni 2012 1 Kommentar
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Wencke Myhre (Text: Peter Zeeden) Er steht im Tor Er steht im Tor, im Tor, im Tor und ich dahinter Frühling, Sommer, Herbst und Winter bin ich nah bei meinem Schatz auf dem Fußballplatz. Ich hab mich im Leben nie für Fußball interessiert aber im April, da ist es passiert da hat mich im Mondenschein ein junger Mann geküsst und nun weiß ich was sein Hobby ist Sie hat sich im Leben nie aus Fußball was gemacht aber er hat ihr alles beigebracht Ich kenn alle Fußballregeln und bin obendrein heute das Maskottchen vom Verein Er steht im Tor, im Tor, im Tor und ich dahinter mag es regnen, mag es schnein er ist nie im Tor allein Er steht davor, davor, davor und ich dahinter Frühling, Sommer, Herbst und Winter bin ich nah bei meinem Schatz auf dem Fußballplatz Ich drück ihm die Daumen, alles andre, das macht er jedem Gegner macht er das Leben schwer Kopfball und Elfmeter sind für ihn nur Spielerei denn sein guter Engel ist dabei Vitamine, Traubenzucker so was braucht er nicht anstatt dessen schaut sie ihm ins Gesicht Hält er dann die Bomben und der Gegner, der bricht ein krieg ich rote Rosen vom Verein Er steht im Tor […] La la la la la la la la la la la la la la La la la la la la la la la la la la Er steht davor, davor, davor und ich dahinter Frühling, Sommer, Herbst und Winter bin ich nah bei meinem Schatz auf dem Fußballplatz [Wenke Myhre: Er steht im Tor. Polydor 1969.]
Lange bevor Spielerfrauen bzw. WAGs (wives and girlfriends) zum festen Bestandteil der Sportberichterstattung wurden, lieferte Wenke Myhre eine Beschreibung dieses Berufsbilds. Bemerkenswert ist daran zunächst, dass die Geschichte im Amateurfußball spielt – Fußball ist ausdrücklich nur das Hobby des jungen Mannes, auch wenn er diesem durchaus ambitioniert nachzugehen scheint. Für die Wirkung des Liedes ist das insofern von Bedeutung, als sich das Verhalten des (mutmaßlich weiblichen) Sprecher-Ichs so nicht finanziell motivieren lässt – weder unterstützt sie ihren Partner moralisch beim Geldverdienen noch kann sie sich von ihrer Rolle so große öffentliche Aufmerksamkeit versprechen, dass sich darauf eine eigene Karriere (etwa als Schmuckdesignerin) aufbauen ließe. Diese selbstverständliche Selbstlosigkeit, mit der die an Fußball eigentlich Desinteressierte eigene Bedürfnisse (wofür sie sich interessiert hat, bevor sie ihren Freund getroffen hat, erfährt man gar nicht erst) hinter die des Partners zurückstellt, macht den Text – zumindest für heutige Rezipienten – so befremdend.
Das Sprecher-Ich präsentiert sich als naive junge Frau, deren Vorstellungen von Romantik den gängigen Bildern von Liebesromanen oder Filmen entlehnt sein könnten: Der Archaismus „Mondenschein“ markiert, dass es sich nicht um ihre eigene Sprache handelt. Selbstverständlich hat sie sich, ganz den Geschlechterbildern entsprechend, nicht für Fußball interessiert und scheint umso stolzer darauf zu sein, von ihrem Freund alle Fußballregeln gelernt und außerdem als Maskottchen noch eine Funktion bekommen zu haben, die traditionell Tiere erfüllen. Die Passivität ihrer Rolle ist ihr dabei durchaus bewusst, wie die Zeile „Ich drück ihm die Daumen, alles andre das macht er“ zeigt.
Nun läge es nahe, in diesem Lied eine weitere Bestätigung der verbreiteten Vorstellung vom Schlager als Medium reaktionärer Ideologie, auch und im Besonderen in Geschlechterfragen, zu sehen, denn das Sprecher-Ich affirmiert seine Rolle offenkundig, wie auch der fröhliche Gesang betont. Es ist jedoch fraglich, ob dies dem Text gerecht würde. Denn eine solche Lesart erscheint nur dann schlüssig, wenn man den Text aufgrund der Zugehörigkeit des Liedes zum Genre Schlager von vornherein als oberflächlich einstuft, ihm also keine über den bloßen Literalsinn hinausgehende Bedeutung zugesteht. Liest man ihn jedoch metaphorisch, so erscheint er gar nicht mehr so eindeutig unkritisch. Denn die zentrale räumliche Metapher, die Stellung von Mann und Frau, widerspricht dem Glauben des Sprecher-Ichs, dazuzugehören: Hinter dem Tor zu stehen bedeutet eben außerhalb des Spielfeldes zu sein – auf dem Fußballplatz steht nur ihr Freund. Diese Divergenz zwischen Selbstwahrnehmung und tatsächlicher Situation findet ihre formale Entsprechung im syntaktisch ambivalenten „auf dem Fußballplatz“: Sie glaubt, gemeinsam mit ihrem Freund auf dem Fußballplatz zu sein, während aber tatsächlich nur er sich darauf aufhält.
Lässt man die Möglichkeit einer übertragenen Bedeutung des Textes zu, so liegt es nahe, Fußball hier als Allegorie des gesellschaftlichen Lebens im Allgemeinen zu sehen und die wörtlich genommene Stellung der Frau als Spiegelbild ihrer gesellschaftlichen Stellung. Der verbreitete Satz, hinter jedem erfolgreichen Mann stehe eine starke Frau, wird hier wörtlich genommen und damit zur Kenntlichkeit entstellt: Denn sie ist ihrem Mann zwar nah, wird aber durch ein Netz daran gehindert, seine Position einzunehmen. Das Sprecher-Ich fällt auf genau jene die Zurückstellung eigener Ambitionen begründende Suggestion herein, die in der Rede von der starken Frau hinter dem erfolgreichen Mann vermittelt wird: dass man, indem man dem Mann ‚den Rücken freihält‘, an seinen beruflichen Erfolgen – in der allegorischen Lesart steht das Hobby für den Beruf – teilhabe und also keine eigenen mehr anstreben müsse.
Dabei nimmt das Sprecher-Ich nicht wahr, dass es längst der putzigen Lächerlichkeit preisgegeben ist und dass die roten Rosen, die es vom Verein bei guten Leistungen ihres Freundes erhält (bei der EM 1980 erhielten die Spieler neben einer Siegprämie immerhin auch einen Juweliergutschein über 2.500 Mark für ihre Frauen), wertlos sind, da sie ihre Bedeutung ja erst als Liebessymbol erhalten und dies nur dann, wenn sie der geliebte Mensch selbst verschenkt. Dessen ganze Liebe gilt aber offenbar seinem Beruf, bzw. den Kollegen. In der Vorstellung des Sprecher-Ichs, dass er ohne es hinter sich allein sei, kommt dessen ganze Fehleinschätzung der Situation zum Ausdruck, weiß man doch, dass Fußballer gute Freunde sind, die niemand trennen kann und die entsprechend ohnehin nie allein sind.
Martin Rehfeldt, Bamberg
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