Not Looking for a New Switzerland. Zu „Freundin“ von Die Aeronauten
13. Februar 2012 2 Kommentare
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Die Aeronauten Freundin Meine Freunde sagen mir, ich solle mit ihnen gehen. Sie schlagen die Faschisten und ficken das System. Sie schreiben überall Sachen an die Wand, sie hören Musik aus dem Baskenland. Doch ich möchte eine Freundin, ich möchte lieber ein Mädchen kennen lernen. Ich möchte eine Freundin, ich möchte lieber ein Mädchen kennen lernen. Die Band steht in der Ecke und sie spielen wieder Punkrock gegen den Klassenfeind und für den revolutionären Block. Die anderen hängen auf dem Fenstersims und warten weiter auf die Naziskins. Doch ich möchte eine Freundin, ich möchte lieber ein Mädchen kennen lernen. Yeah, yeah, yeah. Yeah, yeah, yeah. Ich möchte eine Freundin, ich möchte lieber ein Mädchen kennen lernen. Ich ging nach Haus und die Naziskins schlugen mich flach. Sie traten mir in die Fresse und einer von ihnen sprach: „Es wohnt keine Tugend mehr in meinem Herz, es drängt mich ein sehr seltsamer Schmerz. Ich möchte eine Freundin, ich möchte lieber ein Mädchen kennen lernen. Ich möchte eine Freundin, ich möchte lieber ein Mädchen kennen lernen.“ [Die Aeronauten: Gegen Alles. Tom Produkt 1995.]
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„I don’t want to change the world. / I’m not looking for a new England. / I’m just looking for another girl“, sang Billy Bragg bereits 1983 in A New England auf seinem Debutalbum. In den Strophen seines Liedes spricht das Ich dann, anders als die allgemeine Formulierung „another girl“ vermuten lässt, eine konkrete geliebte Frau an. In der Variation des Themas ‚Politik vs. Liebe‘ durch die Schweizer Indierockband Die Aeronauten hingegen bleibt der Wunsch nach einer Freundin tatsächlich ganz abstrakt: „Ich möchte lieber eine Freundin, / ich möchte lieber ein Mädchen kennen lernen.“ Konkreter als bei Bragg hingegen wird geschildert, was das Sprecher-Ich nicht tun möchte: das nämlich, was seine Freunde aus der linken Szene tun. Seine Befremdung über Praktiken wie das Sprühen von Parolen und die Solidarisierung mit Minderheiten mittels Musikkonsum kommt besonders deutlich in der Formulierung „Sie schreiben überall Sachen an die Wand“ zum Ausdruck: „[Ü]berall“ betont genervt das Notorische des entsprechenden Tuns und „Sachen“ das Desinteresse des Ichs am konkreten Inhalt der Graffitis. Mit einem ethnologisch-distanzierten Blick registriert es lediglich die Tätigkeit als solche. Statt mit seinen Freunden möchte das Ich lieber mit einem Mädchen gehen, und ficken möchte es nicht das System.
Angesichts dieser Ausgangssituation verwundert es, dass das Ich in der zweiten Strophe dann offensichtlich doch mit seinen Freunden mitgegangen ist, wenn auch nicht im übertragenen Sinne des ‚Seit an Seit Schreitens‘, sondern nur ganz wörtlich zum Konzert ins Autonome Jugendzentrum. Doch dort herrscht statt revolutionärem Furor Tristesse: Die Band spielt – „wieder“, wie das Sprecher-Ich betont, – den Soundtrack einer Rebellion, die nicht stattfindet, und muss dies ausgerechnet an dem Ort tun, an den in der schwarzen Pädagogik das aufmüpfige Kind gestellt wird: in der Ecke. Auch die Freunde des Ichs scheinen sich nicht für die Musik begeistern zu könne: Statt zu tanzen oder sich, den Aufforderungen der Band folgend, als revolutionärer Block zu einer Spontandemonstration zusammenzutun, nehmen sie die vielkarikierte Pose des beschäftigungslosen Rentners ein, der auf der Fensterbank lehnt und nach Ordnungsstörern Ausschau hält. Wie dieser die Normübertretung sehnen die Besucher des Konzerts offenbar einen Angriff des politischen Gegners herbei, damit sie endlich einmal tatsächlich „die Faschisten schlagen“ können. Bei diesen scheint es sich jedoch, so der entstehende Eindruck, eher um eine imaginierte denn um eine reale Bedrohung zu handeln; das Bild des Boneheads mit nassrasiertem Kopf, Domestosjeans, Bomberjacke und Springerstiefeln scheint eher den Medienberichten der 1990er Jahre entnommen (in denen häufig nur allgemein von „Skinheads“ die Rede war), als der Alltagserfahrung – andernfalls würde ein solcher Angriff wohl kaum erhofft.
So zeichnet die zweite Strophe das Bild einer Gruppe Jugendlicher/junger Erwachsener, die sich als Klassenkämpfer und Politaktivisten wahrnehmen, ohne etwas anderes zu tun als unpolitische Jugendliche auch: gelangweilt in einer dafür bestimmten Lokalität herumzuhängen.
Dieses Bild ändert sich mit dem Beginn der dritten Strophe. Denn dort erweisen sich die vermeintlich nur zur Bestätigung der eigenen Kampfbereitschaft herbeifantasierten Naziskins als ganz reale Bedrohung – ausgerechnet für das Sprecher-Ich, das ja gar nicht am antifaschistischen Kampf seiner Freunde teilnehmen wollte.
Die nächste Überraschung folgt, als einer der Naziskins nun seinerseits den Wunsch nach einer Freundin äußert – eingeleitet von der irritierend archaisierenden Formulierung „Es wohnt keine Hoffnung mehr in meinem Herz, / es drängt mich ein seltsamer Schmerz.“ Welche Hoffnung ist ihm verlorengegangen? Die auf eine nationale Revolution? Oder die, eine Freundin zu finden? Und was ist der Grund für den seltsamen Schmerz? Ihm bis dahin unbekannter Liebeskummer? Das Eingeständnis eines Bedürfnisses nach Nähe, das sich nicht ins Straßenkämpferselbstbild integrieren lässt? Findet er keine Freundin, weil er Nazi ist? Oder ist er Nazi, weil er keine Freundin findet? Und ist das Äußern seines Schmerzes Ausdruck von Resignation, die ihn bei seinen Nazi-Freunden bleiben lässt, weil ihm nichts anderes übrig bleibt? Oder ist es möglicherweise der Ausgangspunkt eines Einstellungswandels?
Da fängt das Lied ganz harmlos mit Spott über selbsternannte Antifaschisten an und lädt dazu ein, der unpolitischen Prioritätensetzung des Protagonisten zuzustimmen, und am Ende liegt der mit eingetretenen Zähnen auf der Straße und wir als Hörer sitzen da mit Fragen zur autoritären Persönlichkeit. So wiederholt sich die Ironie, dass der Polit-Singer-Songwriter Billy Bragg ausgerechnet mit einer Absage an politisches Engagement berühmt wurde, bei Die Aeronauten, die schon mit ihrem Albumtitel „Gegen Alles“ den Protestanspruch von Politbands ironisch überzogen, unter umgekehrten Vorzeichen: Ihr bekanntestes Lied erweist sich unversehens als politisches.
Martin Rehfeldt, Bamberg
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Schön wenn das jeder so machen würde,
lieber eine Freundin suchen, anstatt sich überall zu kloppen.